Preußisches Abgeordnetenhaus

Zweite Kammer des Preussischen Landtags

Das Preußische Abgeordnetenhaus war bis 1918 die nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählte Zweite Kammer des Preußischen Landtags neben dem Preußischen Herrenhaus. Es wurde durch die von Friedrich Wilhelm IV. verordnete Preußische Verfassung vom 5. Dezember 1848 eingerichtet. Die Bezeichnung Abgeordnetenhaus wurde 1855 eingeführt. Die Abgeordneten wurden üblicherweise mit dem Namenszusatz MdA bzw. MdPrA, gelegentlich auch MdHdA (Mitglied des Hauses der Abgeordneten), gekennzeichnet.

Gebäude des Preußischen Abgeordnetenhauses ab 1899

Im Jahr 1899 zogen die Abgeordneten in einen Neubau für den Landtag in der Prinz-Albrecht-Straße 5/6 ein. Der Gebäudekomplex erstreckte sich bis zur Leipziger Straße, wo 1904 der Neubau des Herrenhauses bezogen werden konnte. Architekt war Friedrich Schulze. Seit mehreren Umbauten in den 1990er Jahren, bei denen zum Teil auch der frühere Zustand wiederhergestellt wurde, beherbergt das Gebäude an der Niederkirchnerstraße das Berliner Abgeordnetenhaus und das an der Leipziger Straße den Deutschen Bundesrat.[1]

Wahlrecht

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Palais Hardenberg, Sitz des Preußischen Abgeordnetenhauses bis 1899

Die Wahl der Abgeordneten des preußischen Staates erfolgte ab der zweiten Legislaturperiode nach dem Dreiklassenwahlrecht. Das Wahlverfahren war indirekt. Die Wahlberechtigten wählten in der Urwahl – getrennt in drei Klassen – Wahlmänner und diese dann die Abgeordneten ihres Wahlbezirks. Mehrere Versuche, das die Konservativen stark begünstigende Wahlrecht zu reformieren, wurden vom Herrenhaus abgelehnt. Das Wahlrecht – bei seiner Einführung noch eines der fortschrittlichsten Europas – blieb deshalb bis 1918 relativ unverändert bestehen. Das Abgeordnetenhaus selbst beschloss 1918 noch dessen Abschaffung, die Entscheidung wurde aber durch die Republikgründung hinfällig.[2]

Wahlberechtigt war jeder männliche Preuße ab 24 Jahren, der in einer preußischen Gemeinde seit mindestens sechs Monaten seinen Wohnsitz hatte und nicht durch rechtskräftiges Urteil die bürgerlichen Rechte verloren hatte oder öffentliche Armenunterstützung erhielt. Wählbar zum Abgeordneten war, wer das 30. Lebensjahr vollendet hatte, seit mindestens drei Jahren Preuße war und die bürgerlichen Rechte nicht durch rechtskräftiges Urteil verloren hatte.

Wahlperioden

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Die Wahlperiode (WP) dauert zunächst drei Jahre und wurde, wie die des Reichstags, 1888 auf fünf Jahre verlängert. Das Abgeordnetenhaus wurde jedoch mehrfach vorzeitig vom König aufgelöst: Zunächst in der 1. WP am 27. April 1849, dann in der 6. WP am 11. März 1862, in der 7. WP am 2. September 1863, in der 8. WP am 9. Mai 1866, in der 9. WP am 22. September 1867; in der 11. WP am 5. Oktober 1873, in der 12. WP am 14. Oktober 1876, in der 13. WP am 15. September 1879; die beiden letzten Auflösungen des Abgeordnetenhauses wurden dann erst wieder in der 20. WP am 1. Juni 1908 und in der 21. WP am 7. Mai 1913 angeordnet.[3] Von 1849 bis 1918 gab es 22 Wahlperioden:

WP Datum
Urwahlen
Wahl der
Abgeordneten
Beginn der
Wahlperiode
Ende der
Wahlperiode
I 05.02.1849 26.02.1849 27.04.1849
II 27.07.1849 07.08.1849 19.05.1852
III 03.11.1852 29.11.1852 03.05.1855
IV 08.10.1855 29.11.1855 26.10.1858
V 23.11.1858 12.01.1859 05.06.1861
VI 06.12.1861 14.01.1862 11.03.1862
VII 06.05.1862 19.05.1862 27.05.1863
VIII 28.10.1863 09.11.1863 23.02.1866
IX 03.07.1866 05.08.1866 24.07.1867
X 30.10.1867 07.11.1867 15.11.1867 12.02.1870
XI 09.11.1870 16.11.1870 14.12.1870 20.05.1873
XII 28.10.1873 04.11.1873 12.11.1873 30.06.1876
XIII 20.10.1876 27.10.1876 12.01.1877 21.02.1879
XIV 30.09.1879 07.10.1879 28.10.1879 11.05.1882
XV 19.10.1882 26.10.1882 14.11.1882 09.05.1885
XVI 29.10.1885 05.11.1885 14.01.1886 28.06.1888
XVII 30.10.1888 09.11.1888 14.01.1889 05.07.1893
XVIII 31.10.1893 07.11.1893 16.01.1894 18.05.1898
XIX 27.10.1898 03.11.1898 16.01.1899 01.07.1903
XX 12.11.1903 20.11.1903 16.01.1904 09.04.1908
XXI 03.06.1908 16.06.1908 26.06.1908 07.05.1913
XXII 16.05.1913 03.06.1913 12.06.1913 15.11.1918

Zusammensetzung

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Siegelmarke Bureau des Hauses der Abgeordneten

Die Mitgliederzahl betrug zunächst 350, seit der Eingliederung von Hohenzollern-Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen (1849) 352. Bei den Wahlen von 1855 setzten sich die 352 Sitze im Abgeordnetenhaus, auf die Provinzen bezogen, folgendermaßen zusammen: Preußen erhielt 54 Sitze, Posen 30, Schlesien 66, Brandenburg 45, Pommern 25, Sachsen 38, Westfalen 31 sowie die Rheinprovinz und Sigmaringen 63.[4]

Als Folge der Preußischen Annexionen nach dem Krieg mit Österreich von 1866 stieg die Mitgliederzahl ab der Wahl von 1867 auf 432: Schleswig-Holstein erhielt 18 Abgeordnete, Hannover 36, der Regierungsbezirk Kassel 14 und der Regierungsbezirk Wiesbaden 12, zusammen 80 Abgeordnete.[5] Im Jahr 1876 kam ein zusätzlicher Sitz für das Herzogtum Lauenburg hinzu. 1906 wurde die Mitgliederzahl um zehn Sitze erhöht und betrug von der Wahl 1908 an 443.

Die Mitglieder des Abgeordnetenhauses erhielten eine Abgeordnetenentschädigung, die Mitglieder des Reichstags hingegen bis 1906 nicht. Daher saßen viele Mitglieder des Reichstags auch im Abgeordnetenhaus. 1903 waren 110 Reichstagsabgeordnete zugleich Mitglied im Abgeordnetenhaus und damit fast die Hälfte der 236 preußischen Reichstagsabgeordneten. Nach 1906 sank die Zahl der Doppelmitgliedschaften deutlich, 1913 waren es noch 45.[6]

Ab 1862 gab es im Abgeordnetenhaus eine deutliche liberale Mehrheit. Im preußischen Verfassungskonflikt unterlagen die Liberalen dem mit der Lückentheorie argumentierenden Otto von Bismarck. Nach dem Krieg 1866 spalteten sich von den Liberalen die Nationalliberalen ab. Gemeinsam mit den Konservativen dominierten die Nationalliberalen die preußische Politik bis 1918.

Die Fraktionsstärken (einschließlich Hospitanten) seit 1867, jeweils zum Beginn der Wahlperiode:

1867 1870 1873 1876 1879 1882 1885 1888 1893 1898 1903 1908 1913
Konservative 123 114 9 12 106 116 134 129 142 145 143 151 149
Neukonservative (34) 1) 25 25
Freikonservative 54 50 35 34 57 58 62 64 63 58 59 59 53
Zentrum 52 88 88 97 98 100 99 95 100 97 104 103
Nationalliberale 97 111 174 175 103 69 70 88 90 73 79 66 73
Liberale Vereinigung (17) 2) 20 43 3) 29 3)
Fortschrittspartei 45 48 69 67 36 37
Freisinnige Volkspartei 14 24 24 28 41 4)
Freisinnige Vereinigung 6 12 9 8
SPD 7 10
Polenpartei 16 19 17 15 19 18 15 15 17 13 13 15 12
Dänen 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
Rechtes Zentrum 24
Linkes Zentrum 32
Fraktionslos 39 36 13 15 13 15 7 7 4 6 7 3
Total 432 432 432 433 433 433 433 433 433 433 433 443 443
 zusammengestellt aus: Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus: 1867–1918
1) 
Abspaltung der Konservativen
2) 
Abspaltung der Nationalliberalen

Präsidenten

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Amtszeit Name
1849 Wilhelm Grabow
1849–1855 Graf Maximilian von Schwerin-Putzar
1855–1858 Graf Heinrich zu Eulenburg
1859 Graf Maximilian von Schwerin-Putzar
1860–1861 Eduard von Simson
1862–1866 Wilhelm Grabow
1866–1873 Max von Forckenbeck
1873–1879 Rudolf v. Bennigsen
1879–1897 Georg von Köller
1898–1911 Jordan von Kröcher
1912 Hermann Freiherr von Erffa-Wernburg
1913–1918 Graf Hans von Schwerin-Löwitz

Auflösung 1918

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Das preußische Revolutionskabinett aus MSPD und USPD löste das Abgeordnetenhaus auf, und zwar durch Satz 1 der Verordnung vom 15. November 1918 (Pr. GS. 1918, S. 191) auf. Ein Protest des Vizepräsidenten Felix Porsch vom 24. November 1918 war das letzte Lebenszeichen des Abgeordnetenhauses. Das Kabinett berief sich nicht auf die Verfassung, sondern auf eine revolutionäre Legitimation.

Gebäude

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Preußischer Landtag, Sitz des Berliner Abgeordnetenhauses seit 1993

Das Abgeordnetenhaus tagte bis 1899 im Palais Hardenberg. Danach erhielt es ein neues Gebäude. Es wurde nach der Novemberrevolution, durch die Abschaffung des Herrenhauses, zum Sitz des Preußischen Landtags, des Landesparlaments des Freistaates Preußen.

Heute befindet sich in diesem Gebäude das Abgeordnetenhaus von Berlin, das Landesparlament des Bundeslandes Berlin.

Siehe auch

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Literatur

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  • Bernd Haunfelder: Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1849–1867 (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Band 5). Droste, Düsseldorf 1994, ISBN 3-7700-5181-5.
  • Thomas Kühne: Handbuch der Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus 1867–1918. Wahlergebnisse, Wahlbündnisse und Wahlkandidaten (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Band 6). Droste, Düsseldorf 1994. ISBN 3-7700-5182-3.
  • Thomas Kühne: Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preussen 1867–1914, Landtagswahlen zwischen korporativer Tradition und politischem Massenmarkt, Düsseldorf 1994.
  • Bernhard Mann (Bearb.) unter Mitarbeit von Martin Doerry, Cornelia Rauh, Thomas Kühne: Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1867–1918 (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Band 3). Droste, Düsseldorf 1988. ISBN 3-7700-5146-7.
  • Preußens Volksvertretung in der Zweiten Kammer und im Hause der Abgeordneten vom Februar 1849 bis Mai 1877. Alphabetisches Namensregister der Mitglieder, sowie Verzeichniß der Wahlkreise nach Provinzen und Regierungsbezirken. Zusammengestellt vorzugsweise aufgrund amtlicher Materialien von Franz Lauter. Verlag Moeser, Berlin 1877. Vgl. Mann, Biographisches Handbuch bezieht sich auf Lauter, ohne dessen Vollständigkeit anzustreben.
  • Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten. 1865. VIII Legislatur-Periode II. Session, Band II, W. Moeser, Berlin 1865.
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Einzelnachweise

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  1. Sehenswürdigkeiten. In: Berliner Adreßbuch, 1915, Teil 2, S. 313 (Beschreibung des Baukomplexes mit Geschichts- und Baudetails).
  2. Das Abgeordnetenhaus von Berlin. (Memento vom 25. Januar 2013 im Internet Archive) Parlamentsviertel.de
  3. GStA PK I. HA Rep. 90 A Nr. 3246, fol. 3 r
  4. Günther Grünthal: Parlamentarismus in Preußen 1848/49 – 1857/58. Düsseldorf 1982, S. 445; und GStA PK I. HA Rep. 90 A Nr. 111
  5. GStA PK I. HA Rep. 89 Nr. 309, fol.68 v
  6. Thomas Kühne: Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preussen 1867–1914, Landtagswahlen zwischen korporativer Tradition und politischem Massenmarkt. Düsseldorf 1994, S. 353–355.