Rainer Jogschies

deutscher Politologe und Publizist

Rainer Jogschies (auch Rainer B. Jogschies, * 10. November 1954 in Hamburg) ist ein deutscher Politologe und Publizist. Er veröffentlichte zahlreiche Essays unter anderem zur Atommüll-Semiotik[1] sowie zur bundesdeutschen Popmusik vor und nach der Neuen Deutschen Welle.[2]

Rainer Jogschies (2020)

Ausbildung und Beruf

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Rainer Jogschies studierte 1973 nach einem humanistischen Abitur klassische Politikwissenschaften, Geschichte und Philosophie an der Universität Hamburg, unter anderem bei Peter Reichel und Günter Trautmann. 1979 schloss er als Diplom-Politologe ab.

Während er als Journalist arbeitete, promovierte er 1984 bei Winfried Steffani und Hans Kleinsteuber mit einer demokratie-theoretischen Schrift zur Bürgerbeteiligung an der Stadtplanung.[3]

Er war von kurz nach der Gründung bis 2023 Mitglied der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen.

Als Journalist schrieb Jogschies ab Ende der 1970er Jahre freiberuflich für die Wochenzeitungen vorwärts und das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt, die Illustrierte stern, das Magazin Der Spiegel, für die „Jugendzeitschriften“ Sounds und Musikexpress[4] sowie das gewerkschaftliche Monatsheft kunst & kultur.

Seine Themen waren die andauernde Ökologie-Nichtachtung in Deutschland sowie die sich anscheinend (nicht) wandelnde „deutsche“ Pop-Szene.

Anfang der Achtziger war er für zwei Jahre Redakteur der wieder gegründeten Illustrierten Twen, neben dem früheren Sounds-Kollegen Michael O. R. Kröher und dem ehemaligen konkret-Redakteur Hartmut Schulze.[5]

Als der Staatsminister für Außenpolitik Jürgen W. Möllemann (FDP) später mit einer PR-Agentur die Zeitschrift „Twen“ übernahm, zeigte Rainer Jogschies ihn 1983 bei der Staatsanwaltschaft München I wegen Verdachts des Betruges und Verstoßes gegen das „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre“ an.[6] Anfangs bestritt Möllemann diese Vorwürfe, schloss jedoch im September 1984 einen Vergleich, wenn der Autor seine Klage vor dem Landgericht München fallenließe.[7]

Ende der 1990er Jahre konzipierte Rainer Jogschies ein neuerliches Twen-Revival.[8] Die Heftideen wurden nicht realisiert.

Jogschies verfasste seit den Siebzigerjahren viele Hörfunk-Beiträge für den NDR und den WDR. Ab den 1990er Jahren schrieb er Drehbücher für den NDR und das ZDF. Er führte dabei teils Regie.

1992 erhielt er für sein Fernsehspiel Vier Wände[9] den letztmalig verliehenen Medienpreis „Glashaus“.[10]

Er veröffentlichte zahlreiche Sach- und Fachbücher sowie Romane,[11] beginnend 1985 mit der mehrfach wieder aufgelegten Reportage Wo, bitte geht´s zu meinem Bunker?[12] und zuletzt 2021 dem Essay Guttenberg goes Purple – ‚Zapfenstreich‘ des Bundesverteidigungsministers und andere Vereinnahmungen der Pop-Geschichte.[13]

Mit den Schriftstellern Gunter Gerlach, Lou A. Probsthayn, Michael Weins und anderen gründete er 1999 die Autorengruppe Hamburger Dogma mit umstrittenen „Regeln“ zu einer zeitgemäßen Formensprache.

Mit der Organisationspsychologin Antje Hadler, die ihn nach zwanzig Jahren Beziehung 2000 heiratete,[14] baute er in Berlin ab 2004 den unabhängigen Kleinverlag Nachttischbuch auf. Nach ihrem Tod am 21. März 2021[15] blieb er der alleinige Verleger.

Ehrenamtliches Engagement

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Rainer Jogschies gründete 1974 die „Arbeitsgemeinschaft Harburger Rockmusiker“ (AHR) und vernetzte sie mit anderen lokalen oder regionalen Musikerinitiativen,[16] beispielsweise mit der lokalen „Musikerinitiative München“ (MIM) oder mit der regionalen „Musikerinitiative-Ostwestfalen/Lippe“ (MOL), die jährlich das legendäre Open-Air-Festival in Vlotho „umsonst & draußen“ veranstaltete.[17]

Er konzipierte 1979 gemeinsam mit Dieter Baacke die bilanzierenden Pop-Dekadentagungen,[18] die er über fünf Jahrzehnte als Debattenraum kuratierte und leitete.[19]

Mit Hermann Rauhe entwarf er 1981 den Modellversuch Popularmusik, den ersten Ausbildungsweg für Pop-Musiker an einer bundesdeutschen Hochschule.[20]

Monographien, Anthologien (Auswahl)

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Drehbücher/ Regie (Auswahl)

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Einzelnachweise

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  1. Unter anderem: Rainer B. Jogschies: Atompriester unterm Kunstmond. Müllnachrichten an das 120. Jahrhundert. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Hamburg 1994. Sowie mediengeschichtlich ergänzend: Rainer Jogschies: Grundlagen der Göttergeschichten als Zitatenschatz und Diskursersatz. In: Manfred Mai, Rainer Winter (Hrsg.): Das Kino der Gesellschaft – die Gesellschaft des Kinos: Interdisziplinäre Positionen, Analysen und Zugänge, Köln 2006, ISBN 3-938258-04-7. Zu aktualisierenden Kriegsmythen, siehe einige Essays, u. a.: Rainer Jogschies: Blick Richtung Bagdad – Die erste Wahrheit des Krieges ist das Opfer. (In: Kunst & Kultur, 10. Jahrgang Nr. 4/2003, Stuttgart 2003, S. 13–14) sowie Rainer Jogschies: Tod und Theo in der Hölle der Allgegenwart – Von der Notwendigkeit der Öffentlichkeit gegen den Terrorismus. (In: Kunst & Kultur, 10. Jahrgang Nr. 2/2003, Stuttgart 2003, S. 17–18)
  2. Siehe zur kulturpolitischen und gesellschaftlichen Verortung: Rainer Jogschies, Udo Dahmen, Martin Büsser, Roger Behrens u. a.: Popmusik & Kulturpolitik. In: Kulturpolitische Mitteilungen, Bonn 2010 (Heft 128, S. 38 .57)
  3. Vgl. Rainer B. Jogschies: Bürgerbeteiligung an der Stadtplanung: Untersuchung zur Bürgerinitiativen-Bewegung und der Legitimationskrise des Parlamentarismus aus forschungsmethodischer Sicht, Frankfurt am Main, Bern, New York, Nancy 1984, ISBN 3-8204-5351-2
  4. 2022 urteilte das Landgericht Hamburg, dass der Axel-Springer-Verlag frühe Texte des Autors für den „Musikexpress“ nicht mehr in seinem kostenpflichtigen Online-Archiv „Rewind“ ohne dessen Genehmigung und ohne eine Honorierung seit 2012 nutzen durfte. Siehe: Günter Herkel: Sieg gegen Springer um Nachvergütung. In: Menschen machen Medien. 25. August 2022, abgerufen am 13. Juni 2024.
  5. Siehe das Editorial zu Heft 1, Hamburg (September 1981, S. 4–5).
  6. Der „Spiegel“ berichtete in der Rubrik „Personalien“ (Heft 29/1983), siehe: PERSONALIEN: Jürgen Möllemann. In: Der Spiegel. 17. Juli 1983, abgerufen am 13. Juni 2024.
  7. Die „Spiegel“-Redaktion verknüpfte diese Information mit einer Zusammenstellung von ähnlichen Geschäften Möllemanns im Amt (siehe Spiegel 38/1984), was schließlich zum Minister-Rücktritt führte.
  8. Siehe dazu Claudia Gerdes: Ewig ein Twen? Revival einer Legende. In: Page, Heft 9, Hamburg 1997, S. 30–37
  9. Siehe dazu die medien-kritische Produktionsdokumentation von Rainer Jogschies: Vier Wände – Deutsche Einheit, Hamburg 2020, ISBN 978-3-937550-34-3
  10. Vgl. Protokoll des 2. Gewerkschaftstages der Industriegewerkschaft Medien 1992 in Augsburg: „4. Tag, Tagungsordnungspunkt: Verleihung des „Glashaus“-Medienpreises“, S. 254–259.
  11. Unter anderem erschienen bei Rowohlt, Eichborn, C. H. Beck, Ullstein, Mosaik und Orbis
  12. Der stern berichtete in der Rubrik „Personalien“ aus diesem ernsten Anl über den Autor: „Rainer B. Jogschies“, 3. April 1985, Heft 16, S. 11.
  13. Der Band erschien in der Reihe „Kleine Krautologie“ als zweiter Band.
  14. Vgl. https://antjehadler.de/2021/08/16/sorgfalt-und-geduld/
  15. Nachruf auf die Verlegerin Antje Hadler
  16. Siehe Rainer B. Jogschies: Musiker-Initiativen: Prinzip Solidarität? In: Sounds, Hamburg 1978, Heft 3)
  17. Vgl. Klaus Wellershaus, Günter Scheding, Rainer Jogschies: Vlotho, Teil III. In: Sounds, Hamburg 1977, Heft 10. Sowie: Rainer Jogschies: Heute Vlotho und morgen die ganze Welt. In: Sounds, Hamburg 1978, Heft 11; sowie Rainer Jogschies: Vlotho ‘79 – Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. In: Sounds, Hamburg 1979, Heft 10.
  18. Siehe dazu die Dokumentation Nr. 9 der Kulturpolitischen Gesellschaft: Rock & Pop. Kritische Analysen – Kulturpolitische Alternativen, hrsg. von Dieter Baacke und Rainer Jogschies, Köln 1980
  19. Siehe dazu: Rainer B. Jogschies: Pop-Dekadentagungen – Wandlungen eines Formats. Ein kulturpolitischer Blick zurück – nach vorne? In: Rainer Jogschies (Hrsg.): Gehört „deutsche“ Popmusik ins Museum?, Dokumentation der Fünften Pop-Dekadentagung, Hamburg 2021, S. 13–30
  20. Die administrative Umsetzung übernahm anfangs der Politologie-Studienfreund Jens Klopp, der seinerzeit in Ahrensburg eine Musikerinitiatve mitgegründet hatte und späterhin den John Lennon Talent Award erfolgreich einrichtete.