Sächsische Separatisten
Die Sächsischen Separatisten (SS) sind eine Anfang der 2020er Jahre aktiv gewordene mutmaßlich terroristische Vereinigung mit rechtsextremer Ausrichtung und personellen Verbindungen zur Partei Alternative für Deutschland (AfD) sowie deren Jugendorganisation Junge Alternative für Deutschland (JA).
Hintergrund
BearbeitenDie Gruppe soll aus fünfzehn bis zwanzig Mitgliedern bestanden haben, seit spätestens November 2020 aktiv gewesen sein[1] und sich selbst Sächsische Separatisten (SS) genannt haben.[2][3] Sie propagierte rassistische, antisemitische und apokalyptische Ideologien und plante, mit Gewalt Gebiete in Sachsen und anderen ostdeutschen Ländern zu erobern, um ein am Nationalsozialismus orientiertes Staats- und Gesellschaftssystem zu errichten. In Anlehnung an Rechtsextreme in den Vereinigten Staaten nannten die Sächsischen Separatisten diese Bürgerkriegsphase „Boogaloo“. Außerdem seien als letztes Mittel „ethnische Säuberungen“ vorgesehen gewesen. Diese Säuberungen sollten Juden und Migranten betreffen, wobei sie von einem „Holocaust“ sprachen, der unweigerlich viele Tote mit sich bringen werde.
Die Mitglieder bereiteten sich auf einen Systemsturz vor, indem sie paramilitärische Trainings absolvierten. Diese umfassten Übungen im Häuserkampf, den Umgang mit Schusswaffen sowie Nacht- und Gewaltmärsche. Zudem beschaffte sich die Gruppe militärische Ausrüstung wie Tarnanzüge, Gefechtshelme und Schutzwesten.
Anfang des Jahres 2024 wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz auf die Gruppenchats aufmerksam und schleuste demzufolge einen Vertrauensmann in die Gruppe ein.[4] Der erste Hinweis auf die Gruppe kam aus den USA, nachdem dem FBI eine Person aus Deutschland in einem Online-Chat durch entsprechende Äußerungen aufgefallen war.[5] Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, ordnete die Gruppe der „Siege-Szene“ (englisch siege ‚Belagerung‘) zu, die sich an den Schriften des amerikanischen Rechtsextremisten James Mason orientiert.[6]
Festnahmen und Waffenfunde
BearbeitenAm 5. November 2024 ließ die Bundesanwaltschaft acht mutmaßliche Mitglieder der Gruppierung festnehmen. Es bestehe dringender Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die Festnahmen fanden in und um Leipzig, in Dresden, im Landkreis Meißen und im polnischen Zgorzelec statt. Die festgenommenen Männer sind im Alter zwischen 21 und 25 Jahren.[1][2][7] Gleichzeitig wurden in rund 20 Objekten Durchsuchungen durchgeführt. Die Ermittlungen erfolgen in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Die festgenommenen Personen werden dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt, der über die Haftbefehle entscheiden wird.[2] Die Haftbefehle gegen sieben Beschuldigte wurden in Vollzug gesetzt, wobei die Vorführung von Jörg S. nach seiner Überstellung aus Polen erfolgen wird.[8][9] Laut Behördenangaben werde außerdem in diesem Zusammenhang gegen sieben weitere Personen ermittelt.[10] An der Operation waren in Deutschland mehr als 450 Sicherheitskräfte von Bundeskriminalamt, Bundespolizei und anderen Behörden beteiligt.[11]
Nachdem nicht registrierte Schusswaffen, Munition, Schalldämpfer, Patronen für Kalaschnikow-Sturmgewehre, Einzelteile mutmaßlicher Kriegswaffen sowie die Hülse einer Mörsergranate gefunden wurden, stufen die Behörden die Gruppe als gefährlich ein. Die genaue Anzahl der Waffen und Munition war zunächst unklar.[12][13] Der Verdächtige Kurt Hättasch ist laut Angaben der dpa Jäger; auch ein weiterer Beschuldigter besitzt eine waffenrechtliche Erlaubnis.[14]
Personen
BearbeitenAls mutmaßlicher Rädelsführer der militanten Gruppe soll der in Zgorzelec festgenommene Jörg S. agiert haben.[2][7] Er wird vom Szeneanwalt Martin Kohlmann, Vorsitzender der Freien Sachsen, verteidigt.[15] Kurt Hättasch sitzt seit 2024 für die Alternative für Deutschland (AfD) im Stadtrat von Grimma und ist Schatzmeister der Jungen Alternative in Sachsen sowie Kreisvorstandsmitglied im AfD-Kreisverband Landkreis Leipzig.[16] Er wurde bei seiner Festnahme durch einen Schuss am Kiefer verletzt,[17] nachdem er während der Razzia einen Karabiner ergriffen hatte, worauf Bundespolizisten Warnschüsse abgaben. Anschließend wurde festgestellt, dass Hättasch von einem Projektil im Kieferbereich getroffen worden war, ob von einer Polizeikugel oder einem Geschoss aus seiner eigenen Waffe, ist noch offen. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht und operiert, Lebensgefahr bestand nicht. Kurt Hättasch arbeitete beim Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner (AfD); nach seiner Festnahme wurde ihm gekündigt.[18] Hättaschs Frau ist die Tochter des ehemaligen Anführers der verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) und reiste 2019 mit ihm in die Ukraine, um sich mit Vertretern der Brigade Asow zu vernetzen.[19] Auch Kevin R. und Hans-Georg P. sind Beschuldigte mit Verbindungen zur AfD, wobei Kevin R. in mehreren Gremien der Stadt Grimma Stellvertreter für AfD-Stadträte ist und zuvor Medienbeauftragter sowie Beauftragter für die Junge Alternative im Kreisverband Leipziger Land der AfD war, während Hans-Georg P. 2021 von der Leipziger AfD in den Stadtbezirksbeirat Ost bestellt wurde.[20][21][22] Bei Jörg S. und Jörn S. handelt es sich um die Söhne eines österreichischen Rechtsextremisten, der in den 1990er Jahren Mitglied in einer Wehrsportübungen abhaltenden Neonazi-Kameradschaft in Österreich war.[23][24][12] Jörg S. ist laut Recherchen der Zeit ein gelernter Obstbauer mit Affinität zur Bundeswehr, Jörn S. nahm im Jahr 2024 an einer Neonazidemonstration in Budapest anlässlich des „Tags der Ehre“' teil.[21] Es bestanden Verbindungen zur Kleinstpartei „Der III. Weg“ sowie zu den „Jungen Nationalisten“.[25] Der ehemalige Berliner Finanzsenator und Ex-Unionspolitiker Peter Kurth überwies nach Informationen des Spiegel 100.000 Euro an ein Mitglied der Gruppe. Das Geld wurde verwendet, um eine Immobilie in Grimma zu erwerben, die als Szenetreff dienen sollte. Kurth betont, dass er „nichts von der Gruppe geahnt habe“.[26][27]
Konsequenzen
BearbeitenNach der Razzia schloss der AfD-Bundesvorstand laut Alice Weidel die festgenommenen AfD-Mitglieder einstimmig mit sofortiger Wirkung aus der Partei aus.[28][29] Laut Deutschlandfunk entscheidet über den Ausschluss ein Schiedsgericht; bis dahin sollen die drei unter Terrorismusverdacht stehenden AfD-Mitglieder „von der Ausübung ihrer Mitgliedsrechte ausgeschlossen werden“.[30] Der Vorstand des sächsischen Landesverbands der AfD beschloss am 6. November 2024 einstimmig den Entzug der Mitgliedsrechte, während der Bundesvorstand am gleichen Tag eine Sondertelefonkonferenz zu diesem Thema durchführte.[31]
Der Rechtsextremismusforscher Volkmar Wölk kritisierte die Zurückhaltung der sächsischen Behörden bei dem Einsatz gegen die mutmaßlichen Rechtsterroristen. Bei der Operation seien diese „wenn überhaupt, nur als Hilfskräfte beschäftigt gewesen.“ Wölk und auch der Rechtsextremismusforscher Oliver Decker wiesen auf die Vielzahl von rechtsterroristischen Zellen hin, die in Sachsen bereits aktiv gewesen seien wie zum Beispiel dem NSU, Revolution Chemnitz oder die Gruppe Freital. Decker erklärte außerdem, dass der AfD gelungen sei, was die NPD lange angestrebt habe: Sie habe eine Verbindung zwischen radikalen, gewaltbereiten, rechtsextremen Gruppen und einem bürgerlich-nationalistischen Milieu hergestellt.[31]
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b „Sächsische Separatisten“: Razzia gegen mutmaßliche Rechtsterroristen. In: Tagesschau. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ a b c d Festnahme von acht mutmaßlichen Mitgliedern einer rechtsextremistischen terroristischen Vereinigung. In: generalbundesanwalt.de. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ Sven Röbel, Maik Baumgärtner: Sachsen: Razzia gegen mutmaßliche Neonazi-Terrorgruppe – AfD-Politiker festgenommen. In: Spiegel Online. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ 'Verstörende Gewaltfantasien, tagesschau.de, 7. November 2024
- ↑ 'Hinweis auf „Sächsische Separatisten“ kam aus den USA, zeit.de, 8. November 2024
- ↑ Festnahmen bei Razzia gegen mutmaßliche Rechtsextreme. In: zdf.de. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ a b Rachel More: Germany arrests eight suspected members of right-wing group plotting revolt. In: Reuters. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024 (englisch).
- ↑ Haftbefehle gegen sechs mutmaßliche Mitglieder einer rechtsextremistischen terroristischen Vereinigung in Vollzug gesetzt. In: generalbundesanwalt.de. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe, 6. November 2024, abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ Haftbefehl gegen ein mutmaßliches Mitglied einer rechtsextremistischen terroristischen Vereinigung in Vollzug gesetzt. In: generalbundesanwalt.de. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe, 7. November 2024, abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ Philipp Saul: „Sächsische Separatisten“: Acht mutmaßliche Rechtsterroristen festgenommen. In: sueddeutsche.de. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ AfD-Lokalpolitiker bei Razzia festgenommen – Polizisten feuern Warnschüsse ab. In: welt.de. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ a b Christian Fuchs, Astrid Geisler, Martin Nejezchleba, Karsten Polke-Majewski, Christina Schmidt, Sascha Venohr: Sächsische Separatisten: Umsturz auf Sächsisch. In: Die Zeit. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ Maik Baumgärtner, Ann-Katrin Müller, Sven Röbel, Wolf Wiedmann-Schmidt und Steffen Winter: (S+) Razzia gegen »Sächsische Separatisten«: Ermittler finden Waffen und Munition bei mutmaßlichen Rechtsterroristen. In: Spiegel Online. 6. November 2024, abgerufen am 6. November 2024.
- ↑ AfD schließt mutmaßliche Terroristen aus. In: tagesschau.de, 7. November 2024, abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ 'Anwalt verharmlost "Sächsische Separatisten" als Wandergruppe, mdr.de, 8. November 2024
- ↑ Festnahmen von Neonazis in Sachsen: „Sächsische Separatisten“ mit Verbindungen zur AfD. In: taz.de. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ Acht mutmaßliche Rechtsterroristen in Sachsen und Polen festgenommen. MDR, 5. November 2024, Abruf am 6. November 2024
- ↑ AfD-Landtagsmitarbeiter unter mutmaßlichen Rechtsterroristen. In: T-Online. 6. November 2024, abgerufen am 6. November 2024.
- ↑ 'Mit Terror und Trompeten, taz.de, 10. November 2024
- ↑ Sachsen: Schüsse bei Festnahme von terrorverdächtigem AfD-Politiker. In: Spiegel Online. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ a b Eric Voigt, Larissa Kögl: Rechtsextremismus: Was über die Festnahmen der Sächsischen Separatisten bekannt ist. In: zeit.de. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ Ergebnisse der konstituierenden Sitzung des Stadtrates der Stadt Grimma vom 22. August 2024. In: grimma.de. Stadt Grimma, 22. August 2024, abgerufen am 6. November 2024.
- ↑ Laurin Lorenz, Fabian Schmid: Anführer der „Sächsischen Separatisten“: Österreicher aus Familie mit brauner Vergangenheit. In: derstandard.de. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ Felix Huesmann, Denise Peikert, Antonie Rietzschel, Hanna Gerwig, Haig Latchinian: „Sächsische Separatisten“: Razzia gegen Nazi-Terrorgruppe – AfD-Kommunalpolitiker unter Festgenommenen. In: rnd.de. 5. November 2024, abgerufen am 5. November 2024.
- ↑ 'Björn Höcke posierte für Fotos mit den Rechtsterroristen, taz.de, 7. November 2024
- ↑ Maik Baumgärtner, Nicola Naber, Sven Röbel, Wolf Wiedmann-Schmidt: 'Ex-Unionspolitiker Peter Kurth überwies 100.000 Euro an mutmaßliche Terroristen, spiegel.de, 11. November 2024.
- ↑ 'Ex-CDU-Politiker hilft "Sächsischen Separatisten": 100.000 Euro für Terrorverdächtige, mdr.de, 11. November 2024
- ↑ Nicole Diekmann: Nach Razzia: AfD schließt drei Mitglieder aus. In: zdf.de. 6. November 2024, abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ Festgenommene AfD-Mitglieder „sind aus Partei rausgeschmissen worden“, sagt Weidel. (Video) In: welt.de. Abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ AfD will Mitglieder im Zusammenhang mit militanter Gruppierung ausschließen. In: deutschlandfunk.de. 6. November 2024, abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ a b Sächsische Separatisten: AfD-Landesverband will drei Mitglieder ausschließen. In: mdr.de. 7. November 2024, abgerufen am 7. November 2024.