Mutesarriflik Jerusalem

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Das Mutesarriflik Jerusalem (türkisch Kudüs-i Şerif Mutasarrıflığı; arabisch متصرفية القدس الشريف), auch bekannt als das Sandschak von Jerusalem, war ein osmanischer Bezirk mit besonderem Verwaltungsstatus, der 1872 gegründet wurde.[1][2][3] Der Bezirk umfasste Jerusalem (Kudüs) sowie die anderen Hauptorte Gaza, Jaffa, Hebron, Betlehem und Be’er Scheva.[4] Während der spätosmanischen Periode bildete das Mutesarriflik Jerusalem zusammen mit dem Sandschak Nablus und dem Sandschak Akkon die gemeinhin als „Südsyrien“[5] oder „Palästina“ bezeichnete Region.[1][nb 1]

Vital Cuinet (1833–1896):
Karte Syriens von 1896

Der Bezirk wurde zunächst von Damaskus abgespalten, 1841 Konstantinopel direkt unterstellt[2] und im Jahre 1872 formell als unabhängige Provinz von Großwesir Mahmud Nedim Pascha erschaffen.[2] Die Gründe für die Abspaltung waren unterschiedlich, darunter waren das westeuropäische Interesse an der Region und später die Stärkung der Südgrenze des Osmanischen Reiches gegen das Khedivat Ägypten.[2]

Ursprünglich wurden die beiden Sandschaks Akkon und Nablus mit der Provinz Jerusalem vereinigt und die neue Provinz in den Gerichtsregistern als „Eyâlet Jerusalem“ bezeichnet.[nb 2] Vom britischen Konsul wurde dies als Gründung von „Palästina in einem getrennten Eyâlet“ gewertet.[nb 3]

Allerdings wurden nach weniger als zwei Monaten[6] die Sandschaks von Nablus und Akkon wieder getrennt und dem Vilâyet Beirut angegliedert, wodurch nur noch das Mutesarriflik Jerusalem verblieb.[7] 1906 wurde der Kaza von Nazaret an das Mutesarriflik Jerusalem als Exklave angegliedert,[8] vor allem, um die Erteilung von nur einer einzigen Touristenerlaubnis für christliche Reisende zu ermöglichen.[9]

Der politische Status des Mutesarriflik Jerusalem war einzigartig im Vergleich zu anderen osmanischen Provinzen, da es unter die Direktherrschaft Konstantinopels, der Hauptstadt des Osmanischen Reiches kam.[3] Die Einwohner identifizierten sich selbst vor allem entsprechend religiöser Kriterien.[5] Die Dörfer des Bezirks waren in der Regel von Bauern bewohnt, während die Stadtbevölkerung aus Händlern, Handwerkern, Landbesitzern und Geldverleihern bestand. Die Elite bestand aus der religiösen Würdenträgerschaft, wohlhabenden Landeignern und hochrangigen Zivilbeamten.[5]

Das Mutasseriflik hatte eine Fläche von rund 20.000 km², 1897 eine Bevölkerungszahl von 298.653,[10] 1914 rund 400.000.[11]

Geschichte

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Der Bezirk wurde im Jahre 1841 zunächst von Damaskus abgespalten, Konstantinopel direkt unterstellt,[2] und im Jahre 1872 formell als eine unabhängige Provinz gegründet. Vor 1872 war das Mutesarriflik von Jerusalem offiziell ein Sandschak innerhalb des Vilâyets Syrien (gegründet 1864 nach den Tanzimat-Reformen).

Die Südgrenze des Mutesarrifliks Jerusalem wurde im Jahre 1906 auf Betreiben der Briten neu gezogen, die an der Sicherung ihrer imperialen Ansichten interessiert waren, indem die Grenze so kurz und kontrollierbar wie möglich gemacht wurde.[12]

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts breitete sich die Idee, dass die Region Palästina oder das Mutesarriflik Jerusalem eine eigene politische Einheit bildete, unter der gebildeten arabischen Klasse aus. 1904 gründete der ehemalige Jerusalemer Beamte Nadschib Azuri in der französischen Hauptstadt Paris die Ligue de la Patrie Arabe („Liga des Arabischen Vaterlands“), deren Ziel es war, das osmanische Syrien und Mesopotamien von der osmanischen Herrschaft zu befreien. 1908 schlug Azuri die Erhebung des Mutesarrifliks zum Vilâyet-Status nach der Jungtürkischen Revolution im Osmanischen Parlament vor.[3]

Das Gebiet wurde im Jahre 1917 während des Ersten Weltkrieges von britischen Truppen unter der Führung von General Allenby erobert,[4] und eine militärische Verwaltung namens Occupied Enemy Territory Administration South (OETA South) wurde eingesetzt, um die osmanische Verwaltung zu ersetzen. OETA South bestand bis zu den Nabi-Musa-Unruhen von April 1920 aus dem osmanischen Sandschaks Jerusalem, Nablus und Akkon. Nach der anschließenden Konferenz von Sanremo wurde dem britischen Militär durch den Obersten Gerichtshof die Verwaltung des Mandats für Palästina entzogen und eine Zivilverwaltung unter Herbert Samuel eingesetzt.

Vier zeitgenössische Karten zeigen den „Quds al-Scherf Sancağı“ oder „Quds al-Scherif Mutasarrıflığı“. Die vier Karten zeigen die Grenzen von 1860 zwischen Osmanisch-Syrien und dem Chedivat Ägypten, obwohl die Grenze 1906 zur heutigen Grenze zwischen Israel und Ägypten vorgeschoben wurde und das Gebiet nördlich der Wüste Negev als „Filistin“ (Palästina) bezeichnet wurde.

Die Entität wurde vom Westen durch das Mittelmeer, vom Osten durch den Fluss Jordan und dem Toten Meer, vom Norden durch einen Berg des Sees Jarkon zur Brücke über den Jorden nahe Jericho, und vom Süden durch eine Linie aus der Mitte zwischen Gaza und Arisch nach Aqaba begrenzt.[nb 4]

Verwaltungsgliederung

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Verwaltungseinheiten des Mutesarrifliks (1872–1909):

  1. Kaza von Beʾer Scheva (osmanisch قضاء بئر السبع, türkisch Birüsseb’ kazası, arabisch قضاء بئر السبع), mit den zwei Subdistrikten (Nahiya) und einem Munizip:
    1. a-Hafir (osmanisch ناحيه حفير, türkisch Hafır nahiyesı, arabisch ناحية عوجة الحفير), gegründet 1908 als Mittelpunkt zwischen Beʾer Scheva und ʿAqaba, nahe der neu vereinbarten Grenze zum Sinai[13]
    2. al-Mulayha, gegründet 1908 als neuer Mittelpunkt zwischen Hafir und Aqaba[13]
    3. Beʾer Scheva (osmanisch بلدية بئر السبع, türkisch Birüsseb’ belediyesı, arabisch بلدية بئر السبع), gegründet 1901
  2. Kaza von Gaza (osmanisch قضا غزّه, türkisch Gazze kazası, arabisch قضاء غزة), mit drei Subdistrikten und einem Munizip:
    1. al-Faludscha (osmanisch ناحيه فلوجه, türkisch Felluce nahiyesı, arabisch ناحية الفالوجة), gegründet 1903
    2. Chan Yunis (osmanisch ناحيه خان يونس, türkisch Hanyunus nahiyesı, arabisch ناحية خان يونس), gegründet 1903 und Munizip ab 1917
    3. al-Madschdal (osmanisch ناحيه, türkisch Mücdel nahiyesı, arabisch ناحية المجدل), gegründet 1880
    4. Gaza (osmanisch بلدية غزّه, türkisch Gazze belediyesı, arabisch بلدية غزة), gegründet 1893
  3. Kaza von Hebron (osmanisch قضا خليل الرحمن, türkisch Halilü’r Rahman kazası, arabisch قضاء الخليل) mit zwei Subdistrikten und einem Munizip:
    1. Beit Itab (osmanisch ناحيه بيت اعطاب, türkisch Beyt-i aʿtâb nahiyesı, arabisch ناحية بيت عطاب), gegründet 1903
    2. Beit Dschibrin (osmanisch ناحيه بيت جبرين, türkisch Beyt-i Cireyn nahiyesı, arabisch ناحية بيت جبرين), gegründet 1903
    3. Hebron (osmanisch بلدية خليل الرحمن, türkisch Halilü’r Rahman belediyesı, arabisch بلدية الخليل), gegründet 1886
  4. Kaza von Jaffa (osmanisch قضا يافه, türkisch Yafa kazası, arabisch قضاء يَافَا) mit zwei Subdistrikten und einem Munizip:
    1. Niʿlin (osmanisch ناحيه نعلين, türkisch Naʿleyn nahiyesı, arabisch ناحية نعلين), gegründet 1903
    2. Ramla (osmanisch ناحيه رمله, türkisch Remle nahiyesı, arabisch ناحية الرملة), gegründet 1880, war vor 1888 Munizip und wurde 1889 als Subdistrikt neu gegründet
    3. Lydda (osmanisch بلدية, türkisch Lod belediyesı, arabisch بلدية)
  5. Kaza von Jerusalem (osmanisch قضا قدس, türkisch Kudüs-i Şerif kazası, arabisch قضاء القدس الشريف) mit vier Subdistrikten und zwei Munizipien:
    1. ʿAbwein (osmanisch ناحيه, türkisch Abaveyn nahiyesı, arabisch ناحية عبوين), gegründet 1903;
    2. Betlehem (osmanisch ناحيه بيت اللحم, türkisch Beytü’l lahim nahiyesı, arabisch ناحية بيت لحم), gegründet 1883 und wurde 1894 Munizip;
    3. Ramallah (osmanisch ناحيه رام الله, türkisch Ramallah nahiyesı, arabisch ناحية رام الله), gegründet 1903 und wurde 1911 Munizip,
    4. Saffa (osmanisch ناحيه صفا, türkisch Safa nahiyesı, arabisch ناحية صفّا),
    5. Jerusalem (osmanisch بلدية قدس, türkisch Kudüs-i Şerif belediyesı, arabisch بلدية القدس الشريف), gegründet 1867
    6. Beit Dschala (osmanisch بلدية, türkisch belediyesı, arabisch بلدية بيت جالا), gegründet 1912.
  6. Kaza von Nazaret (osmanisch قضا الْنَاصِرَة, türkisch Nasra kazası; arabisch قضاء الْنَاصِرَة), nach 1906 hinzugefügt

Legende: "Kaza" = Sandschak

Mutesarrıfen Jerusalems

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Die Mutesarrıfen von Jerusalem wurden von der Hohen Pforte ernannt, um den Distrikt zu regieren. Sie hatten gewöhnlicherweise Erfahrungen als Beamte und Diener und sprachen wenig bis kein Arabisch, jedoch beherrschten sie mindestens eine europäische Sprache – zumeist Französisch.[14]

Vor der Abspaltung von Damaskus

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  1. Süreyya Pascha 1857–1863
  2. İzzet Pascha 1864–1867
  3. Nazıf Pascha 1867–1869
  4. Kamil Pascha 1869–1871
  5. Ali Bey 1871–1872

Nach der Abspaltung von Damaskus

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  1. Nazıf Pascha 1872–1873
  2. Kamil Pascha 1873–1875
  3. Ali Bey 1874–1876
  4. Faik Bey 1876–1877
  5. Scharif Mehmed Rauf Pascha 1877–1889
  6. Resad Pascha 1889–1890
  7. İbrahim Hakkı Pascha 1890–1897
  8. Mehmet Tevfik Biren 1897–01
  9. Mehmet Cavit Bey 1901–02
  10. Osman Kazim Bey 1902–04
  11. Ahmed Reschid Bey 1904–06
  12. Ali Ekrem Bolayır 1906–08

Nach der Jungtürkischen Revolution

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  1. Subhi Bey 1908–09
  2. Nazim Bey 1909–10
  3. Azmi Bey 1910–11
  4. Cevdet Bey 1911–12
  5. Muhdi Bey 1912
  6. Tahir Hayreddin Bey 1912–1913
  7. Ahmed Mecid Bey 1913–1915
  8. İzzet Bey 1915–1918[15]

Anmerkungen

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  1. Das 1915er Filistin Risâlesi („Palestine Document“), an Ottoman army (VIII. Korps) country survey which formally identified Palestine as including the sanjaqs of Akka (the Galilee), the Sanjaq of Nablus, and the Sanjaq of Jerusalem (Kudüs Scherif), siehe Shifting Ottoman Conceptions of Palestine-Part 2: Ethnography and Cartography, Salim Tamari (PDF; 335 kB)
  2. Register no 348 of the Shari’a court of Jerusalem, p211-12 in an edict to the Vali of „Kuds-i-Serif eyaleti“ dated 4 Jumada I 1289 (10 July 1872), as quoted in „The Rise of the Sanjak of Jerusalem“ by Butrus Abu Manneh
  3. Noel Temple Moore, British consul to Jerusalem from 1863–1890, wrote on 27 July 1872 of “the recent erection of Palestine into a separate eyalet.”, FO 195/994, as quoted in „The Rise of the Sanjak of Jerusalem“ by Butrus Abu Manneh
  4. A 1900 dispatch from British Consul Dickson O’Conor, in FO 195/2084, as quoted in „The Rise of the Sanjak of Jerusalem“ by Butrus Abu Manneh

Siehe auch

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Literatur

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Einzelnachweise

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  1. a b Johann Büssow: Hamidian Palestine: Politics and Society in the District of Jerusalem 1872–1908. BRILL, 2011, ISBN 978-90-04-20569-7, S. 5 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 17. Mai 2013]).
  2. a b c d e Ilan Pappeh: The Israel – Palestine Question. Routledge, 1999, ISBN 0-415-16948-8, S. 36 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 17. Mai 2013]).
  3. a b c Jankowski, 1997, S. 174.
  4. a b Beshara, 2012, Part 1.
  5. a b c el-Hasan, 2010, S. 38.
  6. Butrus Abu Manneh: The Rise of the Sanjak of Jerusalem. S. 39.
  7. Johann Büssow: Hamidian Palestine: Politics and Society in the District of Jerusalem 1872–1908. BRILL, 2011, ISBN 978-90-04-20569-7, S. 41–44 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 17. Mai 2013]).
  8. Ruth Kark: American Consuls in the Holy Land: 1832–1914. Wayne State University Press, 1994, ISBN 0-8143-2523-8, S. 131 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 17. Mai 2013]).
  9. Johann Büssow: Hamidian Palestine: Politics and Society in the District of Jerusalem 1872–1908. BRILL, 2011, ISBN 978-90-04-20569-7, S. 70 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 17. Mai 2013]).
  10. Servet Mutlu: Late Ottoman population and its ethnic distribution. In: Nüfusbilim Dergisi\Turkish Journal of Population Studies. Band 25, S. 3–38, hier: S. 29–31 (archive.org [PDF; 332 kB; abgerufen am 3. November 2022]). Corrected population for Mortality Level=8.
  11. Gād G. Gîlbar (Hrsg.): Ottoman Palestine, 1800–1914. Studies in Economic and Social History Brill Archive, 1990, ISBN 90-04-07785-5, S. 63.
  12. Yehuda Gardus, Avshalom Shmueli (Hrsg.): The Land of the Negev. Verteidigungsministerium Publishing, S. 369–370 (hebräisch, 1978–79).
  13. a b David Kushner: To be governor of Jerusalem: the city and district during the time of Ali Ekrem Bey, 1906–1908. Isis Press, 2005, ISBN 975-428-310-9, S. 96.
  14. David Kushner: The Ottoman Governors of Palestine, 1864–1914. In: Middle Eastern Studies. Band 23, Nr. 3, Juli 1987, S. 274–290, hier S. 277, JSTOR:4283185.
  15. Isaiah Friedman, “German Intervention on Behalf of the Yishuv, 1917”, in: Jewish Social Studies: History, Culture and Society, Jg. 33, Heft 1 (Januar 1971), S. 23–43, hier S. 39.