Die Schlacht von Kbaade (adygeisch Ӏаткъуадж зауэ; abchasisch Гәбаадәы аибашьра; russisch Кра́снополя́нская битва) fand 1864 zwischen den letzten Überresten der Tscherkessen und den russischen zaristischen Streitkräften während des Kaukasuskrieges statt.[5][6] Sie wird allgemein als die letzte Schlacht des Krieges angesehen, da danach außer vereinzelten Aufständen keine weiteren bedeutenden Schlachten stattfanden.[5] Noch auf der Lichtung von Kbaade veranstaltete die russische Armee die Siegesparade des Kaukasuskrieges mit 20.000 anwesenden Soldaten. Sein Datum, der 21. Mai (eigentlich julianischen, nicht des aktuellen gregorianischen Kalenders, in dem es der 2. Juni ist) gilt seit den 1990er Jahren tscherkessischen Verbänden der Diaspora und Russlands als jährlich zelebrierter Gedenktag an die Deportation und den Völkermord an den Tscherkessen.

Schlacht von Kbaade
Teil von: Kaukasuskrieg (1817–1864)

Schlacht von Kbaadе; Militärlager der zaristischen Armee vor dem Angriff
Datum 21. Maijul. / 2. Juni 1864greg.
Ort Kbaade und Umgebung 43° 40′ 43″ N, 40° 12′ 19″ OKoordinaten: 43° 40′ 43″ N, 40° 12′ 19″ O
Ausgang Sieg der russischen Armee, Siegesparade zum Ende des Kaukasuskrieges
Folgen Ende des Kaukasuskrieges
Konfliktparteien

Russisches Kaiserreich

Tscherkessische Restverbände im Widerstand gegen die russische Eroberung (Sads-Abchasen und zu ihnen geflüchtete Ubychen und Schapsugen)

Befehlshaber

Großfürst Michael von Russland

  • Nikolai Jewdokimow
  • Dmitri Iwanowitsch Swjatopolk-Mirski
  • Nikolai Pawlowitsch Grabbe
  • Wassili Alexandrowitsch Gajman
  • Pawel Nikolajewitsch Schatilow[1]

(keine prominenten Heerführer überliefert)

Truppenstärke

20.000[2]

einige hundert bis wenige tausend (auch Frauen, Jugendliche, Alte)

Verluste

14 Tote, 52 Verwundete[3]

Massaker an fast allen Achtschipsou-Sads-Abchasen und Verbündeten[4]

Ausgangslage

Bearbeiten

Im 19. Jahrhundert tobte im Großen Kaukasus der sehr langwierige und grausame Kaukasuskrieg (1817–1864) zwischen dem imperialen, kolonialen Russischen Reich und den kulturell, ethnisch-sprachlich und religiös sehr vielfältigen, wehrhaften Kaukasusbewohnern (russ. gorzy=Bergler), der im von Tscherkessen dominierten Westkaukasus faktisch schon mit ersten Scharmützeln 1765 begann. Ab 1817 verfolgte Russland das Kriegsziel den kompletten Kaukasus restlos zu erobern und seine Bewohner zu unterwerfen. Lange Jahrzehnte lag der Schwerpunkt des Eroberungskrieges auf dem östlichen Kaukasus, wo im sogenannten Muridenkrieg die Mehrheit der Dagestaner und Tschetschenen zuletzt unter Imam Schamil erbitterten Widerstand leisteten. Nach Schamils Kapitulation 1859 wandte sich die Mehrheit der russischen Kaukasusarmee unter dem Befehl von Nikolai Jewdokimow und dem Vizekönig ganz Kaukasiens, Michael von Russland, bis zu 60.000 Soldaten, mit Kosaken und anderen Hilfstruppen knapp 100.000 Mann dem westlichen Kaukasus zu, wo die Mehrheit der tscherkessisches Stammesverbände im Westteil und verbündete Abasinen und Sads-Abchasen 1860 noch unabhängig waren, deren Heerführer und Stammesälteste sich seit einigen Jahren mit einer Delegiertenversammlung (genannt Madschlis) bei Śatsche (heute Sotschi) koordinierten.

Ab 1860 verfolgte die russische Armee einen Deportationsplan über das Schwarzes Meer ins Osmanische Reich, um den Widerstand der Tscherkessen zu brechen, die ihre lockeren Streusiedlungen traditionell oft nicht verteidigten, sondern sich mit dem Vieh in die Wildnis dichter Wälder, Schluchten und zur Pferdehaltung genutzter weitläufiger Almen zurückzogen und die Wohnsitze zur erstbesten Gelegenheit zurückeroberten, auch Unterwerfungen schnell rückgängig machten. Endgültig ab 1862 zerstörte die russische Armee alle tscherkessischen Siedlungen restlos bis auf die Grundmauern und zwang die Bewohner in die Deportation an die Küste und über das Meer. Bei dieser Deportation von ca. 500.000–über eine Million Einheimischen kamen wohl mehrere zehntausend bis zu 100.000 Menschen um. Besonders für Alte, Kranke oder Kinder sind Deportationen immer in der Geschichte lebensgefährlich, außerdem verkauften die Deportierten ihr Vieh an Kosaken zur Nahrungsbeschaffung, was zu einem Preisverfall für Vieh und einer Preisexplosion für Nahrung führte und trotz Versorgungsversuchen der russischen Deportationskommissionen zu Hunger und Seuchen führte. Während ältere Historiker die Opfer der Deportation als Folge einer gescheiterten Deportation einordneten, kämpften tscherkessische Verbände besonders seit den 1990er Jahren um die Anerkennung dieser Ereignisse als Völkermord. Die meisten Fachhistoriker, befürworten inzwischen diese Einordnung, weil Quellenauswertungen ergaben, dass ein Teil der russischen Militäroberbefehlshaber im Kaukasus den Tod eines Teils der Tscherkessen sogar als notwendig und wünschenswert (wie der Entwerfer des Deportationsplanes Dmitri Miljutin in einem Memorandum) oder als unumgänglich (wie Jewdokimow in seinen Memoiren) bezeichneten. Außerdem wurde bisher zu wenig beachtet, was mit der unbekannten Zahl Tscherkessen geschah, die sich der Deportation durch Flucht in die Wildnis entzogen. Die russische Armee setzte damals Greiftrupps ein, die die Flüchtigen nicht selten töteten.

Weg zur letzten Schlacht von Kbaade

Bearbeiten
 
Feldzüge am Ende des Kaukasuskrieges bis nach Kbaade, Karte aus sowjetischer Zeit. Vom Westen der Feldzug der Dachow-Abteilung unter General Gajman, von Süden die Einheit unter Swjatopolk-Mirski, von Südosten die Abteilung unter Schatilow und von Nordosten über den Westkaukasus-Hauptkamm die Einheit unter Nikolai Grabbe (Sohn des früheren Kaukasusgenerals Paul Grabbe)

Mit diesem Vorgehen zerstörte die Armee den tscherkessischen Widerstand. Bis zum Herbst 1863 wurden alle Tscherkessen nördlich des Hauptkammes des Westkaukasus besiegt, ihre Siedlungen zerstört und die Bewohner in die Deportation geschickt, Ausnahmegesuche lehnte Oberbefehlshaber Jewdokimow ab. Im Oktober kündigte die russische Heerführung an, dass sie „... sich nun zum Südhang begeben, um zum Meer zu gelangen, den Küstenstreifen zu säubern und ihn für die Besiedlung vorzubereiten.“[7]

Im Spätherbst/Winter fielen mehrere russische Militäreinheiten in die Küstengebiete der Schapsugen („Klein-Schapsugien“, etwa zwischen dem heutigen Gelendschik und Dagomys) ein, deren Bewohner der Übermacht nur wenig Widerstand entgegen setzen konnten. Als Jewdokimow das bemerkte, wollte er den Krieg schnell beenden und befahl schnellere Vorstöße ohne den bisher üblichen „Kampf gegen die Natur“, also die Zerstörung der Wildnis als Rückzugsmöglichkeit der Tscherkessen, durchzuführen, nur noch durch die Siedlungen, die weiter zerstört wurden. Am 5. März 1864 (aktueller gregorianischer Kalender) kapitulierte ihr wichtigster Heerführer Haddschi Kasbulat Sau und akzeptierte die Deportation, am 13. und 14. März kapitulierten die meisten Schapsugenfamilien, die bis zum 18. März ihre Dörfer zu verlassen hatten, die russische Einheiten schleiften.[8] Eine kleine Minderheit flüchtete in die Wildnis und erhielt erst ab 1879 Genehmigungen, einzelne Schapsugendörfer um Tuapse zu gründen, die bis heute bestehen.

Damit wandte sich die Dachow-Abteilung unter Wassili Gajman in das Siedlungsgebiet der Ubychen (heute meistens Teil des sehr großen Sotschier Stadtkreises), welche bisher als besonders widerständig galten, die von dem schnellen Vorstoß aber überrascht wurden. Ihr prominentester Heerführer Kirantuch Bersek, Anführer der Bersek-Ubychen, hielt sich gerade im Fürstentum Abchasien zu Beistandsverhandlungen auf, ein Heeresaufgebot unter Ismail Barakai, Heerführer der Dzepsch-Ubychen unterlag in der Schlacht am 30. März 1864 der Dachow-Abteilung. Der kurz danach zurückgekehrte Kirantuch konnte den schon zusammengebrochenen Widerstand nicht neu organisieren und kapitulierte am 6. April im Dorf Sotschi. Am 14. April akzeptierten Anführer und Älteste der Schapsugen, Ubychen und Sads-Abchasen, darunter Kirantuch die schon laufende Deportation, und emigrierten in der russischen Frist binnen einem Monat ins Osmanische Reich.[9]

Damit blieben nur noch kleine Stammesverbände der Sads-Abchasen im heutigen Grenzgebiet Russlands und Abchasiens in den Flussschluchten der Msymta, des Psou und des Bsyb von den Umsiedlungen verschont. Die Zurückgebliebenen waren mehrheitlich entschlossen, sich der Deportation zu widersetzen und in bewaffnetem Verteidigungskampf bis zum Tod zu kämpfen, was die russischen Feldzüge gegen sie zu Massakern machte. Am 31. Mai 1864 besiegte die von Gagra her an den oberen Psou gezogene russische Psou-Abteilung unter Schatilow die Aibgha bei dem heutigen gleichnamigen Dorf, woraufhin dieser Stammesverband aufhörte zu existieren.[10]

 
Fotografie der Oberbefehlshaber der Achtschipsou-Abteilung auf der Lichtung von Kbaade. V. l. n. r.: Jewdokimow, Michail von Russland und Swjatopolk-Mirski

Damit blieben nur noch die Achtschipsou-Sads-Abchasen an der oberen Msymta um ihren Hauptort Kbaade (tscherkessische Fremdbezeichnung: 'Atquadje) unabhängig, zu denen sich einige Schapsugen und Ubychen geflüchtet hatten. Kbaade wird heute Krasnaja Poljana genannt, was „schöne Lichtung“ bedeutet, das slawische Wort „poljana“ bezeichnet nicht nur eine kleine Lichtung, sondern wie hier ein großes zusammenhängendes Kultur- und Ackerland, umgeben von den dichten Wäldern der westkaukasischen Wildnis, das sich über die obere Msymta ausdehnte und in dem sich die Gehöfte der Achtschipsou-Abchasen von Kbaade verteilten. Die russischen Streitkräfte rückten von vier Seiten vor. Die Ust-Labinsker Abteilung unter Nikolai (Nicholas) Grabbe war über den Hauptkamm des Westkaukasus von Nordosten her schon am 27. Mai auf die Lichtung von Kbaade eingetroffen, von Süden folgte die Achtschipsou-Abteilung unter Swjatopolk-Mirski die Msymta aufwärts, der sich der russische Vizekönig Kaukasiens, Michail von Russland und der Oberbefehlshaber Jewdokimow angeschlossen hatten, und kam nach Grabbe auf der Lichtung von Kbaade an, von Sotschi kam die Dachow-Abteilung unter Gajman am 31. Mai an und von Südosten traf die Psou-Abteilung unter Schatilow am 1. Juni aus dem Gebiet der Aibgha bei Kbaade ein.[11]

 
Michail von Russland, Bruder des Zaren Alexander II., verliest auf der Siegesparade auf der Lichtung von Kbaada das Manifest des Zaren über das Ende des Kaukasuskrieges und den Sieg Russlands, Gemälde von Franz Roubaud

Die Schlacht fand am 2. Juni 1864 in Kbaade zwischen den letzten noch nicht von Russland unterworfenen und deportierten tscherkessischer (regional viele ubychische und im Msymta-Tal einheimische sads-abchasische) Krieger, bestehend aus Dorfbewohnern und Milizen sowie Stammesreitern, und einer 20.000 Mann starken russischen Armee, bestehend aus Kosaken und russischen Reitern, Infanterie und Artillerie, statt. Die tscherkessischen Streitkräfte versuchten, die Linie zu durchbrechen, aber viele wurden von russischer Artillerie und Infanterie getroffen, bevor sie die Front erreichen konnten. Die verbleibenden Kämpfer wurden bald besiegt.

Die russische Armee begann, den Sieg auf den Leichen zu feiern, und es wurde eine militärisch-religiöse Parade abgehalten, während 100 tscherkessische Krieger öffentlich hingerichtet wurden.[12] Anschließend überfiel die russische Armee weiterhin tscherkessische Dörfer, brannte sie nieder und zerstörte Felder. Um eine Rückkehr der Tscherkessen zu verhindern wurden die Bäume gefällt und die Menschen an die Schwarzmeerküste getrieben.

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Daniel Zander: Der Völkermord des Zaren. Russlands Krieg gegen die Tscherkessen im Kaukasus 1765–1864. S. 418–420.
  2. Daniel Zander: Der Völkermord des Zaren. Russlands Krieg gegen die Tscherkessen im Kaukasus 1765–1864. S. 420.
  3. Daniel Zander: Der Völkermord des Zaren. Russlands Krieg gegen die Tscherkessen im Kaukasus 1765–1864. S. 420.
  4. Walter Richmond: The Northwest Caucasus. Past, Present, Future. New York 2008, S. 78–81; Stephen D. Shenfield: The Circassians. A Forgotten Genocide? In: Mark Levene and Penny Roberts: The massacre in history. Oxford, New York 1999. S. 149–162 (Auszug online), S. 152–153; Daniel Zander: Der Völkermord des Zaren. Russlands Krieg gegen die Tscherkessen im Kaukasus 1765–1864. S. 420.
  5. a b Semen Esadze: Çerkesya'nın Ruslar Tarafından İşgali. Kafkas Derneği, Ankara 1995, S. 123–132.
  6. Çerkes Soykırımı nedir? 21 Mayıs 1864 Çerkes Sürgünü tarihçesi. In: Milliyet. 21. Mai 2019, abgerufen am 17. September 2024.
  7. Daniel Zander: Der Völkermord des Zaren. Russlands Krieg gegen die Tscherkessen im Kaukasus 1765–1864. S. 414. („Säubern“ - russisch очищать otschischtschat' und „Säuberung“ - russisch очищение otschischtschenje war die feste Bezeichnung des russischen Oberkommandos für die Vertreibung und Deportation der Tscherkessen. Der heute verbreitete euphemistische Begriff „ethnische Säuberung“ entstand in den Jugoslawienkriegen aus der stammverwandten Bezeichnung serbisch (etničko) čišćenje.)
  8. Daniel Zander: Der Völkermord des Zaren. Russlands Krieg gegen die Tscherkessen im Kaukasus 1765–1864. S. 414–417.
  9. Daniel Zander: Der Völkermord des Zaren. Russlands Krieg gegen die Tscherkessen im Kaukasus 1765–1864. S. 417–418.
  10. Daniel Zander: Der Völkermord des Zaren. Russlands Krieg gegen die Tscherkessen im Kaukasus 1765–1864. S. 419–420.
  11. Daniel Zander: Der Völkermord des Zaren. Russlands Krieg gegen die Tscherkessen im Kaukasus 1765–1864. S. 419.
  12. Kafkasya Bülteni, 19 Mayıs 1864