Sinfonieorchester Aachen
Das Sinfonieorchester Aachen ist das Konzert- und Opernorchester des Theaters Aachen. Es besteht aus rund 70 Musikern und absolviert jährlich etwa 140 Auftritte. Die regelmäßigen Sinfoniekonzerte finden im Eurogress Aachen statt.
Geschichte
BearbeitenDer Augenzeuge und bedeutende Berichterstatter des europäischen Musiklebens Charles Burney belegt 1773, das Aachener Musikleben sei – zu seiner eigenen Verwunderung – absolut unbedeutend gewesen. Das Musikleben anderer Städte hebt er demgegenüber lobend hervor. Ein weiterer Beleg für die These Burneys ist der Antrag der Musikanten aus dem Jahre 1771 zur Einrichtung und Ausführung von so genannten Concerts zur Ergötzung der ansehnlichen Leute, die es in dieser Form bisher in Aachen noch nicht gegeben habe.[1] Ab dem Jahr 1782 musizierten nicht akademisch ausgebildete Musiker in der neuen, von Jakob Couven erbauten Redoute in der Aachener Komphausbadstraße. Zwar sind Details dieser musikalischen Aktivitäten nicht bekannt, allerdings war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Aachener Musiker zunächst für die Unterhaltungsmusik für die Speisen und Getränke verzehrenden Kurgäste zu sorgen hatten. Konzerte im heutigen Sinne, bei denen ein Publikum den Darbietungen der Künstler schweigend lauscht, gab es zu dieser Zeit noch nicht. 1787 profilierte sich Georg Zethner als Leiter der weiterhin laienhaft und nicht fest organisierten Aachener Musikanten. Für die Aufführung von Haydns Oratorium Die Schöpfung im Jahr 1803 war etwa die Hälfte der insgesamt 48 Musikanten von auswärts zur Verstärkung eingeladen worden. Von einem klassischen Orchester oder einer überregional bedeutenden Aufführung konnte allerdings auch jetzt noch nicht die Rede sein, denn die vorliegende Quelle deutet eher auf ein – aus heutiger Sicht – peinlich improvisiertes und künstlerisch unbefriedigendes Dorfmusikantengeschehen. Dass vom damaligen Aachener Musikleben keine Berichte aus der überregional relevanten Musikliteratur vorliegen, kann als weiterer Hinweis für die in dieser Zeit geringe historische Bedeutung des Aachener Musiklebens angeführt werden.[2]
Anlässlich der Einweihung des neuen Stadttheaters am 28. März 1825 im Rahmen des achten, erstmals in Aachen stattfindenden Niederrheinischen Musikfestes wurden die Aachener Musikanten einschließlich des Chores auf 422 Mitglieder aufgestockt, um unter der Leitung von Ferdinand Ries Beethovens 9. Sinfonie aufführen zu können, wobei allerdings damals noch manche schwierige Passage „dezent“ ausgelassen wurden. Offensichtlich beherrschten die musikalisch nur unzureichend geschulten Musiker diese teilweise schwer zu spielenden Passagen nicht. Immerhin gab es eine professionelle Ausbildung der Orchestermusiker an einem Konservatorium Anfang des 19. Jahrhunderts noch nicht. Von da an nahmen die Aachener Musikanten und später dann das Städtische Orchester regelmäßig an diesem bis 1958 ausgetragenen Musikfest Teil, welches abwechselnd in den Städten Elberfeld, Düsseldorf, Köln und Aachen stattfand. Dabei wurde es vereinzelt von auswärtigen Gastdirigenten wie Felix Mendelssohn Bartholdy, Julius Rietz, Max Bruch, Carl Reinecke, Richard Strauss, Hans Pfitzner, Clemens Krauss oder Felix Weingartner geleitet. Auch traten immer öfter Gastinterpreten wie der erst 12-jährige César Franck (1835), Johann Strauss, Vater (1836) oder Jacques Offenbach (1843) mit dem Orchester auf. 1841 fand die erste große, nach Frankreich führende Auslandstournee des Sinfonieorchesters statt.
Nach der Gründung des Aachener Instrumentalvereins im Jahr 1844, der das städtische Orchester verstärken sollte, wurde durch Beschluss des Stadtrates das noch immer mit Freizeitmusikern bestückte Orchester im Jahr 1852 in eine feste, ständige Einrichtung umgewandelt, die nun Berufsmusiker im Angestelltenverhältnis beschäftigte. Damit war das Aachener Sinfonieorchester das erste seiner Art im Rheinland. Vorübergehend fanden die Musiker zwischen 1862 und 1864 im Bernarts-Theater in Aachen eine feste Bleibe, bevor sie sich dauerhaft im Theatergebäude einrichten konnten. Ab diesem Zeitpunkt bot das Orchester zusätzlich regelmäßige Winterabonnements, musikalische Projektwochen und ab 1910 die bekannten Kurkonzerte an. Dabei wurden sie je nach Programmgestaltung immer wieder von verschiedenen Gesangsvereinen und Chören, die in jenen Jahren zahlreich entstanden waren, begleitet. Zur Unterstützung des Orchesters und als Bindeglied zur Öffentlichkeit gründete sich im Jahr 1924 der Förderverein Gesellschaft der Musik- und Theaterfreunde zu Aachen. Seit einer Fusion mit dem jüngeren Verein accelerando – Freunde des Sinfonieorchesters Aachen und dem Förderverein Haus für Musik im Jahr 2006 heißt der Verein Musik- und Theaterfreunde Aachen.[3]
Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Konzertbetrieb soweit möglich aufrechterhalten. Die Aufführungen fanden aber teilweise in der Aula oder der Talbothalle der RWTH Aachen und im Aachener Dom statt. Nach dem Krieg begann das Orchester ab 1945 zunächst im 14-täglichen Rhythmus mit Aufführungen aus der Reihe der Dommusik. 1946 trat es bei dem ersten Musikfest im Kloster Steinfeld auf. Nach der Wiedereröffnung des Stadttheaters im Jahr 1951 nutzte das Sinfonieorchester dieses als Konzertraum. Im gleichen Jahr nahm es ebenfalls die im Krieg unterbrochenen Kurkonzerte wieder auf und übernahm ab 1958 wieder die musikalische Ausgestaltung der Aachener Heiligtumsfahrt. Darüber hinaus kam es in den Folgejahren zu zahlreichen Gastauftritten im In- und Ausland sowie zu regelmäßigen Gemeinschaftsveranstaltungen mit dem Aachener Domchor, dem Sinfonischen Chor Aachen, dem Aachener Bachverein, dem Jungen Chor Aachen und der Cappella Aquensis.
Einige später sehr bekannte Dirigenten wie Leo Blech, Fritz Busch, Herbert von Karajan und Wolfgang Sawallisch haben ihre Karriere in Aachen begonnen.
Kapellmeister und Musikdirektoren
Bearbeiten- 1787–1794 Georg Zethner (städtischer Kapellmeister)
- 1804–1823 Karl Matthias Engels
- 1823–1825 Paul Kreutzer (neue Bezeichnung: Städtischer Musikdirektor)
- 1825–1827 Justus Amadeus Lecerf
- 1828–1832 Wilhelm Telle
- 1834–1835 Ferdinand Ries
- 1835–1840 Anton Felix Schindler (zeitgleich auch Stiftskapellmeister am Aachener Dom)
- 1841–1842 Wenzel Heinrich Veit
- 1842–1857 Karl von Turanyi
- 1858–1865 Franz Wüllner
- 1865–1883 Ferdinand Breunung
- 1884–1887 Julius Kniese
- 1887–1912 Eberhard Schwickerath (1893–1898 Leo Blech, Kapellmeister)
- 1912–1919 Fritz Busch
- 1920–1935 Peter Raabe (neue Bezeichnung: Generalmusikdirektor) (1927–1932 Paul Pella musikalischer Oberleiter)
- 1935–1942 Herbert von Karajan
- 1942–1944 Paul van Kempen
- 1945–1946 Theodor Bernhard Rehmann (kommissarisch, hauptberuflich 1924–1963 Domkapellmeister)
- 1946–1953 Felix Raabe (Sohn von Peter Raabe)
- 1953–1958 Wolfgang Sawallisch
- 1958–1962 Hans Walter Kämpfel
- 1962–1975 Wolfgang Trommer
- 1974–1983 Gabriel Chmura
- 1983–1984 Jean-François Monnard (kommissarischer Musikdirektor)
- 1984–1990 Yoram David
- 1990–1992 Bruce Ferden
- 1992–1993 Stefan Lano (kommissarischer Musikdirektor)
- 1993–1996 Yukio Kitahara
- 1996–1997 Elio Boncompagni (kommissarischer Musikdirektor)
- 1997–2002 Elio Boncompagni
- 2002–2012 Marcus R. Bosch
- 2012–2017 Kazem Abdullah
- 2017–2018 Justus Thorau (kommissarischer Generalmusikdirektor)
- ab 2018 Christopher Ward
Diskografie (Auswahl)
BearbeitenMarcus R. Bosch mit dem Sinfonieorchester Aachen
- Ludwig van Beethoven: Missa solemnis, Alexandra Coku (Sopran), Daniela Denschlag (Alt), Andreas Scheidegger (Tenor), Martin Berner (Bass), Chor der vocapella, Livemitschnitt des Domkonzerts am 9. Februar 2008, (Coviello Classics)
- Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68 und Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98, 2007 (Coviello Classics)
- Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem op 45, Livemitschnitt des Domkonzerts vom 24. Februar 2007 (Coviello Classics)
- Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 8 c-Moll, Livemitschnitt des Konzerts "Bruckner in St. Nikolaus" am 9. Juni 2003 (Coviello Classics)
- Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 7 E-Dur, Livemitschnitt des Konzerts "Bruckner in St. Nikolaus" am 31. Mai 2004 (Coviello Classics)
- Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 5 B-Dur, Livemitschnitt des Konzerts "Bruckner in St. Nikolaus" am 16. Mai 2005 (Coviello Classics)
- Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 3 d-Moll, Livemitschnitt des Konzerts "Bruckner in St. Nikolaus" am 5. Juni 2006 (Coviello Classics)
- Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 4 Es-Dur, Livemitschnitt des Konzerts "Bruckner in St. Nikolaus" am 1. Juni 2008 (Coviello Classics)
- Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 2 c-Moll, Livemitschnitt des Konzerts "Bruckner in St. Nikolaus" am 24. Mai 2010 (Coviello Classics)
- Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 6 A-Dur, Livemitschnitt des Konzerts "Bruckner in St. Nikolaus" am 1. Juni 2009 (Coviello Classics)
- Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 9 d-Moll, Livemitschnitt des "Konzerts Bruckner in St. Nikolaus" am 28. Mai 2007 (Coviello Classics)
- Georg Friedrich Händel: Alexanderfestkonzert HWV 318 – oder Die Macht der Musik, Livemitschnitt des Konzerts im Alten Kurhaus am 5. Mai 2007
- Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 2 c-Moll "Auferstehung", Carola Höhn (Sopran), Anke Vondung (Mezzosopran), Livemitschnitt des Konzertes aus Anlass der Wiedereröffnung des Eurogress Aachen am 17. September 2005
- Felix Mendelssohn Bartholdy: Sinfonie Nr. 1 c-Moll, op 11 und Sinfonie Nr. 5 D-Dur/d-Moll, op. 107, Livemitschnitt des 7. und 8. Sinfoniekonzertes 2009 (Coviello Classics/Deutschlandradio Kultur)
- Wolfgang Amadeus Mozart: Krönungsmesse KV 317, Exsultate, jubilate KV 165, Vesperae solennes de Confessore KV 339, Ave verum KV 618, Dorothee Mields (Sopran), Mélanie Forgeron (Mezzosopran), Christoph Wittmann (Tenor), Martin Berner (Bariton), Chor der vocapella, Livemitschnitt des Domkonzerts am 4. März 2006 (Coviello Classics)
- Wolfgang Amadeus Mozart: concertos for two pianos KV 365, Klavierduo Anna und Ines Walachowski (Oehms Classics)
- Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem d-Moll KV 626, Ave verum KV 618, Judith Kuhn (Sopran), Gabriele May (Alt), Michael König (Tenor), Claudius Muth (Bass), Chor der vocapella, Livemitschnitt des Domkonzerts am 8. März 2003 (Verlag Friedrich Bischoff GmbH)
- Marijn Simons: Secret notes op. 19, a tí te toca op. 23, symphony No. 1 op. 26, Klavierduo Anna & Ines Walachowski, Livemitschnitt des Sinfoniekonzertes am 15. und 16. Dezember 2004 (NorthWest Classics)
- Mikis Theodorakis: Rhapsody for Cello and Orchestra, Suite from „Les amants de Téruel“, Johannes Moser (Violoncello), Livemitschnitt des Konzerts aus Anlass der Verleihung des IMC-UNESCO-Musikpreises an Mikis Theodorakis am 4. November 2005 (Coviello Classics)
- Giuseppe Verdi: Messa da Requiem, Melba Ramos (Sopran), Gabriele May (Alt), Michael Ende (Tenor), Martin Blasius (Bass), Chor der vocapella, Livemitschnitt des Domkonzerts am 12. Februar 2005, (Coviello Classics)
Literatur
Bearbeiten- Alfons Fritz: Theater und Musik in Aachen seit dem Beginn der preussischen Herrschaft
- Teil I in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins (ZAGV) 24 (1902), S. 165–231 (Textarchiv – Internet Archive).
- Teil II in: ZAGV 26 (1904), S. 165–277 (Textarchiv – Internet Archive).
- Teil III in: ZAGV 39 (1917), S. 1–154.
- Alfons Fritz: Die Entwicklung der Aachener Stadtmusik vom städtischen Harmoniekorps zum städtischen Orchester (1721–1852) und ihre Beziehung zur Münstermusik. In: ZAGV, 48/49 (1926/27), S. 121–189.
- Tonarten einer Stadt – eine Zeitreise durch die Aachener Musikgeschichte, hrsg. von Lutz Felbick, 292 Seiten, 304 Abbildungen, Bibliographie mit 502 Titeln (=Schriftenreihe Sammlung Crous; 11), Aachen 2018. ISBN 978-3-9817499-4-6. [Autoren: A. Beaujean (+), L. Felbick, N. Jers, H. Leuchter und T. Mengler].
- Lutz Felbick: Aachen. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Sachteil, Band 1 (Aachen – Bogen). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 1994, ISBN 3-7618-1102-0 (Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
Weblinks
Bearbeiten- Homepage des Sinfonieorchesters Aachen. Stadttheater und Musikdirektion Aachen, abgerufen am 22. Januar 2016.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Alfons Fritz: Musik zur Zeit der französischen Herrschaft. In: Aachener Geschichtsverein (Hrsg.): Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins. Band 23. Verlag der Cremerschen Buchhandlung (C. Cazin), Aachen 1901, S. 31–170 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Vgl. die Beiträge in der umfangreichen Veröffentlichung zur Aachener Musikgeschichte ‘‘Tonarten einer Stadt‘‘ und den MGG-Artikel Aachen.
- ↑ Website der Musik-und Theaterfreunde Aachen e. V. Abgerufen am 26. März 2021.