Verband der Gedenkstätten in Deutschland
Der Verband der Gedenkstätten in Deutschland e.V. / FORUM (VGDF) ist die gemeinnützige bundesweite Interessenvertretung der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen, Arbeitsgemeinschaften und Dokumentationszentren in der Bundesrepublik Deutschland. Der Dachverband wurde 2020 gegründet und vertritt über 300 aktive Einrichtungen und Zusammenschlüsse.
Geschichte
BearbeitenSeit den frühen 1980er-Jahren gab es Bestrebungen, die wachsende Zahl von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland zu vernetzen.[1] 1981 fand ein erstes überregionales Treffen von Initiativen und Aktiven in Hamburg statt. Zwei Jahre später trafen sich in Hannover erstmals Akteure zum bundesweiten Gedenkstättenseminar. Es wurde organisiert vom 1983 gegründeten Gedenkstättenreferat der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, das seit 1993 in der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin angesiedelt ist und seither maßgeblich die Gedenkstättenkooperation unterstützt.[2][3]
Auf regionaler und Bundeslandebene vernetzten sich die meist ehrenamtlich getragenen Gedenkstätten seit den 1990er-Jahren zunächst zu Arbeitsgemeinschaften mit Fokus auf speziellen historischen oder professionellen Themen wie "Euthanasie" und Gedenkstättenpädagogik. 1997 konstituierte sich die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland (AG KZ-Gedenkstätten) als erster überregionaler Zusammenschluss.[4] Hintergrund dieser Kooperation war die öffentliche Debatte um eine Bundesförderung der Gedenkstätten zur NS-Zeit und zur DDR-Geschichte, die sich aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“ des Bundestages ergab. Seither vertritt die AG KZ-Gedenkstätten in loser Form die Interessen der großen, inzwischen von der Bundesregierung institutionell geförderten KZ-Gedenkstätten in Deutschland. Grundlage der Bundesförderung für eine institutionelle und Projektförderung ist die in zwei Schritten 1997 und 2008 erarbeitete Gedenkstättenkonzeption des Bundes.[5] Auf Länderebene entstanden seit den 1990er-Jahren nach und nach eigenständige Förderstrukturen in der Form von Landesstiftungen oder der Eingliederung der Gedenkstättenförderung in die jeweilige Landeszentrale für politische Bildung.
Viele kleine und mittelgroße Gedenkstätten ebenso wie Erinnerungsinitiativen sahen sich durch die AG KZ-Gedenkstätten nicht vertreten. Auf der Basis der seit den 2000er-Jahren entstandenen Interessenvertretungen von Gedenkstätten auf Ebene der Bundesländer, meist als Landesarbeitsgemeinschaften organisiert, führte diese Diskussion 2014 zur Gründung des Forums der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen in Deutschland (FORUM).[6] Das FORUM wählte einen vierköpfigen Sprecher:innenrat, gab sich Richtlinien für seine Tätigkeit, die darauf abzielen, „dass sich die Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen untereinander stärker vernetzen und austauschen, um einerseits die eigene Professionalisierung zu fördern und andererseits auch innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Rahmens zu einer stärkeren Vertretung gemeinsamer Interessen und einer verbesserten öffentlichen Wahrnehmung zu gelangen“. Die Vorarbeit des FORUMS mündete dann schließlich in die am 9. Dezember 2020 erfolgte Gründung des Dachverbands VGDF, der 2022 als gemeinnütziger Verein eingetragen wurde.[7][8]
Organisation
BearbeitenDie Satzung[9] des Vereins bestimmt als Vereinsorgane die Mitgliederversammlung und den Vorstand.
Die Mitgliederversammlung wählte am 25. September 2024 in Weimar folgenden Vorstand:
- Henning Borggräfe (NS Dokumentationszentrum der Stadt Köln)
- Andreas Ehresmann (Gedenkstätte Lager Sandbostel)
- Jonas Kühne (Sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus)
- Thomas Lutz (vormals Gedenkstättenreferat, Stiftung Topographie des Terrors)
- Harald Schmid (Bürgerstiftung Schleswig-Holstenische Gedenkstätten).
Mitglieder des Verbands sind folgende Zusammenschlüsse:
- Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten in Mecklenburg-Vorpommern[10]
- Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V.[11]
- Gedenkstättenreferat der Stiftung Topographie des Terrors[12]
- Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit im Saarland[13]
- Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen in Baden-Württemberg[14]
- Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Hessen[15]
- Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein e. V.[16]
- Interessengemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten und Initiativen zur Erinnerung an die NS-Verbrechen e.V.[17]
- Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen zur NS-Zeit in Rheinland-Pfalz e.V.[18]
- Netzwerk der Erinnerungsorte zur NS-Zwangsarbeit in Deutschland
- Sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus[19]
Weitere Zusammenschlüsse sind mit dem Verband kooptiert:
- Arbeitskreis Justizgedenkstätten
- Arbeitsgemeinschaft „Euthanasie“-Gedenkstätten
- Denkstättenkuratorium NS-Dokumentation Oberschwaben.[20]
Tätigkeit
BearbeitenKernarbeitsfeld des VGDF ist die bundespolitische Lobbyarbeit für die über 300 aktiven Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen sowie weitere Zusammenschlüsse. Zu diesem Zweck arbeitet der Verband eng mit seinen Mitgliedsorganisationen und weiteren Kooperationspartnern zusammen, um deren Interessen und Bedarfe zu vertreten. Dies geschieht beispielsweise mittels Wahlprüfsteinen,[21] Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen[22] oder – wie 2024 – zur Debatte um ein "Rahmenkonzept Erinnerungskultur" der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien[23][24], ferner durch Gespräche mit kulturpolitischen Akteuren:innen vor allem des Bundestags, Beiträgen zur geschichts- und kulturpolitischen Debatte[25] und allgemeiner Öffentlichkeitsarbeit.[26]
Der Verband ist Mitglied im Beirat „Green Culture“-Anlaufstelle der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Literatur
Bearbeiten- Hans Berkessel, Cornelia Dold (Hrsg.): Erinnerungskultur im Wandel. Neue Herausforderungen und Wege des Lernens und Arbeitens in Gedenkstätten, Frankfurt am Main 2024
- Axel Drecoll, Michael Wildt (Hrsg.): Nationalsozialistische Konzentrationslager. Geschichte und Erinnerung, Berlin 2024
- Insa Eschebach (Hrsg.): Was bedeutet Gedenken? Kommemorative Praxis nach 1945, Berlin 2023
- Elke Gryglewski: Gedenkstättenpädagogik. Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen, Berlin 2015
- Enrico Heitzer u. a. (Hrsg.): Von Mahnstätten über zeithistorische Museen zu Orten des Massentourismus? Gedenkstätten an Orten von NS-Verbrechen in Polen und Deutschland, Berlin 2016
- Volkhard Knigge: Geschichte als Verunsicherung. Konzeptionen für ein historisches Begreifen des 20. Jahrhunderts, Göttingen 2020
- Habbo Knoch: Gedenkstätten, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.9.2018
- Habbo Knoch: Geschichte in Gedenkstätten. Theorie – Praxis – Berufsfelder, Tübingen 2020
- Habbo Knoch, Oliver von Wrochem (Hrsg.): Entdeckendes Lernen. Orte der Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen, Berlin 2022
- KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.): Gedenkstätten und Geschichtspolitik. Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 16, Bremen 2015
- Harald Schmid: "Erinnerung kann nicht überleben an einem toten Ort". Vergegenwärtigung des Nationalsozialismus in Gedenkstätten, in: Jahrbuch für Politik und Geschichte, Bd. 7, 2016-2019, S. 215–251
- Harald Schmid: Gedenkstätten zur NS-Zeit, in: Mathias Berek u. a. (Hrsg.): Handbuch sozialwissenschaftliche Gedächtnisforschung, Wiesbaden 2023, S. 317–329
- Christian Wiese u. a. (Hrsg.): Die Zukunft der Erinnerung. Perspektiven des Gedenkens an die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Shoah, Berlin/Boston 2021
Weblinks
Bearbeiten- Erinnerungsorte für die Opfer des Nationalsozialismus, Datenbank der Bundeszentrale für politische Bildung
- Liste der Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Andreas Ehresmann, Jonas Kühne, Harald Schmid: Sisyphos lässt grüßen. Von der Arbeitsgemeinschaft zum Bundesverband: Etappen bundesweiter Interessenvertretung der Gedenkstätten. In: Gedenkstättenrundbrief, 7/2023, Nr. 210. S. 148-153, abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Reinhard Rürup (Hrsg.): Netzwerk der Erinnerung. 10 Jahre Gedenkstättenreferat der Stiftung Topographie des Terrors. Berlin 2003, ISBN 3-9807205-3-5.
- ↑ 30 Jahre Gedenkstättenreferat der Stiftung Topographie des Terrors. Verabschiedung von Thomas Lutz. In: Stiftung Topographie des Terrors (Hrsg.): Gedenkstättenrundbrief. Band 7/2003, Nr. 210. Berlin.
- ↑ Oliver von Wrochem: Die Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten in Deutschland. In: Gedenkstättenrundbrief, 7/2023, Nr. 210. S. 43-52, abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes. Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung stärken, Gedenken vertiefen. Deutscher Bundestag, Drucksache 16/10565, 13. Oktober 2008, abgerufen am 10. März 2025.
- ↑ Forum der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen in Deutschland. In: Internet Archive. 19. Dezember 2020, abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Gründungserklärung des Verbands der Gedenkstätten in Deutschland. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Harald Schmid: Eine bundespolitische Lobby für über 300 aktive Erinnerungsorte. Verband der Gedenkstätten in Deutschland gegründet. In: Gedenkstättenrundbrief, Nr. 201/2021. S. 34-38, abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Satzung des VGDF. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten in Mecklenburg-Vorpommern. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Gedenkstättenreferat der Stiftung Topographie des Terrors. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit im Saarland. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen in Baden-Württemberg. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Hessen. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein e.V. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Interessengemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten und Initiativen zur Erinnerung an die NS-Verbrechen. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen zur NS-Zeit in Rheinland-Pfalz e.V. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismu. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Denkstättenkuratorium NS-Dokumentation Oberschwaben. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ VGDF-Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021. Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Stellungnahme zum Entwurf eines Demokratiefördergesetzes. 2. November 2022, abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ VGDF-Stellungnahme zum BKM-"Rahmenkonzept Erinnerungskultur". 30. Mai 2024, abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Dokumentation der Debatte um das BKM-"Rahmenkonzept Erinnerungskultur". Abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Harald Schmid: Die Mühen der Ebene. Zur Erinnerungskultur und Gedenkstättenpolitik. In: Politik & Kultur, 12-2021. Deutscher Kulturrat, S. 25, abgerufen am 8. März 2025.
- ↑ Demokratie verteidigen. Aus der Geschichte lernen - Pressemitteilung der bundesweiten Gedenkstättenkonferenz in Weimar. 26. September 2024, abgerufen am 8. März 2025.