Der Verschiebungsgradient (Formelzeichen: ) ist in der Kontinuumsmechanik ein einheitenfreier Tensor zweiter Stufe, der die lokale Verformung in einem materiellen Punkt eines Körpers beschreibt. Tensoren zweiter Stufe werden hier als lineare Abbildungen von geometrischen Vektoren auf geometrische Vektoren benutzt, die im Allgemeinen dabei gedreht und gestreckt werden, siehe Abbildung rechts.

Lineare Abbildung eines Vektors durch einen Tensor .

Die Verschiebung des Partikels eines Körpers ist die Strecke zwischen seiner aktuellen Lage und seiner Position in der (undeformierten) Ausgangslage. Der Verschiebungsgradient beschreibt nun, wie sich die Verschiebung ändert, wenn die Position in der Ausgangslage variiert. Mathematisch ist er der Gradient der den Verschiebungen zugeordneten Vektoren, daher der Name. Im allgemeinen Fall ist der Verschiebungsgradient sowohl vom Ort als auch von der Zeit abhängig. Die Komponenten des Verschiebungsgradienten berechnen sich wie eine Jacobimatrix und können auch in einer Matrix notiert werden.

Der Verschiebungsgradient unterscheidet sich vom Deformationsgradient nur durch den konstanten Einheitstensor, wird aber vor allem im Fall kleiner Verschiebungen benutzt. Kleine Verschiebungen liegen vor, wenn die größten, im Körper auftretenden Verschiebungen immer noch wesentlich kleiner sind als eine charakteristische Abmessung des Körpers. Bei kleinen Verschiebungen ist der Verschiebungsgradient eine grundlegende Größe mit der lokale Drehungen, Streckungen und Dehnungen quantifiziert werden. Sein symmetrischer Anteil entspricht beispielsweise der Ingenieursdehnung.

Definition

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Der materielle Körper wird mit Konfigurationen in einen euklidischen Vektorraum abgebildet. In ihm wird die Bewegung eines materiellen Punktes mit der Bewegungsfunktion

 

beschrieben. Der Vektor   ist die aktuelle Position des materiellen Punktes   zur Zeit   in der Momentankonfiguration. Die Komponenten   sind die räumlichen Koordinaten des Punktes bezüglich der Standardbasis  . Der Vektor

 

ist genauer die Position des betrachteten materiellen Punktes im undeformierten Körper in der Ausgangs- oder Referenzkonfiguration. Die Komponenten   sind die materiellen Koordinaten des betrachteten Punktes.

Bei festgehaltenem materiellen Punkt   beschreibt die Bewegungsfunktion dessen Bahnlinie durch den Raum. Die Verschiebung ist nun der Differenzvektor zwischen der aktuellen Lage des Punktes im deformierten Körper und seiner ursprünglichen Lage im undeformierten Körper:

 .

Um zu untersuchen wie sich die Verschiebung ändert, wenn die Position in der undeformierten Ausgangslage variiert wird, wird die Ableitung gebildet:

 .

Darin sind   die Komponenten des Verschiebungsgradienten bezüglich des Basissystems  .

Um zu einer koordinatenfreien Darstellung zu gelangen, wird das dyadische Produkt   benutzt:

 .

Der Tensor   ist der Verschiebungsgradient und   ist das Symbol für den materiellen Gradienten, denn es wird nach den materiellen Koordinaten   abgeleitet.

Geometrische Linearisierung

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In der Festkörpermechanik treten in vielen, vor allem in technischen Anwendungsbereichen, nur kleine Verschiebungen auf. In diesem Fall erfahren die Gleichungen der Kontinuumsmechanik eine erhebliche Vereinfachung durch geometrische Linearisierung. Wenn   eine charakteristische Abmessung des Körpers ist, dann wird bei kleinen Verschiebungen sowohl   als auch   gefordert, so dass alle Terme, die höhere Potenzen von   oder   beinhalten, vernachlässigt werden können. Die Bezeichnungen für den Deformationsgradient

 ,

den symmetrischen-

 

und schiefsymmetrischen Anteil

 

des Verschiebungsgradienten werden im Folgenden benutzt. Der linearisierte Verzerrungstensor

 

ist in der technischen Mechanik wohlbekannt und wird auch Ingenieursdehnung genannt.

Deformationsgradient und seine Polarzerlegung

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Bei kleinen Verschiebungen sind die Invarianten des Deformationsgradienten Funktionen der Spur des Verschiebungsgradienten:

Operator Allgemeine Definition Form bei kleinen Verschiebungen
Spur    
Zweite Hauptinvariante    
Determinante    
Frobeniusnorm    

Der Deformationsgradient   lässt sich eindeutig „polar“ in eine Rotation und eine reine Streckung zerlegen. Durch Anwendung der Polarzerlegung resultiert die Darstellung

 .

Der Rotationstensor   ist ein „eigentlich orthogonaler Tensor“. Der materielle Rechte Strecktensor   und der räumliche Linke Strecktensor   sind symmetrisch und positiv definit. Bei kleinen Verschiebungen sind sie identisch und linear in den linearisierten Dehnungen, wie die folgende Tabelle zeigt:

Name Allgemeine Definition Form bei kleinen Verschiebungen
Rechter Strecktensor   [1]  
Linker Strecktensor  [1]  
Rotationstensor    

Die Identitäten

 

zeigen, dass bei kleinen Verzerrungen die Polarzerlegung des Deformationsgradienten in die additive Zerlegung des Verschiebungsgradienten in seinen schiefsymmetrischen und symmetrischen Anteil übergeht. Der Anteil

 

wird linearisierter Rotationstensor und der symmetrische Anteil

 ,

wird, wie oben erwähnt, linearisierter Verzerrungstensor oder Ingenieursdehnung genannt.

Bei den Inversen der Tensoren in der Tabelle dreht sich bei geometrischer Linearisierung das Vorzeichen des Anteils des Verschiebungsgradienten um:

 

Strecktensoren

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Der rechte und linke Cauchy-Green Tensor sind bei kleinen Verschiebungen identisch und linear in den linearisierten Dehnungen:

Name Allgemeine Definition Form bei kleinen Verschiebungen
Rechter Cauchy-Green Tensor    
Linker Cauchy-Green Tensor    

Auch hier dreht sich bei Invertierung im geometrisch linearen Fall das Vorzeichen von   um:

 .

Verzerrungstensoren

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Mit den obigen Ergebnissen für die Strecktensoren kann sofort bestätigt werden, dass die Verzerrungstensoren bei kleinen Verschiebungen in den linearisierten Verzerrungstensor   oder sein negatives übergehen:

Name Allgemeine Definition Form bei kleinen Verschiebungen
Green-Lagrange Verzerrungstensor    
Biot-Verzerrungstensor    
Hencky Dehnungen   [1]   [1]
Piola-Verzerrungstensor    
Euler-Almansi Verzerrungstensor    
Finger-Tensor    
Swainger-Verzerrungstensor    .

Siehe auch

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Fußnoten

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  1. a b c d Der Funktionswert eines symmetrischen, positiv definiten Tensors zweiter Stufe berechnet sich mittels seiner Hauptachsentransformation, Bildung des Funktionswertes der Diagonalelemente und Rücktransformation.

Literatur

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