Vicus Orsingen

archäologische Stätte in Deutschland

Der Vicus Orsingen war eine römische Zivilsiedlung (vicus) auf dem Gebiet des heutigen Dorfes Orsingen im baden-württembergischen Landkreis Konstanz, die wohl der Kreuzung zweier Römerstraßen ihre Entstehung verdankt.

Werbung für das Hegaumuseum in Singen mit Terra Sigillata aus Orsingen

Ausgrabungen auf dem Gebiet des Vicus

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Amphorenfragment (Hegaumuseum Singen)

Bereits im 19. Jahrhundert wurde vom emeritierten Naturforscher Lorenz Oken, der auf der Suche nach der Römerstraße von Stein am Rhein (Eschenz) nach Rottweil war, in Orsingen im Gewann „Kopfäcker“ ein Gebäude, das als kleines Badehaus gedeutet wurde, entdeckt. Die Anlage wurde ein Jahr später, im Jahr 1847, seitens des Altertumsvereins für das Großherzogtum Baden ausgegraben[1] und damit Orsingen als römischer Vicus erstmals bekannt. Als um 1960 ein neuer Ortsteil entstand, der später Römereck genannt wurde, fand man zahlreiche Mauerreste, Pflasterungen und Scherben aus römischer Zeit.[2] Zudem brachte der Bau eines Möbelhauses am westlichen Ortsausgang 1976 schließlich römische Fundamente und drei Altarsteine aus Sandstein zutage, die der Kreisarchäologe Jörg Aufdermauer in einer Notgrabung sichern konnte. Er interpretierte den Befund als gallo-römischen Umgangstempel des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. mit einer quadratischen Cella und einem sogenannten Umgang, also einem überdachten Raum außerhalb des zentralen Heiligtums. Dieser Typus, bei dem Teile der römischen Tempelarchitektur mit keltischen Bauweisen vereint wurden, spricht für die Vermengung römischer und keltischer Einflüsse im vicus.[3]

In den darauffolgenden Jahren wurden beim Verlegen eines Fernmeldekabels sowie einer Wasserleitung immer wieder römische Siedlungsschichten angeschnitten. Unter anderem kam Terra Sigillata zutage, mit Hilfe derer Dietrich Wollheim erstmals eine Datierung des Vicus versuchte.[4] Luftbildarchäologische Untersuchungen ließen sogar drei für einen vicus typische Streifenhäuser erkennen, es fand aber keine Ausgrabung statt, wobei überhaupt eine systematische Untersuchung zum römischen Orsingen noch aussteht.[5]

Eine monographische Vorlegung des aufgefundenen römerzeitlichen Materials mit Bearbeitung der bislang bekannten Funde und Befunde erfolgt derzeit im Rahmen eines Dissertationsprojekts durch Eric Breuer.[6]

 
Lage des Vicus Orsingen im Schnittpunkt zweier Römerstraßen

Der Vicus, eine reine Zivilsiedlung, erstreckte sich über eine Länge von 800 m von Nord nach Süd und eine Breite von 300 m von Ost nach West. Er wurde wohl von den nahen römischen villae rusticae versorgt, wie den beiden nur wenige Kilometer entfernt liegenden Gutshöfen bei Eigeltingen bzw. Homberg oder dem Gutshof von Wahlwies. Die Ausdehnung der Siedlung zeigt ebenso wie die Tatsache, dass Thermen und ein Tempel vorhanden waren, dass es sich um einen wichtigen Rast- und Handelsplatz gehandelt haben dürfte, der im Schnittpunkt zweier Römerstraßen lag. Eine Straße führte von Neuhausen ob Eck über Orsingen nach Ludwigshafen. Wahrscheinlich gab es direkt von Ludwigshafen einen Anschluss an den Vicus des Kastells in Konstanz, wie die in einer Reihe liegenden römischen Siedlungsstellen Bodman-Ludwigshafen, Allensbach-Langenrain und Reichenau belegen. Die andere führte vom Kastell Eschenz (Tasgetium) zum Kastell nach Mengen-Ennetach.[7] Der genaue Verlauf dieser Römerstraße, die in der Literatur „rätische Grenzstraße“ genannt wird, war von Tasgetium über Rielasingen, Singen, Friedingen, Steißlingen nach Orsingen und dann weiter über Schweingruben und das Ablachtal nach Meßkirch, Krauchenwies nach Mengen-Ennetach.[8]

Gebäude

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Jupiterstatuette aus Orsingen, Museum für Vor- und Frühgeschichte (Freiburg)

Die von Oken beschriebene Thermenanlage mit apodyterium (Auskleideraum), tepidarium (Warmbad), frigidarium (Kaltbad) und caldarium (Heißbad) findet sich auch in vergleichbaren Vici. Der bereits beschriebene ausgegrabene Tempel mit quadratischem Grundriss, dessen Kultraum (cella) farbig bemalt war, war offensichtlich Teil eines ganzen heiligen Bezirks, worauf andere Fundamente kleinerer Bauwerke hinweisen, die als eine Art Kapellen gedeutet werden können.[9]

Sonstige Funde

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Religiöse Funktion hatte auch ein im Jahr 1992 von einer Schülergruppe des Stockacher Nellenburg-Gymnasiums im Schutt gefundenes, sehr gut erhaltenes Jupiterfigürchen aus Bronze. Die nur 8 cm große Statuette stand vermutlich auf einem Hausaltar und stammt aus dem 2./3. Jahrhundert n. Chr.

Ebenfalls als ein Zufallsfund kam bei Kanalarbeiten eine medizinische Löffelsonde ans Tageslicht.[10]

Datierung

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Die immer wieder im Aushub aufgetauchte Terra Sigillata belegt für Orsingen eine Siedlungskontinuität von ca. 80 n. Chr. bis zum Limesfall um das Jahr 260 n. Chr., was größtenteils durch im Bereich der Badeanlage, des Tempelbezirks und im Gewann „Kopfäcker“ gefundene römische Münzen belegt wird, die von der Zeit Vespasians bis Marc Aurel reichen. Zu diesem Zeitpunkt gehörte der westliche Hegau zur Provinz Germania superior, der östliche Teil zur Provinz Raetia. Dass ein großer Teil der gefundenen Terra Sigillata verkohlt ist, könnte auf eine größere Brandkatastrophe hindeuten, die mit germanischen Einfällen um 230 n. Chr. in Verbindung gebracht wurde. Dass sich die Alamannen schließlich dauerhaft in diesem Gebiet niederließen, darauf weist die Endung -ingen im Ortsnamen hin, ein Prozess, der allerdings erst im 6./7. Jahrhundert stattgefunden haben dürfte.[11]

Literatur

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  • Jörg Aufdermauer: Gallorömischer Umgangstempel. Orsingen-Nenzingen (KN). In: Dieter Planck (Hrsg.): Die Römer in Baden-Württemberg, von Aalen bis Zwiefalten. Konrad Theiss, Stuttgart 2005, S. 242.
  • Jürgen Hald, Wolfgang Kramer (Hrsg.): Archäologische Schätze im Kreis Konstanz. Greuter, Konstanz 2011.
  • Hilde Hiller: Eine Jupiter-Statuette aus Orsingen im Hegau. In: Archäologische Nachrichten aus Baden. Band 54, 1995, ISSN 0178-045X.
  • Hans Stather: Der römische Hegau (= Hegau-Bibliothek. Bd. 89). Hartung-Gorre, Konstanz 1993, S. 55–59.
  • Ferdinand Stemmer: Orsingen. Geschichte eines Hegaudorfes. Verein für die Geschichte des Hegaus, Singen 1977.
  • Ernst Wagner, Ferdinand Haug (Hrsg.): Fundstätten und Funde aus vorgeschichtlicher, römischer und alamannisch-fränkischer Zeit im Großherzogtum Baden. Band 1: Das Badische Oberland: Kreise Konstanz, Villingen, Waldshut, Lörrach, Freiburg, Offenburg, Tübingen. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1908, S. 64–65 (Digitalisat).
  • Dietrich Wollheim: Römerzeitliche Keramik aus Orsingen/Hegau. In: Archäologische Nachrichten aus Baden. Band 28, 1982, S. 36–41, ISSN 0178-045X.
  • Dietrich Wollheim: Auf den Spuren der Römer im Hegau. In: Fredy Meyer: Römer, Ritter, Regenpfeifer. Streifzüge durch die Kulturlandschaft westlicher Bodensee. Stadler, Konstanz 1995.

Einzelnachweise

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  1. Ernst Wagner, Ferdinand Haug (Hrsg.): Fundstätten und Funde aus vorgeschichtlicher, römischer und alamannisch-fränkischer Zeit im Großherzogtum Baden. Band 1: Das Badische Oberland: Kreise Konstanz, Villingen, Waldshut, Lörrach, Freiburg, Offenburg, Tübingen. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1908, S. 64–65 (Digitalisat).
  2. Dieter Wollheim: Römerzeitliche Keramik aus Orsingen/Hegau. In: Archäologische Nachrichten aus Baden. Nr. 28. Freiburg i. Br. 1982, S. 36.
  3. Jörg Aufdermauer: Die wichtigsten archäologischen Unternehmungen des Jahres 1976. In: Hegau: Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee. Band 34, 1977, S. 199–201.
  4. Dietrich Wollheim: Römerzeitliche Keramik aus Orsingen/Hegau. In: Archäologische Nachrichten aus Baden. Band 28, 1982, S. 36–41, ISSN 0178-045X.
  5. Hans Stather: Der römische Hegau (= Hegau-Bibliothek. Band 89). Hartung-Gorre, Konstanz 1993, S. 151.
  6. V. Jauch: Vicustöpfer – Keramikproduktion im römischen Oberwinterthur (= Vitudurum. Band 10). Zürich 2014, S. 177, Anm. 1087; S. 179, Anm. 1125.
  7. Jürgen Hald, Wolfgang Kramer (Hrsg.): Archäologische Schätze im Kreis Konstanz. Greuter, Konstanz 2011.
  8. Hansjörg Schmid, Hans Eberhardt: Archäologie im Umland der Heuneburg. Neue Ausgrabungen und Funde an der oberen Donau zwischen Mengen und Riedlingen. Vorträge des 2. Ennetacher Arbeitsgespräches vom 18. März 1999 und Begleitheft zur Ausstellung im Heuneburgmuseum (21. Mai–31. Oktober 1999). Gesellschaft für Vor- und Frühgeschichte in Württemberg und Hohenzollern. Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg, Nr. 40. Stuttgart 1999, ISBN 3-927714-38-0, S. 101.
  9. Jörg Aufdermauer: Gallorömischer Umgangstempel. Orsingen-Nenzingen (KN). In: Dieter Planck (Hrsg.): Die Römer in Baden-Württemberg, von Aalen bis Zwiefalten. Konrad Theiss, Stuttgart 2005, S. 242.
  10. Marianne Müller-Dürr: Medizinische Instrumente der Römerzeit in Baden-Württemberg. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg. Band 35, 2015, S. 327.
  11. Dietrich Wollheim: Römerzeitliche Keramik aus Orsingen/Hegau. In: Archäologische Nachrichten aus Baden. Band 28, 1982, S. 36–41, hier S. 41, ISSN 0178-045X.

Koordinaten: 47° 50′ 13,2″ N, 8° 55′ 31,1″ O