Totales Differential

alternative Bezeichnung der Differentialrechnung
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Das totale Differential (auch vollständiges Differential) ist im Gebiet der Differentialrechnung eine alternative Bezeichnung für das Differential einer Funktion, insbesondere bei Funktionen mehrerer Variablen. Zu einer gegebenen total differenzierbaren Funktion bezeichnet man mit das totale Differential, zum Beispiel:

Hierbei ist eine offene Teilmenge des reellen Vektorraums oder allgemeiner eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Zur Unterscheidung von totalen und partiellen Differentialen werden hier unterschiedliche Symbole benutzt: ein „nicht-kursives d“ beim totalen Differential und ein „kursives d“ () für die partiellen Ableitungen. Zu beachten ist, dass im Folgenden immer die totale Differenzierbarkeit der Funktion vorausgesetzt wird, und nicht nur die Existenz der partiellen Ableitungen, durch die in der obigen Formel dargestellt wird.

Traditionell, und noch heute oft in den Natur- und Wirtschaftswissenschaften, versteht man unter einem Differential wie eine infinitesimale Differenz.

Dagegen versteht man in der heutigen Mathematik unter einem totalen Differential eine Differentialform (genauer: eine 1-Form). Diese kann man entweder als rein formalen Ausdruck auffassen oder als lineare Abbildung. Das Differential einer Funktion im Punkt ist dann die lineare Abbildung (Linearform), die jedem Vektor die Richtungsableitung von am Punkt in Richtung von zuordnet. Mit dieser Bedeutung wird das (totale) Differential auch totale Ableitung genannt. Mit dieser Bedeutung lässt sich der Begriff auch auf Abbildungen mit Werten im , in einem anderen Vektorraum oder in einer Mannigfaltigkeit verallgemeinern.

Einfacher Fall

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Totales Differential im einfachen Fall

Für eine Funktion   zweier unabhängiger Variablen   versteht man unter dem totalen Differential den Ausdruck[1]

 

Totales Differential heißt der Ausdruck, weil er die gesamte Information über die Ableitung enthält, während die partiellen Ableitungen nur Information über die Ableitung in Richtung der Koordinatenachsen enthalten. Die Summanden   und   werden gelegentlich auch partielle Differentiale genannt.[2]

Anwendung (Verkettung)

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Hängen   und   von einer Größe   ab (zum Beispiel wenn sie die Bahn eines Punktes in der Ebene in Abhängigkeit von der Zeit   beschreiben), sind also Funktionen   und   gegeben, so kann die Ableitung der zusammengesetzten Funktion

 

wie folgt berechnet werden:

Die Ableitungen von   und   lassen sich schreiben als   und  .

Einsetzen in das totale Differential liefert:

 

Die letzte Zeile ist die in der Physik übliche Schreibweise.

Division durch   liefert:

 

Mathematisch ist dies eine Anwendung der mehrdimensionalen Kettenregel (siehe unten).

Abweichender Gebrauch der Begriffe partielle und totale Ableitung in der Physik

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In der Mechanik werden typischerweise Situationen behandelt, in denen die Funktion   nicht nur von den Ortskoordinaten   und   abhängt, sondern auch von der Zeit. Wie oben wird der Fall betrachtet, dass   und   die Ortskoordinaten eines sich bewegenden Punktes sind. In dieser Situation hängt die zusammengesetzte Funktion

 

in doppelter Weise von der Zeit   ab:

  1. Dadurch, dass   selbst in der ersten Variablen von   abhängt. Diese Zeitabhängigkeit nennt man explizit.
  2. Dadurch, dass die Ortskoordinaten   und   von   abhängen. Diese Zeitabhängigkeit nennt man implizit.

Man spricht nun von der partiellen Ableitung von   nach der Zeit, wenn man die partielle Ableitung der ersten Funktion meint, also

 

bei festen   und  . Hier wird also nur die explizite Zeitabhängigkeit berücksichtigt.

Hingegen spricht man von der totalen Ableitung von   nach der Zeit, wenn man die Ableitung der zusammengesetzten Funktion meint, also

 

Die beiden hängen wie folgt zusammen:

 

Hier werden also die explizite und die implizite Zeitabhängigkeit berücksichtigt (Terme aus der expliziten Zeitabhängigkeit, die gegenüber dem allgemeinen Gebrauch der totalen Zeitableitung hinzugekommen sind, wurden hier blau markiert).

Beispiel aus der Fluidmechanik

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Mit   werde die Temperatur zur Zeit   am Ort   bezeichnet.

Die partielle Ableitung   beschreibt dann die zeitliche Temperaturänderung an einem festen Ort  .

Die Temperaturänderung, die ein sich mit der Strömung bewegendes Teilchen erfährt, hängt aber auch von der Ortsänderung ab. Die totale Ableitung der Temperatur lässt sich dann wie oben mit Hilfe des totalen Differentials beschreiben:

 

bzw.

 

Das totale Differential als lineare Abbildung

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Reeller Vektorraum

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Für den Fall, dass   eine offene Teilmenge des reellen Vektorraums   ist und   eine differenzierbare Funktion von   nach  , ist zu jedem Punkt   das totale Differential   eine lineare Abbildung, die jedem Vektor   die Richtungsableitung in Richtung dieses Vektors zuordnet, also

 .

Da das totale Differential   eine lineare Abbildung nach   ist, also eine Linearform, lässt es sich in folgender Form schreiben

 ,

wobei   die Linearform ist, die einem Vektor   seine  -te Komponente   zuordnet, das heißt   (duale Basis).

Unter Zuhilfenahme des Gradienten lässt sich das totale Differential auch wie folgt schreiben:

 ,

wobei auf der rechten Seite das Skalarprodukt steht.

Mannigfaltigkeit

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Für den allgemeinen Fall ist zu jedem Punkt   das totale Differential   eine lineare Abbildung, die jeder Tangentialrichtung   die Richtungsableitung in diese Richtung zuordnet. Ist   der Tangentialvektor einer Kurve   in   mit  , so ist

 

Das totale Differential   ist somit ein Element des Kotangentialraums   von   am Punkt  .

Für eine Darstellung von   in Koordinaten betrachte man eine Karte   einer Umgebung   des Punkts   mit  . Mit   werde die Standardbasis des   bezeichnet. Die   verschiedenen Kurven   repräsentieren eine Basis   des Tangentialraums   und mittels

 

erhält man die partiellen Ableitungen. Analog zum reellen Vektorraum gilt dann

 ,

wobei   das totale Differential der Funktion   ist, also das Element aus dem Kotangentialraum  , das dual zum Basisvektor   ist.

Betrachtet man Tangentialvektoren   als Derivationen, so gilt  .

Kettenregel

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Ist   eine differenzierbare Funktion und ist  ,   ein differenzierbarer Weg (zum Beispiel die Beschreibung eines sich bewegenden Punktes), so gilt für die Ableitung der verketteten Funktion:

 

Die analoge Aussage gilt für Mannigfaltigkeiten.

Differential und lineare Approximation

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Die Ableitung einer total differenzierbaren Funktion   im Punkt   ist eine lineare Abbildung (Funktion), die die Funktion

 

approximiert, also

  mit   

für kleine Änderungen  .

 
Differentiale als kleine Änderungen

In der modernen Mathematik bezeichnet man als (totales) Differential   von   im Punkt   gerade diese Funktion (siehe oben). Die Begriffe „totales Differential“ und „totale Ableitung“ sind somit gleichbedeutend. Die Darstellung

 

ist also eine Gleichung zwischen Funktionen. Auch die Differentiale   sind Funktionen, nämlich die Koordinatenfunktionen, die dem Vektor   die  -te Komponente   zuordnen:  . Die Approximierungseigenschaft schreibt sich somit als

 

In der traditionellen, in vielen Naturwissenschaften verbreiteten Sichtweise stehen die Differentiale   für die kleinen Änderungen   selbst. Das totale Differential   von   steht dann für den Wert der genannten linearen Abbildung, und die Approximationseigenschaft schreibt sich als

 

bzw:

 

Beispiele für diese Sichtweise zeigen das nebenstehende Bild und das Bild oben.

Integrabilitätsbedingung

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Jedes totale Differential   ist eine  -Form, das heißt   besitzt folgende Darstellung

 ,

man sagt, die  -Form ist exakt. Im Kalkül der Differentialformen wird die Cartan-Ableitung   als folgende  -Form beschrieben:

 

Handelt es sich bei   tatsächlich um ein totales Differential   einer  -Funktion  , d. h. gilt  , so ist

 

nach dem Satz von Schwarz.

Lokal gilt auch immer die Umkehrung: Erfüllt die 1-Form   die Bedingung  , man sagt,   ist geschlossen, so existiert zumindest in einer Umgebung jedes gegebenen Punktes eine Stammfunktion von  , d. h., eine differenzierbare Funktion  , so dass   ist. Aus dem Satz von Schwarz folgt, dass jede exakte Form geschlossen ist.

Man nennt die Bedingung   deshalb auch Integrabilitätsbedingung. Ausführlich formuliert lautet sie:

Für alle Indizes   gilt    ,

bzw:

Für alle Indizes   gilt    ,

was im Hinblick auf physikalische Anwendungen auch als verallgemeinerte Rotationsbedingung bezeichnet wird.

In vielen Fällen existiert dann sogar eine globale Stammfunktion und   ist tatsächlich ein totales Differential. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn der Definitionsbereich der Differentialform   der euklidische Raum   ist, oder allgemeiner wenn er sternförmig oder einfach zusammenhängend ist.

Die Aussage, dass auf einer Mannigfaltigkeit   jede 1-Form, die die Integrabilitätsbedingung erfüllt, eine Stammfunktion besitzt (also ein totales Differential ist), ist äquivalent dazu, dass die erste De-Rham-Kohomologie-Gruppe   trivial ist.

Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung

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Betrachtet man   und eine beliebige  -Form  . Dann gilt aus Dimensionsgründen immer   und die für   gültige Integrabilitätsbedingung ist erfüllt. Somit gibt es eine Funktion   die die Gleichung   bzw.   erfüllt. Dies ist gerade der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung für Funktionen einer Variablen.

Verallgemeinerungen

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Ganz analog (im Prinzip komponentenweise) lässt sich die totale Ableitung für vektorwertige Funktionen definieren. Als Verallgemeinerung für Abbildungen in eine differenzierbare Mannigfaltigkeit erhält man Pushforwards.

In der Funktionalanalysis kann man den Begriff der totalen Ableitung in naheliegender Weise für Fréchet-Ableitungen verallgemeinern, in der Variationsrechnung für die sog. Variationsableitungen.

Neben dem exakten Differential gibt es ebenfalls inexakte Differentiale.

Literatur

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  • Robert Denk, Reinhard Racke: Kompendium der Analysis, Band 1, 1. Auflage, 2011.
  • Otto Forster: Analysis 2, 11. Auflage, 2017.

Einzelnachweise

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  1. Lothar Papula: Mathematik für Ingenieure. Band 2, 5. Auflage. 1990.
  2. Ilja N Bronstein, Konstantin A Semendjajew: Taschenbuch der Mathematik. 7. überarb. und erg. Auflage. Harri Deutsch, Frankfurt 2008, ISBN 978-3-8171-2007-9