Ödem

Wassersucht, Krankheit
(Weitergeleitet von Wassereinlagerung)
Klassifikation nach ICD-10
R60 Ödem
I50.1 Linksherzinsuffizienz
Akutes Lungenödem
G93.6 Hirnödem (exkl. Geburtsverletzung und traumatisch)
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Ödem (von altgriechisch οἴδημα oídēma, deutsch ‚Schwellung‘) oder die „Wassersucht“ ist eine Schwellung von Körpergewebe aufgrund einer Einlagerung von Flüssigkeit aus dem Gefäßsystem.

Geschichte

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Ödeme werden seit dem Altertum beschrieben und behandelt. Im antiken Griechenland verstand man unter einem Ödem jede „Geschwulst“, also sowohl „die Wassergeschwulst als auch die feste Geschwulst“.[1]

Im Jahr 1761 gelang es Jean-Nicolas Corvisart, die kardiale Wassersucht mittels der von Leopold Auenbrugger entwickelten Methode der Perkussion zu diagnostizieren. Eine ausführliche Beschreibung der Wassersucht veröffentlichte 1813[2] der englische Mediziner John Blackall (1771–1860), dem es allerdings nicht gelang, eine spezifische Therapie daraus abzuleiten.[3]

„Ein klassisches Beispiel für die Folgen chronischer Unterernährung ist die Ödemkrankheit. In größerem Umfange wurde dieses Leiden in Europa im Kriege 1914 bis 1918 beobachtet, wenn man von den sicher verbürgten Nachrichten über die Häufigkeit der Wassersucht unter den napoleonischen Soldaten absieht. Die als Gefängniskachexie beschriebenen hydropischen Zustände sind mit dem Bild der Ödemkrankheit nahezu identisch. Ob die auf Segelschiffen früher beobachtete Wassersucht eine Ödemkrankheit darstellt oder, wie vermutet wird, mit der hydropischen Form der Beriberi identisch ist, bleibt eine offene Frage.“[4]

Früher wurden wegen der ähnlichen Symptomatik die Ödemkrankheit, die Wassersucht, die Herzinsuffizienz und die Niereninsuffizienz häufig als identisch angesehen. Zahlreich waren die „Theorien der Ödementstehung“.[5] Otto Dornblüth verstand 1893 unter einem Ödem jede „Ansammlung wässriger Flüssigkeit in den Spalträumen des Bindegewebes“.[6]

Entstehung

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Lidödem

Ödeme sind meist Folge einer zugrundeliegenden Erkrankung, also im engeren Sinne ein Symptom, z. B. bei einer Herz- oder Niereninsuffizienz oder einer Leberzirrhose. Venöse Abflussstörungen können zu lokalisierten Ödemen führen, eine Beinvenen­thrombose z. B. kann zu einer Schwellung des betroffenen Beins führen.

Wird die Flüssigkeit im Gewebe nicht ausreichend über die Lymphbahnen abgeführt, so nennt man dieses ein Lymphödem („Wasser in den Beinen“).

Weiterhin kann es zum Ödem kommen, wenn die Konzentration von Bluteiweißen (Albuminen) abnimmt (Hypalbuminämie). Das geschieht z. B. beim Hungerödem (zu geringe Eiweißzufuhr) und beim nephrotischen Syndrom, das durch hohe Eiweißverluste über die Nieren gekennzeichnet ist. Allerdings hat die neuere Forschung gezeigt, dass Personen, die wegen einer genetischen Abweichung keine Albumine ausbilden, eine normale Lebenserwartung ohne größere gesundheitliche Beeinträchtigungen haben.[7]

Durch entzündliche oder allergische Prozesse kann es zu einer erhöhten Durchlässigkeit der Kapillaren kommen. Die hierbei ins Gewebe austretende Flüssigkeit ist eiweißreich und wird Exsudat genannt.

Auch Medikamente können zur Ödementstehung beitragen. In Studien konnte das für Kalziumantagonisten, vor allem Dihydropyridine der 1. Generation, für Protonenpumpenhemmer, für nichtsteroidale Antiphlogistika und für Diuretika (Circulus vitiosus durch hochpotente Stoffe wie Torasemid) nachgewiesen werden. Ödeme können auch hormonell verursacht sein, z. B. durch Östrogene.[8]

Eine weitere Ursache ist eine langanhaltende Belastung durch ausschließliches Sitzen oder Stehen (orthostatisches Ödem), vor allem wenn dies mit reduzierter Bewegung (Inaktivitätsödem) verbunden ist und das Gewebewasser nicht mehr durch die Muskelpumpe abtransportiert werden kann. Dies ist vor allem in höherem Alter eine häufige Erscheinung: z. B. einseitig im gelähmten Bein nach Schlaganfällen, aber auch oft bei Rollstuhlfahrern mangels regelmäßiger Bewegung der Beine.

In seltenen Fällen kann eine Infektion mit dem Parvovirus B19 Ödeme hervorrufen.[9]

Molekularbiologie

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Bei dem krankhaften Überschuss von Gewebsflüssigkeit (Zwischenzellflüssigkeit) der Ödeme ist regelmäßig eine erhöhte Durchlässigkeit (Permeabilität) der kleinsten Blutgefäße (Kapillaren) beteiligt. Diese Durchlässigkeit wird durch vielfältige biochemische Kettenreaktionen gesteuert und kann dementsprechend durch viele Ursachen gestört werden.[10]

Beteiligt sind hier unter anderem die Transmembranproteine Occludin, Claudine, ZO, Cadherine und Catenine, die direkt durch intrazelluläre Signalketten gesteuert werden, insbesondere unter Mitwirkung des Enzyms Proteinkinase C.[11]

Diagnose

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Ödem als Folge eines durch Interleukin-11 ausgelösten Vascular-Leak-Syndroms

Anamnese (Krankenvorgeschichte)

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Bei der Erhebung der Krankenvorgeschichte (Anamnese) wird nach Vorerkrankungen (z. B. Koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, Alkoholmissbrauch) und Medikamenten gefragt, die zu Herz-, Nieren- oder Leberkrankheiten führen können.

Die Lokalisation der Wassereinlagerungen gibt weitere Hinweise: Bei Luftnot liegt möglicherweise ein Lungenödem bei Versagen der linken Herzkammer vor. Wassereinlagerungen im Bauch (Aszites) weisen auf eine Lebererkrankung hin. Schwellungen der Beine können durch Versagen der rechten Herzkammer, chronisches Nierenversagen, Venenerkrankungen oder Lymphabflussstörungen verursacht sein.

Wichtig ist auch der zeitliche Verlauf: Bei Frauen kann es im Rahmen des Menstruationszyklus zu periodischen Wassereinlagerungen kommen. Diese sollten jedoch nicht mit Diuretika behandelt werden, da durch die Behandlung die Symptome eher verschlimmert würden.

Körperliche Untersuchung

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Massive Unterschenkelödeme

Beim Lungenödem sind beim Abhören mit dem Stethoskop (Auskultation) feuchte Rasselgeräusche zu hören. Zur sicheren Diagnose ist eine Lungen-Röntgen-Aufnahme erforderlich, da andere Lungenkrankheiten, wie z. B. eine Lungenembolie ähnliche Symptome verursachen können. Eine Schwellung des Leibes kann auf Wassereinlagerungen in der Leibeshöhle (Aszites) bei Leberzirrhose, nephrotischem Syndrom oder Rechtsherzversagen hinweisen. Beim Abklopfen ist ein gedämpfter Klopfschall zu hören, unter Umständen kann beim Beklopfen der Bauchwand eine Flüssigkeitswelle ausgelöst werden. Die Diagnose kann durch eine Ultraschalluntersuchung gesichert werden. Wassereinlagerungen in Bauchwand und Flanken (Anasarka) können bei schwerem Herzversagen oder fortgeschrittenem Nierenversagen auftreten. Eindrückbare Schwellungen der Beine, wie sie schon bei Alexander von Tralleis (525–605) als Ödemsymptom beschrieben[12] wurden, weisen auf venöse Abflussstörungen, eine Herzinsuffizienz oder eine Nierenerkrankung hin, eine einseitige Schwellung des Beines spricht dabei für eine Venenerkrankung. Nicht eindrückbare Schwellungen der Beine findet man dagegen bei Lymphabflussstörungen und beim Myxödem infolge einer Unterfunktion der Schilddrüse. Schwellungen der Augenlider können auf Eiweißverluste über die Nieren hinweisen.

Labordiagnostik

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Eine Erhöhung des Kreatinins im Serum weist auf eine Niereninsuffizienz hin. Wenn die Eiweißausscheidung im Urin bei Erwachsenen mehr als 2,5 g pro Tag beträgt, dann liegt am ehesten ein nephrotisches Syndrom vor.

Therapie

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Behandelt wird in Abhängigkeit von der Ursache. Periphere Ödeme an den Armen und Beinen werden mit Kompressionstherapie behandelt. Kardiale und hepatische Ödeme werden mit Diuretika ausgeschwemmt. Meistens ist eine orale Gabe ausreichend, nur bei Resorptionsproblemen oder im Notfall (Lungenödem) wird eine intravenöse Gabe bevorzugt. Hierbei sollte die Gewichtsreduktion nicht mehr als 1–1,5 kg pro Tag betragen. Bei einer höheren Ödemausschwemmung steigt das Risiko für Hypovolämien und Thrombosen signifikant.[13] Bei fehlender Ausscheidung (Anurie) bei einem Nierenversagen muss der Flüssigkeitshaushalt manchmal durch eine Dialyse kontrolliert werden. Lymphödeme werden unter anderem physiotherapeutisch mit Lymphdrainage oder mit einer Vakuumtherapie behandelt, Ödeme auf Grund von Eiweißmangel durch eine entsprechende Substitutionstherapie. Allergische Prozesse werden symptomatisch mit Antihistaminika und Cortison behandelt.

Diuretika bei Niereninsuffizienz

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Ödeme bei Nierenunterfuktion (Niereninsuffizienz) werden häufig mit Mitteln der Entwässerung (Diuretika) behandelt. Eine solche Behandlung ist jedoch umstritten, und es gibt weder in den Leitlinien der Fachgesellschaften noch in der wissenschaftlichen Literatur eindeutige Empfehlungen hierzu.[14] Das liegt daran, dass alle Diuretika in die Physiologie der Niere eingreifen und ihre bereits verminderten Funktionen zusätzlich stören und weiter herabsetzen.[15][16][17]

Spezielle Ödemformen

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Siehe auch

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Literatur

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  • Ulrich Herpertz: Ödeme und Lymphdrainage. Diagnose und Therapie, 6. aktualisierte Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-13-243581-0.
  • K. P. Trayes, J. S. Studdiford, S. Pickle, A. S. Tully: Edema: diagnosis and management. In: American family physician. Band 88, Nummer 2, Juli 2013, S. 102–110, PMID 23939641 (Review) (freier Volltext).
  • D. Lent-Schochet, I. Jialal: Physiology, Edema. [Updated 2023 May 1]. In: StatPearls [Internet]. StatPearls Publishing, Treasure Island (FL) Januar 2024. Auf: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK537065/.
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Commons: Edema – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Ludwig August Kraus: Kritisch-etymologisches medicinisches Lexikon. 3. Auflage. Verlag der Deuerlich- und Dieterichschen Buchhandlung, Göttingen 1844, S. 679 f. Digitalisat der Ausgabe von 1844, Internet Archive.
  2. John Blackall: Observations on the Nature and Cure of Dropsies, and Particulary on the Presence of the Coagulable Part of the Blood in the Dropsical Urine. 1813.
  3. Johanna Bleker: Die Geschichte der Nierenkrankheiten. Boehringer Mannheim, Mannheim 1972, S. 80–83 und 88–80.
  4. Max Bürger: Einführung in die innere Medizin, Sammelwerk „Der Kliniker“, Verlag Walter de Gruyter, Berlin 1952, S. 309 f.
  5. Hermann Straub: Das Ödem. In: Lehrbuch der inneren Medizin. 4. Auflage. 2. Band, Verlag von Julius Springer, Berlin 1939, S. 35–39.
  6. Otto Dornblüth: Wörterbuch der klinischen Kunstausdrücke. Verlag von Veit & Comp., Leipzig 1894, S. 90.
  7. B. M. Foster, A. Abdollahi, G. C. Henderson: Alterations in the Plasma Protein Expression Pattern in Congenital Analbuminemia-A Systematic Review. In: Biomolecules. Band 13, Nummer 3, Februar 2023, S. , doi:10.3390/biom13030407, PMID 36979342, PMC 1004634 (freier Volltext) (Review).
  8. P. Schweikert-Wehner: Ödeme durch Medikamente. In: Herzmedizin. Nr. 2, 2021, ISSN 0171-9238, S. 43–45.
  9. Ein rätselhafter Patient: Wasser, überall Wasser. Spiegel Online, 2. März 2013. Benedikt Wiggli, Edelbert Imhof, Christoph A. Meier, Gerd Laifer: Water, water, everywhere. In: The Lancet. Band 381, März 2013, Nr. 9868, S. 776, doi:10.1016/S0140-6736(12)61894-7.
  10. A. Cai, C. Chatziantoniou, A. Calmont: Vascular Permeability: Regulation Pathways and Role in Kidney Diseases. In: Nephron. Band 145, Nummer 3, 2021, S. 297–310, doi:10.1159/000514314, PMID 33744890 (Review) (freier Volltext).
  11. A. Doucet, G. Favre, G. Deschênes: Molecular mechanism of edema formation in nephrotic syndrome: therapeutic implications. In: Pediatric nephrology. Band 22, Nummer 12, Dezember 2007, S. 1983–1990, doi:10.1007/s00467-007-0521-3, PMID 17554565, PMC 2064946 (freier Volltext) (Review).
  12. Horst Kremling: Zur Entwicklung der klinischen Diagnostik. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 23, 2004, S. 233–261, hier: S. 251 f. (Ödeme).
  13. Martin Wehling: Klinische Pharmakologie. Thieme, 2011, ISBN 3-13-126822-0.
  14. R. Greite, K. Schmidt-Ott: Was ist gesichert in der Therapie der chronischen Nierenerkrankung?. In: Innere Medizin. Band 63, Nummer 12, Dezember 2022, S. 1237–1243, doi:10.1007/s00108-022-01422-9, PMID 36323846, PMC 9684262 (freier Volltext) (Review).
  15. L. Zhou, Y. Li, Q. Gao, Y. Lin, L. Su, R. Chen, Y. Cao, R. Xu, F. Luo, P. Gao, X. Zhang, P. Li, S. Nie, Y. Tang, X. Xu,. On Behalf Of The Each Study Investiga: Loop Diuretics Are Associated with Increased Risk of Hospital-Acquired Acute Kidney Injury in Adult Patients: A Retrospective Study. In: Journal of clinical medicine. Band 11, Nummer 13, Juni 2022, S. , doi:10.3390/jcm11133665, PMID 35806949, PMC 9267783 (freier Volltext).
  16. Y. H. Khan, A. Sarriff, A. S. Adnan, A. H. Khan, T. H. Mallhi: Chronic Kidney Disease, Fluid Overload and Diuretics: A Complicated Triangle. In: PLOS ONE. Band 11, Nummer 7, 2016, S. e0159335, doi:10.1371/journal.pone.0159335, PMID 27442587, PMC 4956320 (freier Volltext).
  17. L. M. Lim und andere: Hyponatremia is Associated with Fluid Imbalance and Adverse Renal Outcome in Chronic Kidney Disease Patients Treated with Diuretics. In: Sci Rep. 6. Jahrgang, 2016, S. 36817, doi:10.1038/srep36817, PMID 27841359, PMC 5108044 (freier Volltext) – (nih.gov).