Wikipedia:Wiki Loves Broadcast/Statement zum FAZ-Beitrag vom 18.01.2022

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Sehr geehrter Herr Bernet,
in Ihrem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Januar 2022 positionieren Sie sich in Ihrer Rolle als Co-Vorsitzender des Berufsverband der Dokumentarfilmschaffenden in Deutschland zu der Verwendung der mit dem Rundfunkbeitrag finanzierten Filmausschnitte in der Wikipedia und ihren Schwesterprojekten. Sie werfen Wikimedia Deutschland, Förderverein der deutschsprachigen Wikipedia-Community, und der Wikimedia Foundation, Trägerin der Wikipedia, vor, im Eigeninteresse bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und in politischen Sphären dafür zu sorgen, dass professionell erstellte Medieninhalte unter freien Lizenzen veröffentlicht werden, um über eine API für andere Unternehmen selbst Geld daran zu verdienen. Ihr Vorwurf ist, das ginge auf Kosten von Filmschaffenden, die davon nichts abbekommen und somit als Branche in ihrer Existenz bedroht sind.

Erlauben Sie uns an der Stelle, uns kurz selbst vorzustellen: Wir sind innerhalb der Wikipedia-Community eine Gemeinschaft an ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren, die sich zu dem Projekt „Wiki Loves Broadcast“ zusammengeschlossen hat. Ein Community-getriebenes Projekt, das seit 2016 daran arbeitet, Inhalte, die speziell für das Fernsehen erstellt wurden, in die Wikipedia zu integrieren. Nach mehrjähriger Vorarbeit stellten sich 2019 erste Erfolge damit ein, dass uns das ZDF fünf Clips aus der Reihe Terra X zur Verfügung stellte, die wir sofort in diverse Artikel eingearbeitet haben. Der Erfolg nach außen hin folgte unmittelbar und ermöglichte uns, das Projekt auszuweiten. Durch unermüdliche Arbeit ehrenamtlicher Community-Mitglieder, Runder Tische, Netzwerktreffen und offenen Briefen schufen wir so in den letzten Jahren eine Sammlung ehemals unter proprietären Lizenzen stehender audiovisueller Werke, die durch freie Lizenzen und die Einbindung in die größte deutschsprachige Enzyklopädie beträchtliche Anzahlen neuer Zielgruppen erreichen.

Diese zugegebenermaßen ausführliche Selbstvorstellung ist notwendig, um einen zentralen Punkt klarzumachen, den Sie grundlegend missverstanden zu haben scheinen. Das Projekt geht aus dem deutschsprachigen Raum von der ehrenamtlich arbeitenden Community aus. Wir bekommen für unsere Arbeit kein Geld und arbeiten zum Leidwesen der Foundation auch oft so, dass sich mit unserer Arbeit nicht wirklich Geld verdienen lässt. Häufig arbeitet die ehrenamtliche Wikipedia-Community auch gegen die Interessen der Foundation oder Wikimedia Deutschland. So ist es einzig und allein der Community vorbehalten, Inhalte wie die Clips des ZDF in die Wikipedia einzuarbeiten. Weder Wikimedia Deutschland noch die Wikimedia Foundation können hierauf Einfluss nehmen.

Dabei ist es, anders als es beispielsweise für Apple, Google, Amazon und Facebook üblich ist, nicht unser Interesse, Profit zu machen. Im Gegenteil: Wir arbeiten seit 2001 daran, eine Plattform zu schaffen, die das Ziel hat, das gesamte Wissen der Menschheit abzubilden und allen Menschen frei zugänglich zu machen. Daher kommen kommerzielle Lizenzen für uns nicht in Frage und wir setzen uns stattdessen sehr erfolgreich dafür ein, dass Bildungsinhalte wie die ZDF-Filmausschnitte frei lizenziert werden. Allein die Terra-X-Clips erreichen aktuell über 2 Mio. Aufrufe pro Monat. Das sind, um es in Relation zu setzen, 2 Mio. Aufrufe mehr, als diese aufwändig produzierten (und bereits bezahlten) Inhalte erzielt hätten, wenn sie unter proprietären Lizenzen und der Depublikationspflicht unterliegend für ein Jahr in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender verschwinden würden. Aus unserer Sicht verhelfen wir diesen großartig gemachten, kurzen Erklärungsvideos aber auch Landschafts-, Tier- und Orchesteraufnahmen anderer Sender zu einer viel größeren Reichweite und ermöglichen es Menschen, die ein genuines Interesse daran haben, sich über diese Themen zu informieren, an hochwertige Inhalte dazu zu kommen. Frei, wiederverwendbar und einfach zugänglich.

Unsere Sicht deckt sich damit nicht nur mit der des designierten ZDF-Intendanten Norbert Himmlers, sondern auch mit der des ZDF-Fernsehrates und den Redaktionen diverser anderer öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten auf nationaler und zunehmend auch europäischer Ebene. Übrigens ist das auch kein geheimer, nicht-einsehbarer Prozess, der hinter verschlossenen Türen stattfindet, sondern wird der gesamte Fortschritt offen und transparent online dokumentiert.

Um zum Abschluss noch auf einen Aspekt einzugehen: die von Ihnen als „Vulgärformel“ charakterisierte Forderung Öffentliches Geld = Öffentliches Gut ist mitnichten ein „Ausdruck einer zeittypischen Verquickung von libertärer Staatsverachtung und Kollektivismus-Idealen“. Ohne auf die Gehirnakrobatik einzugehen, die hinter dem Gedanken steht, einerseits aus einer klaren Ablehnung des Staates auf eine hyper-individualisierte und ultra-kapitalistische Welt zu setzen, gleichzeitig aber für einen Kollektivismus zu sein, ist er schlichtweg falsch. Die Community hinter der Wikipedia ist nicht die Wikimedia Foundation und auch diese ist nicht gleichzusetzen mit den profitgierigen Konzernen aus dem Silicon Valley. Hinter der zitierten Forderung steht also nicht die Hoffnung, alles kostenlos zu bekommen. Sondern schlichtweg Dinge, für die die Allgemeinheit bereits gezahlt hat, auch dieser zuzuführen.

Dass Sie also in Sorge sind, weil Sie aufgrund der Veränderungen im Markt für audiovisuelle Medien die Sorge haben, Ihrer Existenzgrundlage beraubt zu werden, sei Ihnen unbenommen. Wir möchten jedoch anmerken, dass die AG Dok wie auch Gewerkschaften mehrfach mit am Runden Tisch beteiligt waren und dass eine CC-Lizenzierung von Rundfunkmaterialien nur nach einer entsprechenden Einwilligung der Beteiligten erfolgt. Diese gäbe es natürlich nicht, wenn sie für die Urheber nachteilig wäre. Ihre Ängste aus Unwissenheit auf eine Bewegung zu projizieren, die für ein hehres Ideal kämpft und sich darum bemüht, auf ihrem Weg dahin so viele Partner wie möglich ins Boot zu holen, ist schlichtweg unbegründet. Niemand wird durch das Bereitstellen bereits bezahlter Inhalte im Netz weniger Produktionsaufträge vergeben und damit werden Sie und andere Filmschaffende auch nicht ärmer, sondern viele Menschen (intellektuell) reicher. Somit bleibt aus unserer Sicht nur zu hoffen, dass Sie unsere Beweggründe hinter dem Ganzen verstehen.

Für Wiki Loves Broadcast: Johann Lensing (Rogi), Kevin Golde (Wikiolo) und die WLB-Community