Absturz einer Embraer Legacy 600 der Gruppe Wagner

Flugunfall in Russland

Am 23. August 2023 kam es bei Kuschenkino in der Oblast Twer zum Absturz einer Embraer Legacy 600, bei dem laut russischen Angaben sowohl der Eigentümer und Kopf der Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, als auch der Gründer und militärische Leiter, Dmitri Utkin, ums Leben gekommen seien. Die Maschine war auf dem Flug von Moskau nach Sankt Petersburg. Es handelte sich um den ersten Zwischenfall mit Todesopfern an Bord einer Maschine der Embraer-ERJ-Familie.

Absturz einer Embraer Legacy 600 der Gruppe Wagner

Das Flugzeug, März 2022

Unfall-Zusammenfassung
Unfallart ungeklärt
Ort bei Kuschenkino, Oblast Twer, Russland Russland
Datum 23. August 2023
Todesopfer 10
Überlebende 0
Luftfahrzeug
Luftfahrzeugtyp Brasilien Embraer EMB-135BJ Legacy 600
Betreiber RusslandRussland Gruppe Wagner
Kennzeichen RusslandRussland RA-02795
Abflughafen Flughafen Moskau-Scheremetjewo, Russland Russland
Zielflughafen Flughafen Sankt Petersburg, Russland Russland
Passagiere 7
Besatzung 3
Listen von Luftfahrt-Zwischenfällen

Passagiere und Besatzung

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Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (links) und Dmitri Utkin, die auf der Passagierliste standen

Am Tag des Absturzes wurden nach Angaben von Interfax zehn Leichen geborgen.[1] Laut der Passagier- und Besatzungsliste, die am Abend des 23. August von der russischen Föderalen Agentur für Lufttransport (Rosawiazija) veröffentlicht wurde, befanden sich sieben männliche Passagiere und eine dreiköpfige Besatzung (Pilot, Co-Pilot und Flugbegleiterin) an Bord der Maschine;[2] die Identität der Passagiere wurde später laut russischen Behörden durch DNA-Analyse bestätigt.[3] Im Einzelnen waren folgende Personen an Bord der Maschine:[4][5]

Passagiere

  • Jewgeni Prigoschin
  • Dmitri Utkin
  • Waleri Tschkalow (Leiter von Wagners Logistik)
  • Alexander Totmin (Leibwächter Prigoschins)
  • Jewgeni Makarjan (Leibwächter Prigoschins)
  • Sergei Propustin (Wagner-Veteran und Offizier)
  • Nikolai Matusejew (Wagner-Veteran und Offizier)

Besatzungsmitglieder

Flugverlauf

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Flugverlauf und Absturzstelle

Der innerrussische Flug startete laut Aviation Safety Network um 17:53 Uhr Ortszeit am Flughafen Moskau-Scheremetjewo.[6] Ziel war der Flughafen Sankt Petersburg. Aus bisher unbekannten Gründen stürzte das Flugzeug im Bereich des Ortes Kuschenkino, Oblast Twer, bei einer Fluggeschwindigkeit von 513 kn (950 km/h) und aus einer Höhe von 28.000 ft (8.534 m) steil zu Boden, ohne dass zuvor ein Notruf abgesetzt worden war.[1] Um 18:20 Uhr Ortszeit empfing Flightradar24 die letzten Signale der Maschine. Zu diesem Zeitpunkt, also nach 27 Minuten Flugzeit, war sie nach einem rasanten Sinkflug noch 6.012 m hoch, nachdem sie ca. 10–15 Sekunden vorher noch knapp 8.534 m Höhe hatte.[7] Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Flugobjekt trudelnd und qualmend in Richtung Erde stürzt.[8][1][9] Augenzeugen hätten von zwei lauten Explosionen vor dem Absturz berichtet. Die Trümmerteile lägen weit verteilt im Umkreis der Absturzstelle. Das spricht für ein Zerbersten des Flugzeuges bereits in der Luft.[10][11] Ein Augenzeuge berichtet, dass ein Flügel abbrach und sich der Rumpf mit dem anderen Flügel Richtung Erdboden bewegte.[12]

Mögliche Absturzursachen

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Die russischen Behörden lehnten es ab, den Absturz des Flugzeuges trotz entsprechender Angebote gemäß standardisierten Vorgehensweisen nach internationalen Regeln untersuchen zu lassen.[13][14] Aus diesem Grund lassen sich russische Angaben zur Unfallursache nicht unabhängig überprüfen. Im Oktober 2023 teilte der russische Präsident Wladimir Putin mit, in den Körpern der Absturzopfer seien Handgranatenfragmente gefunden worden, womit nahegelegt wurde, dass die Maschine durch Eigenverschulden abgestürzt sei. Putin betonte, es habe keine Einwirkung von außen auf die Maschine gegeben.[15]

Spekulationen gehen von einem gezielten Abschuss durch die russische Flugabwehr aus. Laut US-Verteidigungsministerium gäbe es jedoch keine Hinweise, dass das Flugzeug von einer Rakete abgeschossen wurde.[16]

Das Wall Street Journal berichtete, dass laut westlichen Geheimdiensten und einem ehemaligen russischen Geheimdienstmitarbeiter der russische Sicherheitsrat unter Führung von Nikolai Patruschew die Tötung von Prigoschin angeordnet hat. Demnach wurde bei einem Sicherheitscheck kurz vor dem Start ein Sprengsatz unter einer Tragfläche befestigt. Der russische Staatspräsident Wladimir Putin sei vorab über die Attentatspläne informiert worden und habe keine Einwände dagegen erhoben.[17][18]

Reaktionen

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Gedenkstätte für Prigoschin und Utkin in Moskau

Laut dem Telegram-Kanal Grey Zone, über den Prigoschin seine Nachrichten zu verbreiten pflegte, ist der Privatjet von der Flugabwehr der russischen Streitkräfte abgeschossen worden.[19] Der Absturz erfolgte zwei Monate nach dem von Prigoschin angeführten Aufstand der Gruppe Wagner, der sich gegen die russische Militärführung im Ukrainekrieg richtete und von Putin als Verrat angesehen wurde. Wegen zahlreicher Todesfälle von Kremlkritikern kam es nach dem Absturz innerhalb und außerhalb Russlands zu zahlreichen Spekulationen darüber, dass es sich bei dem Ereignis um ein gezieltes Attentat der russischen Regierung gehandelt haben könnte.[20] Diese ließ durch ihren Sprecher Dmitri Peskow eine Verantwortung für den Absturz dementieren.[21] Der russische Staatspräsident Wladimir Putin sprach den Angehörigen am Tag nach dem Absturz sein Beileid aus und kündigte eine Untersuchung an.[22] Am ehemaligen Wagner-Hauptquartier in Sankt Petersburg versammelten sich Sympathisanten und Mitglieder von Wagner, um mit Blumen und Kerzen und vereinzelt auch Vorschlaghämmern[23] Prigoschins zu gedenken und ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen.[1][24] Vorschlaghämmer sind eine Referenz auf die Praxis der Gruppe Wagner, Gefangene, Deserteure bzw. sogenannte Verräter mit Vorschlaghämmern hinzurichten.[25][26]

Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj wies eine Verantwortung der Ukraine für den Absturz des Flugzeugs zurück.[16]

US-Präsident Joe Biden erklärte: „Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber ich bin nicht überrascht“ und fügte hinzu, in Russland passiere nicht viel, ohne dass Staatschef Putin dahinter stecke.[27] Das US-amerikanische Verteidigungsministerium erklärte am Tag nach dem Absturz, es gäbe keine Hinweise, dass das Flugzeug von einer Rakete abgeschossen wurde.[16] Nach vorläufigen Einschätzungen von US-Geheimdiensten führte eine „interne Explosion“ an Bord des Flugzeugs zum Absturz.[28] Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte zwar vor übereilten Schlussfolgerungen, stellte aber fest, man habe Ähnliches „auf traurige, dramatische Art und Weise in den Vorjahren schon gesehen, wo Oppositionelle, wo Journalisten, wo einfache Menschen aus dem Fenster gefallen sind oder vergiftet worden sind“.[29]

Flugzeug

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Die abgestürzte Maschine war ein 2007 gebautes Geschäftsreiseflugzeug des Typs Embraer EMB-135BJ Legacy 600 mit der Werknummer 14501008, das zunächst mit dem Luftfahrzeugkennzeichen PT-SKY auf den Hersteller Embraer zugelassen wurde. Am 19. Oktober 2007 wurde die Maschine an ihren Erstbetreiber, die slowenische Linxair, ausgeliefert, bei der sie mit dem Kennzeichen S5-ABL in Betrieb ging. Am 30. September 2015 übernahm die österreichische International Jet Management die Maschine, sie wurde mit dem Kennzeichen OE-IFF zugelassen. Ab dem 24. Oktober 2017 war die Maschine bei der türkischen MNG Jet in Betrieb. Am 2. Oktober 2018 wurde sie auf die auf den Seychellen registrierte Autolex Transport zugelassen, ein Unternehmen, das aufgrund seiner Verbindung zu Jewgeni Prigoschin von den Sanktionen gegen Russland seit dem Überfall auf die Ukraine betroffen ist. Sie trug in dieser Zeit das Luftfahrzeugkennzeichen M-SAAN der Isle of Man. Seit dem 9. September 2020 war die Embraer mit dem Kennzeichen RA-02795 auf die in Moskau ansässige[30] Firma MNT-Aero zugelassen. Das zweistrahlige Flugzeug war mit zwei Mantelstromtriebwerken des Typs Rolls-Royce AN AE3007A1P ausgerüstet.

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Einzelnachweise

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  1. a b c d Wagner-Kanal vermeldet Prigoschins Tod. In: Der Spiegel. 24. August 2023, abgerufen am 24. August 2023.
  2. Росавиация опубликовала список пассажиров разбившегося Embraer. In: Kommersant. 23. August 2023, abgerufen am 23. August 2023 (russisch).
  3. DNA-Test bestätigt Tod von Wagner-Chef Prigoschin. In: welt.de, 27. August 2023.
  4. Russian Offensive Campaign Assessment, August 23, 2023. In: understandingwar.org. Institute for the Study of War, abgerufen am 23. August 2023 (englisch).
  5. Brady Knox: Who were the other passengers aboard Prigozhin's crashed plane? In: Washington Examiner. 24. August 2023, abgerufen am 24. August 2023 (englisch).
  6. Accident Embraer EMB-135BJ Legacy 600 RA-02795, 23 Aug 2023. In: Aviation Safety Network. Abgerufen am 25. August 2023.
  7. Russian Legacy 600 crashes near Tver. In: flightradar24.com. 24. August 2023, abgerufen am 24. August 2023.
  8. +++ 09:47 Wagner-Konvoi soll auf dem Weg von Belarus nach Russland sein +++. In: n-tv.de. 24. August 2023, abgerufen am 24. August 2023.
  9. Yevgeny Prigozhin dead: Moment Wagner chief's jet crashes in Russia after 'explosion' auf YouTube, 23. August 2023, abgerufen am 25. August 2023 (englisch; Die britische Daily Mail bietet in ihrem YouTube-Kanal eine Zusammenstellung verschiedener Handyvideos, die den Absturz zeigen).
  10. Absturz von Prigoschin-Flugzeug – was bekannt ist und was nicht. In: mdr.de. Abgerufen am 24. August 2023.
  11. Mike Wall: Wreckage of Russian warlord's plane spotted from space (satellite photo). In: space.com. 24. August 2023, abgerufen am 25. August 2023.
  12. Prigozhin plane crash: What we know over a week after Wagner chief’s death. In: Al Jazeera English. Al Jazeera Media Network, 31. August 2023, abgerufen am 3. September 2023: „Kuzhenkino resident Vitaly Stepenok, 72, told the Reuters news agency: […] “One wing flew off in one direction, and the fuselage went like that,” he said, gesturing with his arms to show how the plane headed down towards the ground. “And then it glided down on one wing. It didn’t nose-dive, it was gliding.”“
  13. Russland untersucht Prigoschin-Absturz nicht nach internationalen Regeln. Brasilianische Luftfahrtbehörde. In: Der Spiegel (online). 30. August 2023, abgerufen am 30. August 2023: „Die Regierung in Moskau habe der brasilianischen Luftfahrtbehörde Cenipa mitgeteilt, dass sie »vorerst« keine Untersuchung des Absturzes nach internationalen Regeln einleiten werde, teilte das brasilianische Zentrum für Forschung und Prävention von Luftfahrtunfällen (Cenipa) am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters mit. […] Nach Angaben der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation der Vereinten Nationen (ICAO) mit Sitz in Montreal unterliegen Inlandsflüge, wie Prigoschins Flug von Moskau nach St. Petersburg, nicht den internationalen Vorschriften.“
  14. Friedrich Schmidt: Russland will Prigoschin-Absturz nicht international untersuchen lassen. UNGLÜCKSURSACHE. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 30. August 2023, abgerufen am 30. August 2023: „Russland will den Absturz des Privatflugzeugs, bei dem am Mittwoch vergangener Woche Jewgenij Prigoschin, sechs weitere mit dessen Wagner-Miliz verbundene Männer sowie drei Besatzungsmitglieder getötet wurden, „im Moment“ nicht nach internationalen Regeln untersuchen lassen. Das berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf die brasilianische Aufsichtsbehörde CENIPA. […] Doch habe das MAK der CENIPA geantwortet, derzeit keine entsprechende Untersuchung zu wollen. Nach internationalen Regeln war der Flug von Moskau nach Sankt Petersburg ein Inlandflug. Die Russen seien daher „nicht verpflichtet“, die brasilianischen Kollegen einzuladen, „es wird ihnen nur empfohlen“, sagte CENIPA-Leiter Marcelo Moreno gegenüber Reuters.“
  15. Putin nennt bizarren Grund für Prigoschins Flugzeugabsturz
  16. a b c Ukraine-News am 24. August: US-Geheimdienste sehen offenbar Explosion als Absturz-Ursache. In: Der Spiegel. 24. August 2023, abgerufen am 25. August 2023.
  17. Prigoschins Tod: Putin-Vertrauter soll für Attentat auf Wagner-Chef verantwortlich sein. In: Der Spiegel. 22. Dezember 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 22. Dezember 2023]).
  18. Thomas Grove, Alan Cullison and Bojan Pancevski: WSJ News Exclusive | How Putin’s Right-Hand Man Took Out Prigozhin. 22. Dezember 2023, abgerufen am 22. Dezember 2023 (amerikanisches Englisch).
  19. Prigoschin-Kanal nennt Flugzeugabsturz gezielten Abschuss. In: blue News. 18. August 2023, abgerufen am 24. August 2023.
  20. Sven Scharf: Putins Rache? Auf diese Kremlkritiker wurden Anschläge verübt. In: Der Spiegel. 24. August 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 25. August 2023]).
  21. Kreml bestreitet Verwicklung in Prigoschin-Fall. Abgerufen am 25. August 2023.
  22. Putin bestätigt nach Flugzeugabsturz indirekt Tod Prigoschins. In: tagesschau.de. 24. August 2023, abgerufen am 24. August 2023.
  23. Hear why someone left a sledgehammer at a Prigozhin memorial | CNN. 25. August 2023, abgerufen am 27. August 2023 (englisch).
  24. Janita Hämäläinen: Mutmaßlicher tödlicher Absturz: Was der Fall Prigoschin für Putin und die Machtverhältnisse im Kreml bedeutet. In: Der Spiegel. 24. August 2023, abgerufen am 25. August 2023.
  25. Andrew Roth: Man who filmed killing of Syrian identified as Russian mercenary. The Guardian, 21. November 2019.
  26. Guy Faulconbridge: Video shows sledgehammer execution of Russian mercenary. In: Reuters. 13. November 2022 (reuters.com [abgerufen am 13. November 2022]).
  27. Reaktionen auf Fall Prigoschin: Von Joe Biden bis zur deutschen Innenpolitik sehen viele die Schuld bei Putin. In: Der Spiegel. 24. August 2023, abgerufen am 24. August 2023.
  28. Helene Cooper: Was Prigozhin Killed in the Plane Crash? It Will Take Time to Confirm, Milley Says. In: The New York Times. 25. August 2023, abgerufen am 25. August 2023 (englisch).
  29. Baerbock warnt vor Spekulationen. In: tagesschau.de. 24. August 2023, abgerufen am 24. August 2023.
  30. MNT AERO, OOO, Moscow. In: k-agent.ru. Abgerufen am 24. August 2023.

Koordinaten: 57° 44′ 51″ N, 33° 57′ 14″ O