Benutzer:Amtiss/Gemeinwohl-Ökonomie (Advisor5)

Unter Gemeinwohl-Ökonomie versteht man Konzepte und alternative Wirtschaftsmodelle, die eine Orientierung am Gemeinwohl, Kooperation und Gemeinwesenorientierung in den Vordergrund stellen. Sie sollen eine Systemalternative zu kapitalistischer Marktwirtschaft und zentraler Planwirtschaft sein - zum Teil auch deren Synthese.

Da noch kein je vorgeschlagenes Modell einer Gemeinwohl-Ökonomie nach dessen Veröffentlichung so grosses Interesse hervorgerufen hat wie jenes von Christian Felber,[1] und auch nicht das Stadium erreichte, von einer organisierten Gruppe von Unternehmen in einem gross angelegten und öffentlich verfolgbaren Versuch tatsächlich umgesetzt zu werden, beziehen sich die weiteren Darstellungen vor allem auf dieses Modell.

Entstehung und Entwicklung

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Erste Ansätze wurden in den 1990er Jahren entwickelt.[2][3][4][5] 2008 arbeitete der Autor und politische Aktivist Christian Felber in seinem Buch „Neue Werte für die Wirtschaft, eine Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus[6] erstmals umfassende Grundlagen für diese Art des Wirtschaftens aus. Daraufhin bildete sich ein Kreis von UnternehmerInnen, die das Modell gemeinsam mit Felber weiterentwickelt und mit dem - auch schon von anderen Autoren[2] verwendeten - Namen "Gemeinwohl-Ökonomie" versehen haben. Das Folgewerk „Die Gemeinwohl-Ökonomie – Ein Wirtschaftsmodell für die Zukunft“ erschien im August 2010 und nennt im Anhang 70 Unternehmen, die dieses Modell bereits unterstützen. Bis Anfang 2011 waren es ca. 200 Einzelunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen, und eine Bank.[7][8][9] Einige Politiker unterstützen die Initiative.[10]

Im März 2011 haben sich über 50 Unternehmen zur Pioniergruppe "Gemeinwohlbilanz" gemeldet. Sie haben sich dazu bereit erklärt, eine sog. Gemeinwohlbilanz zu erstellen und entsprechende Ziele bis zum Bilanzstichtag am 1. Oktober 2011 umzusetzen. Auf einer Pressekonferenz am 6. Oktober sollen diese Unternehmen ihre neuartig dargestellten und bewerteten Bilanzergebnisse bekannt geben.[11]

Problembeschreibung

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Gemäss den Analysen von Christian Felber, auch basierend auf einer von ihm zitierten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid,[12] ist das grundlegende Problem der bisherigen Marktwirtschaft, dass das Streben nach finanziellem Profit - belohnt durch Marktgesetze - Werte wie Egoismus, Gier, Geiz, Rücksichts- und Verantwortungslosigkeit fördert. Traditionelle, nicht fair gehandelte, unethische und nicht aus der Nahversorgung stammende Produkte sind dadurch billiger als biologische, fair gehandelte, ethische und aus der Nahversorgung stammende Produkte. Verantwortungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit werden auf dem Markt belohnt, da sie einen niedrigeren Preis erzielen können und dadurch verstärkt gekauft werden.

Grundidee

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Das Modell ist tendenziell eine Form der Marktwirtschaft, in der jedoch die Motive und Ziele des (privaten) unternehmerischen Strebens umgepolt werden: Streben nach Gemeinwohl und Kooperation ersetzen Gewinnstreben und Konkurrenz. Es zielt auf Werte wie Vertrauensbildung, Verantwortung, Mitgefühl, gegenseitige Hilfe und Kooperation. Unternehmen sollen nicht mehr für Finanzgewinn belohnt werden, sondern für ihr Streben nach dem Gemeinwohl und für kooperatives Verhalten.[13] Diese Verhaltensweisen werden anhand der „Gemeinwohlbilanz“[14] gemessen, welche die finanzielle Bilanz ablöst. Eines der Ziele der Gemeinwohl-Ökonomie ist beispielsweise, dass fair gehandelte, ökologische, Nahversorgungs- und Bio-Produkte im Handel billiger werden als unethische Produkte.

Die Gemeinwohlbilanz

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Die meisten Modelle von gemeinwesenorientierter Wirtschaft stellen Aufforderungen und Anleitungen zu ethischem Handeln dar, verfügen jedoch über keine besonderen Werkzeuge bzw. Methoden ihre Wirksamkeit nachvollziehbar zu erfassen. Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie von Felber beschreitet hier neue Wege, indem der Erfolg des Wirtschaftens nicht mehr am finanziellen Profit gemessen wird, sondern an Indikatoren, die den Beitrag des Unternehmens zum allgemeinen Wohl messen.

Die dieser neuen Art von Bilanz[15] zugrunde liegende „Gemeinwohl-Matrix[16][17] schneidet die Grundwerte auf der

X-Achse (Spalten der Matrix): Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung (die mit je maximal 200 Punkten bewertet werden können),

mit allen „Berührungsgruppen“ (Stakeholder) eines Unternehmens auf der

Y-Achse (Zeilen der Matrix): z. B. Mitarbeitende, KundInnen, Zulieferer, Souverän, Umwelt , zukünftige Generationen.

In den Schnittfeldern befinden sich Kriterien, die unternehmerischen „Erfolg“ in der neuen Bedeutung messen, z.B.

  • Welcher Anteil der Vorprodukte stammt aus der Region?
  • Misst das Unternehmen den ökologischen Fußabdruck?
  • Wie hoch ist der Frauenanteil in den Führungspositionen?
  • Wie hoch ist die Einkommensdifferenz innerhalb des Unternehmens?
  • Dürfen die Beschäftigten mitbestimmen?
  • Werden die KundInnen-VertreterInnen in die Produktplanung einbezogen?
  • Wird offen kalkuliert?
  • Wird Know-how weitergegeben?
  • Wird das Unternehmen an die Beschäftigten vererbt?

In Summe befinden sich rund 30 Kriterien in der Gemeinwohlbilanz, erreichbar sind maximal 1000 Punkte.

Prüfung der Gemeinwohlbilanz

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Die Gemeinwohlbilanz soll von einer neuen freien Berufsgruppe, der Gemeinwohl-AuditorIn kontrolliert werden – ganz analog zu Wirtschaftsprüfern, die heute Finanzbilanzen prüfen. Zunächst wird die Bilanz unternehmensintern erstellt und geprüft (Controlling, interne Revision) und dann zum Audit gebracht, wo die Bestätigung, das Testat, erfolgt. Erst dann „gilt“ die Bilanz. Um Betrugsversuchen vorzubeugen, soll das Gemeinwohlaudit vom Beratungsgeschäft gesetzlich getrennt werden – analog zur Trennung des Beratungsgeschäftes von der Prüfungstätigkeit bei der Finanzbilanz. Denkbar ist, dass es aufgrund der Komplexität der Materie Audit-Teams braucht anstelle von Einzelpersonen.

Politische Umsetzung

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Unternehmen mit einer hohen Gemeinwohlpunktezahl könnten in den Genuss rechtlicher Vorteile kommen, etwa: günstiger Steuersatz, niedriger Zolltarif (z.B. Fairer Handel), günstiger Kredit bei der „Demokratischen Bank“[18], Vorrang beim öffentlichen Einkauf oder Forschungskooperation mit öffentlichen Universitäten.

Des Weiteren könnte der Gemeinwohlerfolg eines Unternehmens auf Produkten und bei Dienstleistungen ausgewiesen werden, etwa durch farbliche Kennzeichnung der unterschiedlichen Gemeinwohlstufen und die Angabe der Gemeinwohlzahl. Infolge dieser Kennzeichnung hätten KonsumentInnen eine zusätzliche Orientierung bei der Kaufentscheidung.[19]

Kritik und Kontroversen

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Anders als frühere Vorstellungen von Gemeinwohl-Ökonomie wird das Modell von Christian Felber seit seiner Veröffentlichung (2010) heftig diskutiert und auch kritisiert.

Hellmut Butterweck beispielsweise sieht eine Reihe positiver Aspekte, zielt mit seiner Kritik jedoch auf die Frage der Umsetzung: "Sein Konzept hat nur eine Schwäche: Er bleibt uns jede Andeutung schuldig, wie es umzusetzen wäre. Bei der Verwirklichung der großen Weltentwürfe vom Reißbrett kam bisher nie das Gewünschte heraus. Wahrscheinlich wäre sein Utopia eine schönere, gerechtere Welt als der existierende Kapitalismus. Aber bei der Eins-zu-eins-Umsetzung könnte etwas entstehen, wovor selbst Felber graut."[20] Weiter kritisiert er, dass die Problematik der "Gemeinwohl-Ökonomie inmitten anders organisierter, mit ihr verflochtener Wirtschaften" nicht angegangen werde.[20]

Mirko Kovats bezeichnet in einem Streitgespräch mit Felber das Modell als weltfremd.[21] Ähnlich wirft Ulrich Scharfenorth die Frage auf, wie man die „Weltwagenlenker“ dazu bringt Macht und Vermögen abzugeben – eine Reform des Erbrechts hält er dafür für unzureichend.[22]

Erhard Fürst, ehemaliger Chefökonom der österreichischen Industriellenvereinigung, sieht in der Gemeinwohl-Ökonomie einen "Wegweiser in Armut und Chaos". Er nimmt an, dass bei einer Umsetzung in einem Land wie Österreich vergesellschaftete Banken, Versicherungen und Pensionskassen zusammenbrechen und Devisenvorräte wegschmelzen würden. Dann müssten alle Importe von Gütern und Dienstleistungen massiv gekürzt werden.[23]

Andreas Exner geht das Konzept nicht weit genug. Er beanstandet, dass in der Gemeinwohl-Ökonomie nach wie vor kapitalistische Attribute wie Markt, Lohnarbeit oder Profit existieren. Er fordert eine Weiterentwicklung des Modells durch Demonetisierung und eine komplette Abkehr von der Marktwirtschaft.[24]. Franz Schellhorn sieht in der Gemeinwohl-Ökonomie neo-marxistische Züge und zieht Parallelen zu Marx, dessen Konzept zwar gut, jedoch schlecht ausgeführt sei.[25]

Literatur

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Wikiquote: Gemeinwohl – Zitate

Einzelnachweise

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  1. Alleine für das zweite und dritte Quartal des Jahres 2011 wurde Christian Felber rund 50 Mal eingeladen vor verschiedensten Institutionen in ganz Deutschland und Österreich öffentliche Vorträge zu halten
  2. a b Joachim Sikora: Vision einer Gemeinwohl-Ökonomie (Zusammenfassung des gleichnamigen Buchs von 2001)
  3. Bernd Winkelmann et al.: Richtungsansage einer solidarischen Ökonomie“, S. 9
  4. Hans Diefenbacher (Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft): Lernprozesse in einer gemeinwesenorientierten Ökonomie
  5. Richard Douthwaite und Hans Diefenbacher: Jenseits der Globalisierung : Handbuch für lokales Wirtschaften, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1998, Seite 53 ISBN 3-7867-2067-3
  6. Christian Felber: Neue Werte für die Wirtschaft - Eine Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus, Wien, 2008, ISBN 978-3-552-06072-2
  7. Liste der unterstützenden Unternehmen
  8. Zu Wort melden sich unterstützenden Unternehmen hier: Erwin Stubenschrott, Heini Staudinger, Ernst Gugler: Es gibt die Gemeinwohl-Ökonomie, "Die Presse", 16.02.2011.
  9. Florian Dünser: Tradition und Nachhaltigkeit, Vorarlberger Nachrichten, Print-Ausgabe, 25.8.2010.
  10. Liste der unterstützenden Parlamentarier/Politiker
  11. Pionier-Unternehmen
  12. Petra Pinzler: Wachsstumsskeptisch - Eine Umfrage zeigt: Die Deutschen zweifeln am Kapitalismus
  13. Roland Rottenfusser: Gemeinwohl-Ökonomie: Wirtschaften für das Wohl aller, Langversion hier
  14. Christian Felber: Gemeinwohl-Ökonomie – Das Wirtschaftsmodell der Zukunft, S. 24f.
  15. Christian Felber: Gemeinwohl-Ökonomie – Das Wirtschaftsmodell der Zukunft, S. 28ff.
  16. Das Konzept der Gemeinwohl-Matrix
  17. Erkäuterungen zur Gemeinwohl-Matrix
  18. „Demokratische Bank“
  19. Christian Felber: Gemeinwohl-Ökonomie – Das Wirtschaftsmodell der Zukunft, S. 34
  20. a b Hellmut Butterweck: Utopia einer schöneren, gerechteren Welt, 19. März 2011
  21. Interview geführt von Silvia Jelincic, Arndt Müller: Turbokapitalist gegen Gutmensch, Format, Print-Ausgabe, 24.9.2010.
  22. Ulrich Scharfenorth: Gemeinwohlökonomie - das Wirtschaftsmodell der Zukunft?
  23. Erhard Fürst: Ein Wegweiser in die Armut
  24. Andreas Exner Neue Werte im Sonderangebot. Die Gemeinwohlökonomie Christian Felbers In: Streifzüge 51/2011
  25. Franz Schellhorn: SuperMarkt: Hatte Karl Marx also doch recht? "Die Presse", 13.02.2011