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Das Ergebnis der Bundestagswahl 2005 war uneindeutig, sodass - anders als beim Großteil der Bundestagswahlen zuvor - nicht schon am Wahlabend feststand, wer zum Bundeskanzler gewählt würde. Noch am Wahlabend erhoben beide Kanzlerkandidaten, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und CDU/CSU-Fraktionschefin Angela Merkel, Anspruch auf die Kanzlerschaft. Nach verschiedenen Sondierungsgesprächen einigten sich CDU/CSU und SPD auf Verhandlungen zu einer Großen Koalition unter Führung von Angela Merkel.
Wahlnacht
BearbeitenPrognosen
BearbeitenDie ersten Prognosen am Wahlabend, dem 18. September 2005, um 18.00 Uhr enthielten eine Überraschung: Entgegen den Umfragen in den Wochen zuvor erhielt die CDU/CSU deutlich unter 40 %, sie wurde etwa bei 36-37 % eingeschätzt. Allerdings konnte auch die SPD keinen klaren Wahlsieg für sich verbuchen, da sie nur bei den - zuvor in etwa prognostizierten - 34 % lag. Als Wahlgewinner konnten sich die FDP mit knapp 10 % in den Prognosen und die Linkspartei mit etwa 8-9 % fühlen. Bündnis 90/Die Grünen konnte ihr Ergebnis von der Bundestagswahl 2002 in etwa halten und erzielte in den Prognosen etwa 8 %. Damit war jedoch klar, dass die zuvor vorhergesagte knappe Mehrheit von CDU/CSU und FDP deutlich verfehlt war, andererseits aber auch, dass die rot-grüne Koalition keine Mehrheit mehr hatte.
Da alle anderen Parteien eine Koalition mit der Linkspartei ausgeschlossen hatte und diese es umgekehrt ebenso gehandhabt hatte, kamen als denkbare Mehrheitskoalitionen nur die Große Koalition (mit deutlich über 400 Stimmen), eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen (mit klarer Mehrheit) oder eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen (mit ebenfalls klarer Mehrheit) in Frage. Insbesondere die Jamaika-Koalition war vor der Wahl in keinen Überlegungen in Betracht gezogen worden, während eine Ampelkoalition von der FDP vor der Wahl strikt ausgeschlossen wurde. Als weitere Möglichkeiten wurden eine (rot-grüne oder schwarz-gelbe) Minderheitsregierung oder abermalige Neuwahlen angedacht.
Berliner Runde („Elefantenrunde”)
BearbeitenIn der „Elefantenrunde”, an der Bundeskanzler Schröder, die CDU-Chefin Angela Merkel, FDP-Chef Guido Westerwelle, Linkspartei-Chef Lothar Bisky, Außenminister Fischer und CSU-Chef Edmund Stoiber teilnahmen, verteidigte Bundeskanzler Schröder in aggressiver und in den Medien teilweise scharf kritisierter Weise seinen Anspruch auf die Kanzlerschaft, wobei er in einem Rundumschlag sowohl die politischen Gegner als auch die Medien, welche ihn seiner Ansicht nach unfair behandelt hätten, anging. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht sicher fest, dass die SPD nur noch zweitstärkste Fraktion hinter der CDU/CSU werden würde, obwohl die Prognosen deutlich in diese Richtung zeigten.
Auch in der Berliner Runde bekräftige FDP-Chef Westerwelle die Ablehnung einer Ampelkoalition durch seine Partei. Demgegenüber zeigten sich CDU/CSU und Grüne miteinander gesprächsbereit, auch wenn Außenminister Fischer sich eine solche Koalition nur schwer vorstellen konnte.
Vorläufiges amtliches Endergebnis
BearbeitenAm frühen Morgen des 19. September 2005 gab der Bundeswahlleiter das vorläufige amtliche Endergebnis bekannt. Dieses enthielt nicht die Stimmen im Wahlkreis Dresden I, da die dortige NPD-Direktkandidatin kurz vor der Bundestagswahl verstorben war, sodass Neuwahlen für den 2. Oktober 2005 angesetzt wurden. CDU und CSU erhielten zusammen 35,2 % der Stimmen und 225 Mandate, die SPD 34,3 % der Stimmen (222 Mandate), die FDP 9,8 % der Stimmen (61 Mandate), die Linkspartei 8,7 % der Stimmen (54 Mandate) und die Grünen 8,1 % (51 Mandate). Insgesamt enthielt der Bundestag auf der Grundlage dieses vorläufigen Ergebnisses 613 Mandate, die absolute Mehrheit betrug 307 Mandate.
Durch die Dresdner Nachwahl erschien zwar eine Veränderung der Mandate um einen Sitz denkbar, jedoch konnte die SPD nicht mehr stärkste Fraktion werden.
Sondierungsgespräche
BearbeitenParteien oder Fraktionen
BearbeitenObwohl die SPD-Fraktion unstreitig kleiner war als die Fraktion von CDU/CSU, argumentierten die Sozialdemokraten, dass man CDU und CSU als zwei verschiedene Parteien betrachten müsste, die beide je für sich und auf das Bundesgebiet bezogen schlechter als die SPD abgeschnitten hätten. Aufgrund dieser Position beanspruchte die SPD als „stärkste Partei” die Führung der Regierung, auch einer Großen Koalition, durch Bundeskanzler Schröder. CDU und CSU widersprachen heftig und führten aus, dass es auf die Fraktionen im Bundestag ankäme. Damit stellten sie mit ihrer Kanzlerkandidatin, Angela Merkel, die Führung in der Regierung und die Bundeskanzlerin.
Wahlen für den Fraktionsvorsitz
BearbeitenAm Dienstag, dem 20. September 2005, wählten SPD und CDU/CSU ihre Fraktionsvorsitzenden. Franz Müntefering (SPD) wurde mit 95,2 % der Stimmen wiedergewählt, Angela Merkel sogar mit 98,6 %. Merkel galt hernach in der Frage nach dem Anspruch auf das Bundeskanzleramt als gestärkt.
Rot-grünes Sondierungsgespräch am 21. September
BearbeitenAm Mittwoch, dem 21. September 2005, führten SPD und Grüne Sondierungsgespräche. Sie stellten in anschließenden Pressekonferenzen fest, dass sie keine Mehrheit im Bundestag hätten und forderten die FDP auf, ihre bisherige strikt ablehnende Haltung zu einer Ampelkoalition aufzugeben - die FDP trage staatspolitische Verantwortung. FDP-Chef Westerwelle verwahrte sich in scharfer Form gegen die beständigen Werbungsversuche der Sozialdemokraten und bekräftigte, dass die FDP eine schwarz-gelbe Regierung angestrebt habe, die nun allenfalls mit den Grünen angereichert werden sollte, und dass die FDP ansonsten in die Opposition gehen würde.
Schwarz-gelbe Sondierungsgespräche am 22. und 29. September
BearbeitenAm Donnerstag, dem 22. September 2005, führten CDU/CSU und FDP Sondierungsgespräche. Da die Parteien schon im Vorfeld der Wahl miteinander koalitionswillig waren, ergaben die Gespräche keine Überraschung. Man forderte gemeinsam die Grünen auf, eine Koalition mit CDU/CSU und FDP einzugehen. Eine zweite Runde fand am 29. September statt.
Erstes schwarz-rotes Sondierungsgespräch am 22. September
BearbeitenAm Nachmittag des gleichen Tages, dem 22. September 2005, trafen sich CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber mit SPD-Chef Franz Müntefering und Bundeskanzler Gerhard Schröder zu einem ersten Sondierungsgespräch. Sie vereinbarten ein zweites Gespräch für den 28. September. Beide Seiten beharrten jedoch auf ihrer Position, den Bundeskanzler zu stellen. Dementsprechend sagte Müntefering, man sei von Koalitionsverhandlungen noch weit entfernt, Angela Merkel, merkte an, sie könne sich nicht vorstellen, dass „Gerhard Schröder als Vizekanzler zur Verfügung” stehe.
Schwarz-grünes Sondierungsgespräch am 23. September
BearbeitenAm Freitag, dem 23. September 2005, trafen sich die Parteichefs von CDU, CSU und Grünen, Merkel, Stoiber, Claudia Roth und Reinhard Bütikofer, zu einem Sondierungsgespräch. Anschließend teilten beide mit, dass die programmatischen Unterschiede zwischen beiden Parteien sehr groß seien und man zunächst kein weiteres Sondierungsgespräch verabredet habe.
Zweites schwarz-rotes Sondierungsgespräch am 28. September
BearbeitenBeim zweiten Sondierungsgespräch zugunsten einer Großen Koalition bezeugten beide Seiten eine gute Atmosphäre. Man verabredete eine dritte Sondierung für den 5. Oktober; eine Einigung in der Kanzlerfrage wurde nicht erreicht.
Nachwahl in Dresden am 2. Oktober
BearbeitenBei der Nachwahl im Wahlkreis 160 (Dresden I) gewann die CDU ein Überhangmandat hinzu, sodass die CDU/CSU-Fraktion von 226 Sitze, die SPD-Fraktion 222, die FDP-Fraktion 61, die Fraktion der Linkspartei 54 und die Grünen-Fraktion 51 Sitze im Bundestag hatte. Am Tag nach der Nachwahl erklärte Bundeskanzler Schröder, er beanspruche nicht seinetwegen die Kanzlerschaft für die Partei, sondern wolle den Machtanspruch seiner Partei erhalten. Diese Äußerung wurde als erster Schritt hin zu einem Rückzug vom Amt des Bundeskanzler interpretiert.
Drittes schwarz-rotes Sondierungsgespräch am 5. Oktober
BearbeitenAm 5. Oktober kamen die Delegationen von CDU/CSU und SPD zu einem dritten Sondierungsgespräch zusammen. Wiederum betonten beide Seiten die Konstruktivität des Gesprächs und äußerten sich optimistisch über das Zustandekommen einer Großen Koalition, verschoben aber den Versuch einer Lösung der Kanzlerfrage auf den nächsten Tag, den 6. Oktober.
Spitzengespräche
BearbeitenErstes Spitzengespräch am 6. Oktober
BearbeitenBeim ersten Spitzengespräch, an dem neben CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber der SPD-Chef Franz Müntefering und Bundeskanzler Gerhard Schröder teilnahmen, einigten sich die beiden Seiten noch nicht endgültig auf ein Personaltableau einer neuen Bundesregierung. Die vier Spitzenpolitiker vertagten sich auf den Abend des 9. Oktober.
Zweites und drittes Spitzengespräch am 9. und 10. Oktober
BearbeitenBei den Spitzengesprächen einigten sich CDU/CSU und SPD darauf, Angela Merkel zur Bundeskanzlerin zu wählen. Die Union soll neben dem Kanzleramtsminister sechs Ministerien besetzen, die SPD soll acht Ministerien erhalten. Edmund Stoiber soll Bundesminister für Wirtschaft werden, die CDU/CSU unter anderem das Innen- und das Verteidigungsressort erhalten. Die SPD erhält unter anderem das Außen-, Finanz- und Justizministerium. Die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen wurde für den 17. Oktober terminiert.
Koalitionsgespräche
BearbeitenAm 17. Oktober 2005 begannen die Koalitionsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD. Die beiden Seiten einigten sich darauf, in den folgenden vier Wochen jeweils zweimal wöchentlich im großen Kreis zusammenzutreten. Zwischen den Terminen sollten Arbeitsgruppen inhaltliche Fragen klären.
Am 18. Oktober 2005 endete mit dem Zusammentritt des 16. Deutschen Bundestages die offizielle Amtszeit der alten Bundesregierung. Am 20. Oktober begannen die Koalitionsverhandlungen mit dem ersten Zusammentreffen der Arbeitsgruppen inhaltlich.
Rückzug von Müntefering und Stoiber
BearbeitenAm 31. Oktober erklärte SPD-Chef Franz Müntefering seinen Rückzug vom Amt des Parteivorsitzenden für den kommenden Parteitag Mitte November in Karlsruhe. Zuvor hatte der SPD-Bundesvorstand mit 23:14 Stimmen gegen Münteferings Generalsekretär-Kandidaten, Kajo Wasserhövel, und für dessen Gegenkandidatin, Andrea Nahles gestimmt.
Am Tag darauf erklärte auch der CSU-Chef und bayerische Ministerspräsident, Edmund Stoiber, seinen Rückzug aus dem Bundeskabinett, weil er die Politik der Bundesregierung als Ministerpräsident besser vertreten könnte.
Am 2. November einigten sich die beiden Kandidaten für den SPD-Vorsitz, Kurt Beck und Matthias Platzeck, darauf, dass der brandenburgische Ministerpräsident Platzeck neuer SPD-Chef werden solle.
Inhaltliche Einigungen
BearbeitenSchon frühzeitig wurde ein Haushaltsdefizit von 35 Milliarden Euro festgestellt, die durch Einsparungen und Steuererhöhungen ausgeglichen werden sollten.
Am 10. November einigten sich die Parteien in einer Schlussrunde auf eine Erhöhung der Umsatzsteuer und eine Einführung einer Reichensteuer für Gutverdiener.
Die Föderalismusreform soll erstes Großthema der Großen Koalition werden. Eine Einigung bei der Gesundheitspolitik wurde auf das Jahr 2006 verschoben.
Abschluss der Verhandlungen und Beschluss des Koalitionsvertrages
BearbeitenAm 11. November erzielten die Vertragspartner einen Durchbruch beim Koalitionsvertrag.
Am 14. November stimmten die Parteitage der drei Parteien über den Vertrag ab. Der kleine Parteitag der CDU stimmte mit 112 Ja-Stimmen bei drei Nein-Stimmen und einer Enthaltung zu. Am gleichen Tag stimmten auch SPD und CSU dem Koalitionsvertrag zu. Bei der SPD war das Votum einmütig, bei der CSU sogar einstimmig.
Der Koalitionsvertrag wurde am 18. November 2005 unterschrieben, Angela Merkel am 22. November mit 397 von 448 Stimmen der Großen Koalition zur Bundeskanzlerin gewählt.
Bundesrat
BearbeitenDer Bundesrat hätte im Falle einer Großen Koalition folgende Zusammensetzung:
Übersicht im Falle einer Großen Koalition | ||||||||
rot-rot | rot-gelb | Bundesregierung | schwarz-gelb | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
rot-schwarz | schwarz-rot | schwarz | ||||||
71 | 42 | 73 | 84 | 215 | 226 |
1: in Berlin (4) und Mecklenburg-Vorpommern (3)
2: in Rheinland-Pfalz (4)
3: in Bremen (3) und Brandenburg (4)
4: in Sachsen (4) und Schleswig-Holstein (4)
5: in Bayern (6), Hamburg (3), Hessen (5), im Saarland (3) und in Thüringen (4)
6: in Baden-Württemberg (6), Niedersachsen (6), Nordrhein-Westfalen (6) und Sachsen-Anhalt (4)