Reto Hänny (* 13. April 1947 in Tschappina, Kanton Graubünden) ist ein Schweizer Schriftsteller.

Geboren am 13. April 1947 in Tschappina GR; aufgewachsen auf einem Bergbauernhof, hütet er als kleiner Bub Ziegen und verbringt einige Sommer mit Großvater auf der Alp. Nach der Primar- und Sekundarschule am Heinzenberg und deren Abschluss in Chur, mit dem rätoromanischen Autor Cla Biert als Klassenlehrer, der ihm die Welt der Literatur öffnet, besucht er des Lehrerseminars in Chur (als wichtigster Lehrer hier der Physiker, Mathematiker und Philosoph Marc Eichelberg, der ihn auch später fördert und zum Freund werden wird); Nach dem Abschluß als Volksschullehrer, ab Herbst 1968 etliche Jahre Schuldienst an einer Gesamtschule in Safien-Platz, einem abgelegenen Bündner Bergdorf, wo er das Schulmodell Scuola di Barbiana umzusetzen versucht. Ausgedehnte Reisen kreuz und quer durch Europa, als wichtigste eine siebenmonatige Reise durch den Balkan und über Griechenland und die Türkei nach Persien und Afghanistan in den Hindukusch (1971), der 1972 eine mehrmonatige Reise über Spanien nach Nordafrika mit längerem Aufenthalt in der Sahara folgt.

Längere entscheidende Studienaufenthalte in Venedig (im Frühsommer 1969, zu Gast im Atelier von Emilio Vedova, bei dem ein Schulfreund als Assistent arbeitete, tief beeindruckt von der Arbeitsweise Vedovas und der ungeheuren Kraft von dessen Kunst als Resultat einer Einheit von Werk und Person, der Entscheid, mit dem eignen Malen aufzuhören, das bis dahin gleichen Stellenwert wie das früh begonnene Schreiben hatte, und sich, um eine eigne Sprache zu finden, zukünftig ausschließlich dem Schreiben zu widmen) und Amsterdam (1972/73 – zu Gast im Goethe-Institut-Provisorium, wo der Künstler und Ausstellungsmacher Johannes Gachnang mit Markus Raetz, Baselitz, Penk, Lüpertz u.a. eine neue, hochspannende und stilbildende Künstlergeneration erstmals breiter vorstellte). Theaterarbeit am Stadttheater Chur, erst als Bühnenarbeiter, dann als Bühnenmeister. 1973 Übersiedlung nach Zürich. Studium der Literatur, Ethnologie und Kunstgeschichte an der Universität Zürich und an der ETH Zürich (wichtige Lehrer Peter von Matt und Adolf Muschg; im Herbst 1980 Abbruch des Studiums).

Anfang 1981, im Anschluß an die Zürcher Jugendunruhen, während derer Reto Hänny verhaftet wurde (vgl. Zürich, Anfang September), als DAAD-Stipendiat nach Berlin eingeladen, dem sich ein mehrjähriger Aufenthalt in der geteilten Stadt anschließt (1981-89); längere Reisen durch Polen (1989, 1990, 1992, vgl. Am Boden des Kopfes. Verwirrungen eines Mitteleuropäers in Mitteleuropa, 1991). Ausgelöst durch einen halbjährigen Paris-Aufenthalt im Jahre 1995, dem bis in jüngster Zeit zahlreiche weitere folgten (vgl. Auszeichnungen), wurde in den letzten Jahren neben handwerklicher Tätigkeit, die als notwendiges Korrektiv das Schreiben seit je begleitete, die Auseinandersetzung mit Musik (Gustav Mahler und die Zweite Wiener Schule, vor allem aber Neue Musik und Freie Improvisation) und mit bildender Kunst (von der italienische Gotik über Poussin, Chardin, La Tour, Vermeer, Ruisdael und die anderen Holländer mit ihren Stilleben, über Turner und Alberto Giacometti bis zur Gegenwart) immer zentraler. Mehrere Jahre Aufseher im Kunsthaus Zürich; dort als "Bilderhirte" Wahrnehmungs-Experimente, vor allem am und mit dem Werk Giacomettis.

Ab Mitte der Neunzigerjahre Realisation zahlreicher Projekte in Zusammenarbeit mit Künstlern; unter anderem mit den Musikern Guerino Mazzola, Urs Leimgruber, später v.a. mit Werner Lüdi und, nach dessen Tod, mit Hans Hassler (musikalisch-experimentelle Lesungen: u.a. Akademie der Künste Berlin, Aargauer Kunsthaus, Kunsthalle Basel, Theater Chur), sowie den Künstlern Hans Danuser, Simon Beer (Mitarbeit an der Installation Sacra conversazione, Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen, 1999), Felix Humm, Rolf Winnewisser (Mitarbeit am Konzept und als Schauspieler im Film Gold, 2006), Markus Raetz (Dinten. Im Bereich des Möglichen, ein als work in progress angelegtes Projekt, ab 2003) und als Sprecher im Film Max Frisch. Citoyen von Matthias von Gunten (Dok-Film, 95 min, 2008, HesseGreutert Film, Zürich). 2003 Heirat mit der Fernseh-Journalistin Eva Caflisch. Lebt und arbeitet als Schriftsteller in Zollikon/ZH und in Graubünden. Demnächst wird als Teil des Projekts Dinten die Prosa Blooms Schatten erscheinen.

(Wo nicht anders angegeben: Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Berlin)

  • Ruch. Ein Bericht, 1979, revidierte Fassung 1984 [es 1295]
  • Zürich, Anfang September (zu den Zürcher Jugendunruhen), 1981
  • Flug, 1985
  • Giorgio, guardati! (Essay zu C. F. Meyer, Jürg Jenatsch) Insel Verlag, 1988 [it 862]
  • Am Boden des Kopfes. Verwirrungen eines Mitteleuropäers in Mitteleuropa, 1991
  • Klänge und Echos – Eine Lektüre (Essay zu Robert Pinget, Passacaglia), 1991 [BS 1084]
  • Wildwechsel (zusammen mit dem Fotokünstler Hans Danuser), Lars Müller, Baden 1993
  • Helldunkel – Ein Bilderbuch, 1994
  • Frühling Primavera Spring Time Printemps (zusammen mit dem Künstler und Typographen
  • Felix Humm), bibliophiler großformatiger Band, Milano, 1997
  • Passion (zusammen mit dem Künstler Simon Beer), in: Simon Beer, Sacra conversazione, Schwabe Verlag, Basel 1999
  • Blutblumen (monographischer Essay über Dieter Menz), in: Dieter Menz: Aquarelle 2001-2002, 2003
  • Dinten. Im Bereich des Möglichen (zu einer gleichnamigen Bildfolge von Markus Raetz), Auszüge in: Muscheln und Blumen. Literarische Texte zu Werken der Kunst, Ammann Verlag, Zürich 2003
  • Flug. Eine Übermalung, Neufassung des Romans mit einem Nachwort von Samuel Moser, Bibliothek Suhrkamp, 2007 [BS 1414]
  • Die Verwirrung des Indianers an der Ampel, Filmessay, Saarländischer Rundfunk, 1979

Zahlreiche kleinere Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien; zuletzt u.a.

  • Der Taucher. Empfindungen vor Tonis Seelenlandschaften, über den österreichischen Künstler Anton Christian, in: Anton Christian, Ort der Erinnerung, Tiroler Landesmuseum, Innsbruck 2000
  • Mahlerei (Essay über Gustav Mahler – NZZ, 10. Oktober 2005);
  • Klangschlosserei (Liner Notes zur CD Koch-Schütz-Studer : Tales from 30 Unintentional Nights – Intakt Records, 2006
  • Silent Tongues. In memoriam Werner Lüdi, in: Taktlos, Musiklesebuch, Edition Engeler, Basel 2007
  • Ein Kärntner in Paris, Manuskripte, 2010
  • Conrad Ferdinand Meyer, mein Karl May, zu C. F. Meyer und seinem Jenatsch-Roman, in: Bündner Monatsblatt, 5/2010 (sowie seit den 90er-Jahren eine Reihe weiterer Aufsätze zum Thema Jenatsch)

Auszeichnungen

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  • zwischen 1979 – 2007 mehrere Werkjahre und Werkbeiträge von der Pro Helvetia, sowie des Kantons und der Stadt Zürich
  • DAAD-Stipendium im Rahmen des Berliner Künstlerprogramms (1981);
  • 1985 Max Frisch-Preis (zu Frischs Lebzeiten, jetzt Max-Frisch-Werkjahr der Stadt Zürich);
  • 1986 Anerkennungspreis des Kantons Graubünden;
  • 1986 Preis der Schweizer Schillerstiftung;
  • 1994 Ingeborg-Bachmann-Preis (mit dem Text Guai);
  • 1995 und 2005 Stipendien Atelier du canton des Grisons, Cité Internationale des Arts, Paris;
  • 2006 Ehrengabe Kulturstiftung UBS;
  • 2007 Buchpreis des Kantons Zürich (für die Neufassung von Flug)

Zur weiteren Information vgl. den Lexikonartikel zu Reto Hänny von Samuel Moser im Kritischen Lexikon zur Gegenwartsliteratur, Edition Text und Kritik, München, aktualisiert 2006

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