Im mathematischen Teilgebiet der Funktionentheorie ist eine Riemannsche Fläche eine zusammenhängende 1-dimensionale komplexe Mannigfaltigkeit. Nach ihrer erstmaligen Beschreibung[1] durch Bernhard Riemann im Jahre 1867 haben Riemannsche Flächen die Mathematik wesentlich beeinflusst (z.B. Überlagerungstheorie, Weiterentwicklung der Funktionentheorie, Verallgemeinerungen auf algebraische Varietäten und Mannigfaltigkeiten höherer Dimension) und sind immer noch Gegenstand der aktuellen Forschung.
Riemannsche Flächen sind nicht zu verwechseln mit Riemannschen Mannigfaltigkeiten, auch wenn Zusammenhänge bestehen (s.u.).
Motivation
BearbeitenReell-analytische Funktionen besitzen eine Potenzreihenentwicklung und können innerhalb des Konvergenzradius der Potenzreihe holomorph fortgesetzt werden. Eine Fortsetzung auf die gesamte komplexe Zahlenebene ist aber oft nicht möglich und hängt zudem noch vom Weg ab, entlang welchem die Funktion fortgesetzt wurde.
Am Beispiel der Quadratwurzel soll dies näher erläutert werden: Für positive reelle Zahlen bezeichnet die Umkehrfunktion von mit . Die Funktion lässt sich auf einfach zusammenhängenden Teilgebieten von fortsetzen, jedoch nicht auf ganz (Eine Fortsetzung in ist nicht möglich, da dort die Ableitung unbeschränkt ist). Setzt man nun die Funktion beginnend bei entlang eines einfach geschlossenen Kreisweges um fort, so erhält man am Ende des Weges im Punkt statt die Funktion zurück. Bei einer zweiten Umkreisung ergäbe sich wieder die ursprüngliche Funktion . Um also eine wohldefinierte Fortsetzung der Wurzel zu ermöglichen, muss quasi eine zweite Kopie von angefügt werden, die so "verklebt" wird, dass man erst nach dem zweimaligen Umkreisen der "Null" wieder an der gleichen Stelle ankommt. Abstrakt entspricht dies der Konstruktion der maximalen Analytischen Fortsetzung der Quadratwurzel, geometrisch lässt sich diese Riemannsche Fläche als 2-blättrige Überlagerung von (bzw. nach Kompaktifizierung als Überlagerung von ) mit Verzweigungspunkt über beschreiben.
Definition
BearbeitenEine Riemannsche Fläche ist eine zusammenhängende komplexe 1-dimensionale Mannigfaltigkeit. Das bedeutet konkret:
- ist ein zusammenhängender topologischer Raum und Hausdorff'sch.
- Für alle gibt es eine offene Umgebung von und einen Homoömorphismus , wobei offen ist. Eine solche Abbildung heisst Karte.
- Zu je zwei Karten ist die Abbildung holomorph.
Eine Abbildung zwischen zwei Riemannschen Flächen heisst holomorph, falls sie stetig ist und zudem gilt, dass die in Karten induzierte Abbildung holomorph ist (als Abbildung offener Teilmengen von ).
Die Riemannschen Flächen bilden zusammen mit den holomorphen Abbildungen eine Kategorie.
Eine alternative Möglichkeit, eine Riemannsche Fläche zu definieren, ist folgende: Eine Riemannsche Fläche ist eine Riemannsche Mannigfaltigkeit mit Metrik zusammen mit einer verträglichen konformen Struktur . Daraus lässt sich auf kanonische Weise eine komplexe Struktur bestimmen. Umgekehrt kann zu einer Riemannschen Fläche eine mit der komplexen Struktur verträgliche Metrik angegeben werden. Mannigfaltigkeiten mit komplexer Struktur und Riemannscher Metrik heissen Kähler-Mannigfaltigkeiten.
Elementare Eigenschaften
BearbeitenFür holomorphe Abbildungen zwischen Riemannschen Flächen gilt (wie für Abbildungen von Teilbereichen von ):
- nicht-konstante Abbildungen sind offene Abbildungen
- der Riemannsche Hebbarkeitssatz
- der Identitätssatz
- das Maximumprinzip, falls der Bildraum ist
In lokalen Koordinaten kann eine holomorphe Abbildung immer geschrieben werden als , wobei durch das lokale Verhalten der Abbildung eindeutig bestimmt ist.
Beispiele
Bearbeiten- die komplexe Ebene sowie zusammenhängende offene Teilmengen davon
- die riemannsche Zahlenkugel
- komplexe Tori, definiert als Quotient , wobei ein Gitter ist
- nicht-singuläre algebraische Kurven
Riemannsche Fläche zu einer analytischen Funktion
BearbeitenÜberlagerungstheorie
BearbeitenGemäss dem Uniformisierungssatz gibt es genau 3 einfach zusammenhängende Riemannsche Flächen, nämlich die Riemannsche Zahlenkugel , die komplexe Zahlenebene und die hyperbolische Halbebene. . Durch die Überlagerungstheorie reduziert sich die Frage der Klassifikation damit auf das Bestimmen fixpunktfreier diskreter Untergruppen der Automorphismengruppen dieser drei Riemannschen Flächen. Man erhält folgendes Resultat:
- überlagert nur sich selbst.
- überlagert , sowie alle komplexen Tori ; diese werden als parabolisch bezeichnet.
- überlagert alle anderen Riemannschen Flächen; diese werden als hyperbolisch bezeichnet. Die Klassifikation in Frage kommender Untergruppen gestaltet ist jedoch kompliziert.
Kompakte Riemannsche Flächen
BearbeitenEine kompakte (topologische) Fläche ist durch ihr Geschlecht eindeutig bestimmt, jedoch können im Allgemeinen mehrere (nicht-isomorphe) komplexe Strukturen auf dieser Fläche definiert werden. Bei kompakten Flächen ergeben sich jedoch aus der rein topologischen Invariante des Geschlechts bereits zahlreiche Einschränkungen für holomorphe bzw. meromorphe Funktionen, unabhängig von der konkret gewählten komplexen Struktur, darunter der Satz von Riemann-Roch, der Satz von Abel oder die Formel von Riemann-Hurwitz. Alle kompakten Flächen lassen sich in einen einbetten, wobei bereits genügt, aber im Allgemeinen nicht .
Äquivalenz von Kategorien
BearbeitenMan erhält alle kompakten Riemannschen Flächen als verzweigte Überlagerungen von , z.B. durch Konstruktion als Riemannscher Fläche zu einer algebraischen Funktion. Der Körper der meromorphen Funktionen ist der Körper der rationalen Funktionen . Eine Überlagerung induziert eine Einbettung der Funktionskörper . Die Körpererweiterung ist algebraisch und die Körpererweiterung ist Galois genau dann, wenn die Überlagerung Galois ist, und der Grad der Körpererweiterung stimmt mit der Blätterzahl der Überlagerung überein. Man erhält auf diese Weise jede endliche Körpererweiterung von und umgekehrt lässt sich zu jeder endlichen Körpererweiterung von eine (mglw. verzweigte) Überlagerung von durch eine kompakte Riemannsche Fläche angeben.
Schliesslich erhält man die Äquivalenz der Kategorien der kompakten Riemannschen Flächen und der endlichen Körperweiterungen von . Da sich die Funktionskörper algebraischer Kurven ebenso verhalten, folgt ausserdem die Äquivalenz mit der Kategorie der projektiven ebenen algebraischen Kurven über .
Klassifikation
BearbeitenKompakte Riemannsche Flächen lassen sich mit Hilfe der Teichmüller-Theorie klassifizieren. Da die zugrunde liegende topologische Fläche durch das Geschlecht bereits eindeutig bestimmt ist, stellt sich für jedes Geschlecht noch die Frage, wie sich die verschiedenen komplexen Strukturen parametrisieren lassen. Für Flächen vom Geschlecht ergibt sich dazu ein -dimensionaler Vektorraum als Parameterraum.
Offene Riemannsche Flächen
BearbeitenAls offene Riemannsche Flächen werden diejenigen bezeichnet, welche nicht kompakt (abgeschlossen) sind. Im Gegensatz zu den kompakten Riemannschen Flächen, wo durch die Topologie bedingt starke Einschränkungen für die Gestalt holomorpher Abbildungen gelten (z.B. Satz von Riemann-Roch) verhalten sich offene Riemannsche Flächen im Wesentlichen so wie . Für sie gelten direkte Verallgemeinerungen der Runge-Theorie, des Weierstraßschen Produktsatzes und des Satzes von Mittag-Leffler. Sie sind zudem Steinsche Mannigfaltigkeiten, was gleichbedeutend damit ist, dass sie eine eigentliche Einbettung im haben; in diesem Fall genügt . Für viele Spezialfälle ist eine Einbettung in bekannt[2]; ob alle offenen Riemannschen Flächen eigentlich in eingebettet werden können, ist zurzeit (2008) noch eine ungelöste Frage.
Verallgemeinerungen
BearbeitenLässt man als Mannigfaltigkeiten auch solche mit Rand zu, ergeben sich Riemannsche Flächen mit Rand. Für gewisse Anwendungen ist es zudem noch sinnvoll zu erlauben, endlich viele Punkte aus der Fläche zu entfernen und Riemannsche Flächen entlang von Punkten zusammenzukleben. Dies führt zur Definition der nodalen Riemannschen Fläche:
heisst nodale Riemannschen Fläche, falls eine komplexe 1-dimensionale Mannigfaltigkeit mit Rand ist und so, dass kompakt ist, eine endliche Menge von Punkten, eine endliche Menge von Paaren verschiedener Punkte. Der zugrunde liegende topologische Raum ist dann gegeben durch , wobei der Quotient nach das Verkleben an den Paaren von Punkten bezeichnet.
Solche nodalen Riemannschen Flächen spielen eine Rolle bei einer dynamischen Sichtweise, wenn man Grenzwerte von Folgen eingebetteter Riemannscher Flächen betrachtet, z.B. bei pseudoholomorphen Kurven. Im Allgemeinen ist der Grenzwert keine Riemannsche Fläche mehr, aber immer noch eine nodale Riemannsche Fläche.
Literatur
Bearbeiten- Otto Forster: Riemannsche Flächen. Springer-Verlag 1977. (vergriffen; engl. Übersetzung lieferbar, ISBN 0-387-90617-7 )
- Klaus Lamotke: Riemannsche Flächen. Springer-Verlag 2005. ISBN 3-540-57053-5
- Lars V. Ahlfors, Leo Sario: Riemann Surfaces. Princeton University Press, Princeton 1974, ISBN 0-691-08027-5
- Hermann Weyl: Die Idee der Riemannschen Fläche. Teubner Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1913, ISBN 3-8154-2096-2 (Nachdruck)
Quellen
Bearbeiten- ↑ Bernhard Riemann: Grundlagen für eine allgemeine Theorie der Functionen einer veränderlichen complexen Grösse. Göttingen 1867
- ↑ Frank Kutzschebauch, Erik Løw, Erlend Fornæss Wold: Embedding Some Riemann Surfaces into C² with Interpolation