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Der Begriff des wesentlichen Supremums oder essentiellen Supremums wird in der Mathematik bei der Einführung der -Räume für den Fall als Erweiterung des Supremum-Begriffs benötigt. Da bei der Konstruktion dieser Funktionenräume Funktionen, die sich nur auf Nullmengen voneinander unterscheiden, als identisch betrachtet werden, kann man nur eingeschränkt von Funktionswerten in einzelnen Punkten sprechen. Die Begriffe des Wertebereichs und der beschränkten Funktion müssen dementsprechend angepasst werden.
Definition
BearbeitenSei ein vollständiger -endlicher Maßraum. Für eine messbare Funktion mit heißt
- ,
wesentlicher Wertebereich (essential range) beziehungsweise -wesentlicher Wertebereich von , wobei die Menge der offenen Umgebungen von bezeichnet. [1][2]
Das wesentliche Supremum ist gerade das Supremum der Normen der Elemente des wesentlichen Wertebereichs [3] [2]
Gilt , so heißt wesentlich beschränkt. Ist nicht wesentlich beschränkt, setzt man .
Einige Autoren bezeichnen das wesentliche Supremum auch mit .
Analog lässt sich auch das wesentliche Infimum definieren.
Äquivalente Definitionen
BearbeitenDie Einführung der wesentlichen Beschränktheit und des damit verbundenen wesentlichen Supremums für messbare Funktionen wird in der Literatur nicht einheitlich gehandhabt. Dieser Abschnitt beschreibt daher weitere verbreitete und im Falle -endlicher Maßräume äquivalente Zugänge zum wesentlichen Supremum, wobei das Symbol weiterhin im Sinne des Definitionsabschnittes zu verstehen ist.
Falls zu einer messbaren Funktion eine Zahl existiert, sodass
gilt, nennt man eine wesentliche Schranke und entsprechend wesentlich beschränkt. Für jede wesentliche Schranke gilt -fast überall, das heißt, es gibt eine Modifikation von auf einer Nullmenge, sodass die so entstehende Funktion im klassischen Sinne beschränkt ist.
Als wesentliches Supremum, bezeichnen einige Autoren dann die kleinste wesentliche Schranke. Hierbei gilt [4] [5] [6]
Durch Bildung des Supremums auf einer komplementären Menge erhält man zudem
Alternativ lässt sich durch eine äquivalente Definition des wesentlichen Supremums auch die Stabilität der Halbnorm unter Modifikation auf Nullmengen zum Ausdruck bringen [2],
Für Teilmengen findet man auch die Definition
- .
Eigenschaften
Bearbeiten- Der wesentliche Wertebereich einer messbaren Funktion ist abgeschlossen, der einer wesentlich beschränkten Funktion ist damit kompakt.
- Im Allgemeinen definiert eine Halbnorm auf dem Raum der messbaren Funktionen, die nur endliche Werte annehmen. Ist die einzige Nullmenge die leere Menge, so definiert sogar eine Norm.[7]
- Für beschränkte stetige Funktionen stimmt das wesentliche Supremum mit dem gewöhnlichen Supremum überein, für beschränkte messbare Funktionen muss dies nicht der Fall sein. Im Allgemeinen gilt nur die Ungleichungskette , falls . Falls ist, so gelten und .[8]
- Es gilt .
- Es gilt , falls beide Terme auf der rechten Seite nicht negativ sind.
Die Raum L∞
BearbeitenMit wird die Menge aller wesentlich beschränkten Funktionen bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen Untervektorraum der messbaren Funktionen, die nur endliche Werte annehmen. Bezüglich wird dieser zu einem halbnormierten Vektorraum. Als solcher ist er noch kein Hausdorff-Raum. Um diesen Mangel zu beheben, verwendet man die für halbnormierte Räume übliche Methode und geht zu einem geeigneten Quotientenraum über. Dieses Vorgehen gestaltet sich analog für beliebige Räume .[9]
Dazu sei mit der Unterraum der wesentlich beschränkten Funktionen mit Schranke bezeichnet. Alle Elemente aus unterscheiden sich nur auf einer Nullmenge von der Nullfunktion. Es ist die Menge der Äquivalenzklassen.
Zudem ist ein linearer Raum mit Quotientennorm
- .
Per constructionem ist eine Quotientennorm unabhängig von der Wahl des Repräsentanten. Im Spezialfall der -Räume ist sie sogar für alle Repräsentanten gleich, da sich alle Repräsentanten nur auf einer Nullmenge unterscheiden. Nach dem Satz von Riesz-Fischer ist und somit auch der Quotient ein Banachraum.
In der mathematischen Literatur verzichtet man oft auf die eckigen Klammern, die für die Äquivalenzklasse von stehen. In der Regel schreibt man einfach und weist den Leser darauf hin, dass die auftretenden Gleichungen nur bis auf Nullmengen zu verstehen sind.
Beispiel
BearbeitenBetrachtet man die Dirichletsche Sprungfunktion auf versehen mit dem Lebesgue-Maß, so ist das Supremum . Da die Menge der rationalen Zahlen aber eine Lebesgue-Nullmenge ist, ist das wesentliche Supremum .
Literatur
Bearbeiten- Jürgen Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 6., korrigierte Auflage. Springer, Berlin u. a. 2009, ISBN 978-3-540-89727-9.
- Wladimir I. Smirnow: Lehrbuch der höheren Mathematik (= Hochschulbücher für Mathematik. Bd. 6). Band 5. 11. Auflage. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1991, ISBN 3-817-11303-X, S. 232, Nr. 6.
- Herbert Amann und Joachim Escher: Analysis III. 2. Auflage. Birkhäuser, Basel 2008, ISBN 978-3-7643-8883-6.
- Nik Weaver: Measure Theory and Functional Analysis. World Scientific, New Jersey 2013, ISBN 978-981-4508-56-8.
- Winfried Kaballo: Aufbaukurs Funktionalanalysis und Operatortheorie. Springer, Berlin, ISBN 978-3-642-37793-8.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Kaballo, Aufbaukurs Funktionalanalysis und Operatortheorie. 2013, S.423
- ↑ a b c Weaver: Measure Theory and Functional Analysis. 2013, S. 142.
- ↑ Rudin, Real and Complex Analysis. 1987, S.77
- ↑ Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 223.
- ↑ Amann, Escher: Analysis 3. 2008, S. 114.
- ↑ Rudin, Real and Complex Analysis. 1987, S.65
- ↑ Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 231.
- ↑ Dieudonne J.: Treatise On Analysis, Vol. II. Associated Press, New York 1976. p 172f.
- ↑ Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 230.