Nach Wikipedia-Maßstäben eine Auseinandersetzung der harmloseren Art. Vergeblich verteidigt der Autor seinen Artikel mit der Feder.

Wem gehören die Artikel? Mit das Erste, was ein Autor in der Wikipedia lernen wird, ist, dass ihm der eigenhändig verfasste Artikel nicht gehört. Dafür gibt es in der Wikipedia sogar eine Regelseite: Wikipedia:Eigentum an Artikeln, und sie ist so manchem Benutzer wichtiger als alle Grundprinzipien. Nämlich immer dann, wenn er das Eigentum an einem Artikel beansprucht, den ein anderer geschrieben hat. Darum eine vierfache Antwort auf die verzweifelte Frage: Wem gehören denn nun eigentlich die Artikel?

Die Artikel gehören den Regelhubern

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Es gibt zwei Möglichkeiten, in der Wikipedia seinen POV zu verbreiten: Den Anfänger erkennt man daran, dass er ihn in die Artikel schreibt. Das kann hin und wieder durchaus erfolgreich sein, etwa wenn man ein Gebiet alleine oder mit Gleichgesinnten besetzt. Man wird aber immer wieder auf Benutzer mit entgegengesetztem POV stoßen, die den eigenen POV entfernen oder gar ins Gegenteil verkehren. Man muss sich auf Artikeldiskussionsseiten mit den Gegnern oder professionellen Drittmeinern herumschlagen. Man muss um jede winzige POV-Formulierung kämpfen wie eine Löwin um ihr Junges. Alles in allem kann es äußerst frustrierend sein, seinen POV auf diesem Weg nachhaltig unters Volk zu bringen.

Der langjährige Wikipedia-Profi weiß hingegen: Am zielstrebigsten verbreitet man seinen POV, wenn man eine Richtlinie erfindet. Da die meisten Benutzer lieber Artikel schreiben als herumzureglementieren, ist man auf Richtlinienseiten wunderbar unter sich (schlimmstenfalls unter einer Handvoll Gleichgesinnter) und kann herrlich seinen POV durchdrücken – und ihn damit als verbindlich für alle Autoren erklären. Denn steht die Regel erst einmal, muss sie natürlich befolgt werden, bedingungslos, ausnahmslos, bar jeder differenzierten Betrachtung des Einzelfalls. Selbst schuld, wenn ein Autor sich nicht vorab an der ellenlangen Diskussion der Regelseite beteiligt hat. Soll er doch ein Meinungsbild machen oder nach „drüben“ gehen.

Die Artikel gehören den Korrektoren

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Eine Spezies, die besonders schnell mit WP:MEIN zur Stelle ist, sind die Korrektoren, und zwar die Korrektoren jener Sorte, die durchaus nicht das tun, was ihr Name verspricht, nähmlich Fehler zu korrigieren. Stattdessen jagen sie über den gesamten Artikelbestand nach ihnen verhassten Formulierungen, um sie durch andere Formulierungen zu ersetzen, deren einziger Mehrwert ist, dass sie ihnen persönlich besser gefallen, wie fragwürdig ihr Geschmack auch sein mag. Oft sind sie auch schlicht zu faul, selbst für Artikel zu recherchieren und sie zu schreiben, aber sie haben ein großes Vergnügen daran, die Artikel anderer Autoren nach ihrem persönlichen Geschmack umzuschreiben.

Sollte man es wagen, auch nur eine ihrer voll Formulierungskunst formulierten Formulierungen zurückzusetzen, weil sie keine Verbesserung des Artikels war, dann wird man sie kennenlernen. Sie beschweren sich auf der Artikeldiskussionsseite, auf der Benutzerdiskussionsseite, auf der Dritten Meinung, der Vandalismusmeldung und beliebig vielen weiteren Funktionsseiten. Und überall werden sie verkünden, dass es kein Recht am eigenen Artikel gibt, wohl aber das Recht am fremden Artikel, den nach Gutdünken abzuändern sie gefälligst jedes Recht der Welt haben, wofür im Notfall auch Grundgesetz, Menschenrechtscharta oder der Papst persönlich – also Jimbo Wales – ins Feld geführt werden.

Die Artikel gehören den Laien

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Die Wikipedia ist ein Paradies für Laien. Damit sind nicht die lesenden Laien gemeint, die nach Wissen suchen und sich über einen fachmännischen Artikel freuen, der möglicherweise sogar trotz seiner inhaltlichen Qualität und Korrektheit den Laientest besteht. Nein, gemeint sind jene Laien, die sich nicht weiterbilden wollen, sondern in von jeder Selbsterkenntnis ungetrübtem Selbstbewusstsein ihre Ahnungslosigkeit in den Artikeln verewigen müssen.

Wenn man diese Benutzer, deren Fachkenntnis sich meist umgekehrt proportional zu ihrem Bekehrungseifer verhält, vorsichtig auf ihren – nun sagen wir mal ganz unvorsichtig Stuss – hinweist, verweisen sie gerne auf die Weisheit der Vielen, die Schwarmintelligenz und das Wiki-Prinzip, leider ohne dass dies ihre Beiträge weiser, intelligenter oder wikipediatauglicher machen würde. Doch wie überall im Leben gilt auch in der Wikipedia: die Laien sind immer in der Mehrheit. Und deswegen sind sie auch jederzeit in der Lage, jeden Autor an die Wand zu quatschen, bis er entnervt das Weite sucht, und jeden beliebigen Artikel zu kapern, zu demontieren, zu verunstalten, bis eine gnädige Administratorenseele den einstmals stolzen Artikel mit einem Gnadenschuss in die ewigen Jagdgründe schickt.

Die Artikel gehören den Rabauken

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Doch all die genannten Gruppen haben keine Chance, wenn erst der Rabauke auftritt. Markenzeichen: ausgeloggt, mit Vorliebe wie ein Heckenschütze aus der Tarnung eines Proxy-Servers agierend oder Besitzer so vieler lebenslänglich gesperrter Konten, dass es ihm auf ein verbranntes Konto mehr oder weniger auch nicht ankommt. Der Rabauke lässt erst gar keine Frage offen, wem ein Artikel gehört, den er entdeckt hat: „mein Schatz“!

Mit rabiatem Edit-War setzt er seine Version durch, wobei sich die kommunikativen Fähigkeiten in kommentarlosen Reverts oder beleidigenden Zusammenfassungszeilen erschöpfen. Die Artikeldiskussion meidet der Rabauke lieber, denn sie kostet ihn viel zu viel Zeit, die er in die Anmeldung von Vorratssocken stecken muss, mit denen er nach jeder Sperre wie Phönix aus der Asche wiederaufersteht. Und welcher Autor kann mit seinem einzig ihm gewährten armseligen Leben schon vor dem Herren beliebig vieler Leben bestehen? Oder anders gefragt: wer hat überhaupt Lust, eine Sekunde seiner begrenzten Zeit an jemanden zu verschwenden, bei dem nicht nur die sozialen Fähigkeiten im Sandkastenalter steckengeblieben zu sein scheinen?

Was gehört dann den Autoren?

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Die Aufopferung, die Selbstlosigkeit, die Wohltätigkeit der Artikelspende. Das Loch im Geldbeutel durch die Anschaffung von teurer Sekundärliteratur. Die stille Freude, an einem Möchtegern-Weltkulturerbe teilzuhaben. Die noch stillere Freude, eine erhebende Menge von Spenden zu erwirtschaften, die sich im eigenen Geldbeutel in Form des – nun eben vorgenannten Lochs niederschlagen. Die bereichernden Diskussionen mit Menschen, die man im realen Leben niemals getroffen hätte – vielleicht auch deswegen, weil man auf ihre Bekanntschaft gar nicht so großen Wert gelegt hätte. Im stolzesten Moment der Wikipedia-Karriere vielleicht ein grünes oder blaues Bapperl, das man sich ebenso gut auf seine Benutzerseite pinnen wie in jede beliebige Körperöffnung schieben kann. Der Verlust an Lebenszeit durch unvorstellbar öde Diskussionen. Der Verlust an Lebensqualität durch zahllose persönliche Angriffe knapp unterhalb der Ahndungsschwelle. Das Recht zu gehen. Alles, nur eines nicht: die von ihnen geschriebenen Artikel.