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Der Tod der Idilia Dubb – Wahrheit oder Legende?

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(veröffentlicht im Dezember 2006 in der Schriftenreihe zur Rheinkunde des Rheinmuseums in Ehrenbreitstein - Autor Peter Weller)

Vorgeschichte

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Nicht nur in der Gegend um Lahnstein kursiert die Geschichte von einer Engländerin, die auf dem Turm der Burg Lahneck umgekommen sein soll. Genannt wird eine 17jährige Schottin namens Idilia Dubb. Nach dieser Geschichte war sie mit ihren Eltern und zwei Geschwistern 1851 auf einer Rheinreise. Über die Station Koblenz landete die Familie dann in Niederlahnstein. Eines Morgens soll Idilia allein das Hotel verlassen haben, um Skizzen der Landschaft anzufertigen. Ihr Weg führte sie zur Burg Lahneck und auf den dort befindlichen Turm. Nach dem Aufstieg zum Turmplateau sei die hölzerne Treppe hinter ihr zusammengebrochen. Sie hatte vorher niemand von ihrer Wanderung erzählt und trotz ausgesandter Suchtrupps wurde sie nicht gefunden. Nach vier Tagen soll sie dann auf dem Turm verdurstet sein. 1863 erschien ein Artikel des Adenauer Kreis- und Wochenblattes, welcher von der Auffindung der Leiche Jahre später berichtete. In diesem Zusammenhang wird auch von der Auffindung eines Tagebuchs erzählt. Nach Recherchen sollen die Eltern gefunden worden sein, die dann die Überreste nach Schottland überführt und in Edinburgh begraben haben. Viele Anhänger der Geschichte verfechten die Ansicht, dass das Ereignis Realität war. Von ihnen werden vor allem zwei Beweise angeführt - der Artikel im „Adenauer Kreis- und Wochenblatt“ (nachzulesen unter http://de.geocities.com/Idilia_dubb/wochenblatt.html ) und Idilias Tagebuch. Bis vor kurzem waren die Zitate der Zeitung aus diesem Tagebuch der einzige Beleg für die Wahrheit der Geschichte. 2002 erschien dann das angeblich komplette Tagebuch als deutschsprachige Ausgabe im C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag unter dem Titel „Das verschwundene Mädchen“. Als Herausgeberin wird Genevieve Hill genannt, die damalige Freundin Idilias. Ist beides wirklich ein Beleg für die Wahrheit der Geschichte?

Adenauer Kreis- und Wochenblatt

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In dieser Zeitung erschien in der Nr. 43 vom Sonntag, den 26. Oktober 1863 ein Artikel mit dem Titel „Der Tod der Miss Dubb auf Burg Lahneck bei Coblenz“. In der Fortsetzung der 44. Ausgabe vom 2. November 1863 wurden zusätzlich Auszüge des Tagebuchs veröffentlicht. Diese Fassung wird hier zur Untersuchung herangezogen, da sie sich doch ziemlich von der im Bertelsmann Verlag erschienenen, bearbeiteten Fassung unterscheidet. Unter anderem dadurch, dass der Text nicht durch Datumsangaben (wie im Buch) in einzelne Tage unterteilt ist. Auch das Foto dieses Tagebuchs (dazu später) zeigt übrigens die Datumsangaben. Die Zeitung ist im Übrigen ein Provinzblättchen, das einmal die Woche mitten in der Eifel - also ein erhebliches Stück vom Ort der Ereignisse entfernt - erschienen ist.

In der Einleitung wird beschrieben, dass 11 Jahre zuvor in allen Blättern der Rheingegenden und später auch des übrigen Deutschland nach der vermissten Idilia geforscht wurde. Recherchen in regionalen Archiven, die Herr Kuhn (historischer Verein Lahnstein) und Herr Geil (Archivar in Oberlahnstein) sowie der Chefredakteur der Siegener Zeitung anstellten, ergaben, dass in keinem der Blätter der direkten Region (Lahnstein, Koblenz, Siegen) eine solche Veröffentlichung nachzuweisen ist. Es sind zwar nicht alle damaligen Zeitungen erhalten, aber welches Blatt hätte sich damals eine solche Gruselstory entgehen lassen? Weiter wird vermerkt, dass die Auszüge aus dem Tagebuch einer Veröffentlichung der TIMES entnommen wurden. Im digitalen Archiv der Times in der „british library newspapers“ ist kein Eintrag zu Idilia Dubb zu finden. Gab es die zitierten Veröffentlichungen also gar nicht?

Im Artikel sind neben dem Familiennamen Dubb nur die Vornamen Idilias sowie ihrer Geschwister George und Marie vermerkt, alle anderen Namen finden sich nur im ersten Tagebuch sowie im Epilog des Buches. Eine Recherche in der offiziellen Regierungsquelle zu genealogischen Daten Schottlands (www.scotlandspeople.gov.uk) ergab in dem Zeitraum von 1834 (Idilias Geburtsjahr) bis 1868 (spätestes Todesjahr der Mutter Elizabeth) weder im Geburts- noch im Todesregister einen Eintrag. Der Familienname Dubb wird lediglich in den Volkserhebungsdaten von 1861 viermal erwähnt, allerdings nicht in Verbindung mit den in Frage kommenden Vornamen der Familienangehörigen. Das Gleiche gilt übrigens auch für die im Tagebuch genannte Freundin Genevieve Hill und deren Schwester Betty McGregor, bei der das Tagebuch letztendlich gelandet sein soll. Weitere Recherchen von Herrn Kuhn betreffs des Aufenthalts der Familie in Koblenz und Umgebung (Unterlagen der Fremdenpolizei sind nicht mehr vorhanden, da im Zweiten Weltkrieg verbrannt) oder der Existenz von Christian Bach - der angebliche Geliebte Idilias aus Bad Ems - blieben ebenso erfolglos (Stadtarchiv Bad Ems und Hessisches Hauptstaatsarchiv).

Anhand des Artikels lässt sich noch nicht einmal das Jahr 1860 - das allgemein genannt wird - als das Jahr der Auffindung der Leiche verifizieren. Es wird nur durch die Bemerkung „vor einigen Jahren“ und der Nennung des Todesjahres des Vaters (1859) eingegrenzt.

Die Tagebücher

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Alle folgenden Angaben beziehen sich auf die deutsche Ausgabe des Tagebuches. Man muss das Buch nicht gelesen haben, um es beurteilen zu können. Dafür reichen die folgenden Zitate aus dieser deutschen Ausgabe durchaus. Sie sind im folgenden kursiv gedruckt. Glaubt man dem Text des Buches, so gibt es zwei Tagebücher. Das Erste enthält die Beschreibung der Reise bis nach Lahnstein. Das Zweite handelt nur von dem Gang zur Burg und Idilias Tod.

Die Reisebeschreibung – erstes Tagebuch

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Wer das Buch liest, wird feststellen, dass es wohl kaum im Stil eines 17jährigen Mädchens verfasst wurde. Es ist romanhaft durchformuliert und der Text beschreibt eine Häufung von Zufällen und Unwahrscheinlichkeiten, wie man sie in einem Liebes- oder Abenteuerroman erwartet. Befassen wir uns aber statt mit den Unwahrscheinlichkeiten mit konkreten Beschreibungen, wie sie zur bereisten Landschaft immer wieder zu finden sind. Über diese Beschreibungen liest der heutige Leser einfach hinweg. Sie sind für ihn bekannte Realität oder scheinen schlicht unwichtig zu sein. Beleuchtet man einige Details genauer, sieht das ganz anders aus.

Schon zu Beginn auf Seite 21 schreibt Idilia, dass sie von ihrer Freundin eine Postkarte aus New York erhalten hat. Wohlgemerkt wir befinden uns im Jahre 1851. Die erste Postkarte wurde allerdings erst 1869 in Österreich herausgegeben und hieß damals noch Correspondenzkarte. Die Bezeichnung Postkarte gibt es erst seit 1872.

Die Rheinfahrt führt entlang des Siebengebirges, auf Seite 133 liest man: Als wir diese Stelle passierten, feuerten ein paar Reisende auf unserem Schiff Pistolen ab, und die Schüsse hallten ebenso wie das Dröhnen des Schiffrades, mit siebenfachem Echo von den Felswänden wieder. Der Autorin oder dem Autor war zwar die Tatsache eines siebenfachen Echos bekannt, beim Drachenfels war es jedoch nicht zu hören, dazu ist das Tal hier zu breit. Dagegen bot die Engstelle des Rheins unterhalb der Loreley das berühmte Echo, welches mit ein Grund war, dass dieser Fels und später die gleichnamige Dame zum Mythos wurden. Diese Strecke befuhr Idilia aber nicht.

Den „Koblenzer Hof“, in dem die Familie angeblich in Koblenz übernachtete, gab es erst ab 1907.

Ein etwas ausführlicheres Beispiel bietet die Stadtbeschreibung von Koblenz und Ehrenbreitstein ab Seite 146: Die Stadt wird beherrscht von schwarzen Mauern und liegt zwischen dunklen Bergen und breiten , ebenen Feldern am Fluss. Die mächtige Festung Ehrenbreitstein, die in all ihrer Pracht auf einer Felsspitze steht, lässt noch den Glanz alter Zeiten in der Stadt spüren. Ein Zeitgenosse hätte diese Beschreibung wohl kaum geliefert. Koblenz war damals beherrscht von einer zum Land hin durchlaufenden Befestigungslinie mit Wall und Graben. Die Flussseite war durch Mauern befestigt. Die Steinbauten der Befestigung boten vor allem zur Stadt hin durch die klassizistische Bauweise einen imposanten Eindruck. Dieser war auch nach Bauende ca. 23 Jahren vor 1851 bei den damaligen Umwelteinflüssen wohl kaum beeinträchtigt. Koblenz war umgeben von vorliegenden Festen und kleineren Befestigungen, die auf den Höhenzügen gut sichtbar waren, da diese nicht bewaldet waren. Hinzu kommt, dass die Baumaßnahmen zur Armierung (= gefechtsbereit machen) der Festung nicht alle rückgängig gemacht wurden. Diese Armierung dauerte bis zum Januar 1851, aber noch nachher dürfte sie in der Landschaft und im täglichen Ablauf des Lebens deutliche Spuren hinterlassen haben. Die „Festung Ehrenbreitstein“ war nur eine von drei Festen und nicht die größte. Herausragend erwähnt wurde sie allerdings in damaligen Reiseführern wegen der berühmten Aussicht. Schon gar nicht handelte es sich um den „Glanz alter Zeiten“, da sie von 1817 bis 1828 neu erbaut wurde - in der Zeit um 1851 herum also fast ein Neubau - und in voller Funktion war.

[…]und die Umgegend ist reich an Dörfern, Ruinen, Burgen und Kirchen aus rotem Sandstein. Jeder Einheimische weiß, dass an den alten Bauten kaum Sandstein zu finden ist. Bei den Bruchsteinmauern wurde Grauwacke oder Schiefer verwendet, die Werksteine waren vorwiegend aus Tuff oder Basalt der Eifel.

Im Park drängten sich die prächtigsten Kutschen, unzählige Reiterinnen und Reiter und eine große Zahl elegant gekleideter Männer und Frauen, die stolz ihre Diamanten, goldenen Uhren, Ketten und andere Schätze spazieren trugen. Koblenz war Garnisonsstadt und es wimmelte hier eher von Soldaten als von reichen Herrschaften. Vor allem aber gab es noch keinen Park. Man machte seinen Spaziergang auf neu angelegten Straßen, die als Baumalleen angelegt waren. Die Rheinanlagen, welche man durchaus als Park bezeichnen konnte, entstanden erst ab 1854.

Wir besuchten ein Museum, in dem das Gesamtwerk des berühmten Künstlers Albrecht Dürer zu sehen ist… Warum sollte das Gesamtwerk von Albrecht Dürer ausgerechnet in Koblenz gelandet sein? Die Nürnberger hätten sich bedankt.

Weiter geht es mit der Beschreibung von Ort und Feste Ehrenbreitstein: Hier besichtigten wir einen Felsen über dem Rhein, der eine natürliche Festung darstellt und daher als das „deutsche Gibraltar“ bekannt ist. Am Fuße des Berges befinden sich einige Lagerhäuser und Magazine, deren schmucke Portale und Säulen die Gebäude wie Teile eines Schlosses aussehen lassen. Aus der Feste ist plötzlich ein Fels und eine natürliche Festung geworden. Die Festung Koblenz - war in der damaligen Zeit nach Gibraltar eine der bedeutendsten Festungen Europas - der Ehrenbreitstein nur ein Teil davon. Dieser Vergleich der Feste Ehrenbreitstein mit Gibraltar kursiert fälschlicherweise heute. Der Unterehrenbreitstein war um die Reste des kurfürstlichen Schlosses herum befestigt. Ob ein Zugang dazu und zur Feste wegen der Armierungsmaßnahmen überhaupt möglich war, ist nicht ganz klar. Aber zumindest benötigte ein Tourist, der die Feste Ehrenbreitstein (nicht einen Felsen) besichtigen wollte, dazu einen Erlaubnisschein. Diesen musste man sich zuerst in Koblenz besorgen. Die Beschreibung entspricht der Phantasie und den wenigen Informationen, die ein Tourist in den 1990er Jahren erhalten hätte.

In dieser Gegend ist […] auch die Künstlerkolonie von Koblenz angesiedelt. In Ehrenbreitstein gab es tatsächlich eine Art Künstlerkolonie, allerdings in der erzbischöflichen Zeit, als das Schloss noch am Fuß des Felsens lag und der Bischof seine Hof-Künstler und -Handwerker hier angesiedelt hatte.

Während der Wanderung von Koblenz nach Niederlahnstein sieht Idilia eine Kirche mit zwei baufälligen Türmen, die sie anhand ihres Reiseführers als Johanniskirche identifiziert. Die Johanniskirche brannte jedoch 1794 nieder und war zum fraglichen Zeitpunkt Ruine. Der zweite Turm (auf alten Ansichten noch zu sehen) stürzte 1844 ein. Der Wiederaufbau (ohne den zweiten Turm) erfolgte erst ab 1856.

Bei Überquerung der Lahn findet sich die Bemerkung: Wir befanden uns nun im Herzogtum Hessen/Nassau. Es gab damals das Herzogtum Nassau, das Kurfürstentum Hessen (nord-östlich davon) und das Großherzogtum Hessen-Darmstadt (südlich davon) aber kein Hessen/Nassau. Auch bildete nicht die Lahn die Grenze. Sie verlief zwischen Ehrenbreitstein und Niederlahnstein, welches ebenfalls zu Nassau gehörte.

Während des Aufstiegs zur Burg Lahnstein liest man auf Seite 188: Eine Hügelkette bildete den Horizont, auf deren Gipfeln die Silhouetten von Burgen aufragten. Mit der Hügelkette kann nur der Hunsrück gemeint sein. Auf den Bergen ist von dieser Position aus nicht eine Burg zu sehen. Auch diese Bemerkung ist ein romantisches Klischee. Deutlich sichtbar war dagegen Schloss Stolzenfels. In jedem Reiseführer der Zeit wird es erwähnt, hier allerdings nicht.

Das stärkste Stück des Textes findet sich auf Seite 189: Wir hörten das Zwitschern und Tirilieren von tausenden von Vögeln, eine Eisenbahn in der Ferne, Glockenläuten und das Muhen der Kühe auf den Weiden. Ein schönes Idyll, keiner denkt sich etwas dabei. Aber! Es gab in der Region noch keine Eisenbahn. Die linksrheinische Strecke von Köln/Bonn reichte noch 1856 nur bis Rolandseck. Eine durchgehende Verbindung nach Mainz über Koblenz wurde erst 1859 fertiggestellt. Rechtsrheinisch gab es erst 1862 eine Verbindung von Rüdesheim nach Oberlahnstein. Seitenstrecken natürlich noch später.

Dieser erste Teil des Tagebuches, von dem es im Übrigen keine Abbildung gibt, macht es einem relativ einfach. Das Buch kann man getrost dem Reich der Phantasie zuordnen. Man macht es sich zu einfach, wenn man die vielen offensichtlich falschen Angaben nur der Bearbeitung durch die Freundin und Herausgeberin Genevieve Hill zuweist und ansonsten einen wahren Kern des Tagebuches annimmt. Wo sollte der zu finden sein? Viele erst nach der Zeit und auch heute noch kursierende Klischees, lassen auf einen - zumindest in Teilen - nicht zeitnahen Zeitpunkt der Entstehung schließen. Manche deuten sogar auf die 1990er Jahre. Zugegeben, es gibt auch ein paar Einzelheiten, die stimmig sind. Mit ein wenig Recherche waren diese aber herauszubekommen. Die Verfasserin oder der Verfasser verrät sich aber durch die vielen Details, die falsch und offensichtlich nicht recherchiert waren. Es liegt die Benutzung eines Reiseführers nahe, der vor der fraglichen Zeit entstanden ist (z.B. einer von Murray in Englisch oder Baedecker in Deutsch – beide ab 1836). Äußerst merkwürdig ist natürlich auch, dass dieses erste Tagebuch angeblich direkt vor dem Gang zur Burg vollgeschrieben war und deshalb ein neues begonnen wurde.

Der Gang zur Burg und das Ende Idilias – zweites Tagebuch

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Nach dem Adenauer Kreis- und Wochenblatt war dieses Tagebuch „ein kleines Taschenbuch[…]in dem auf vergilbten und halb vermoderten Blättern einige Bleistiftaufzeichnungen wahrnehmbar wurden…“. Im Buch wird ein Schwarzweiß-Foto dieses Tagebuchs präsentiert. Es zeigt ein mindestens DIN A5 großes Buch mit beträchtlichem Umfang. Die oberste Papierschicht des Einbandes ist an einigen Stellen beschädigt. Die Beschriftung mit Tusche oder Tinte ist dagegen völlig unversehrt und gut lesbar. Während von der Leiche nur das Skelett - und zwar „durch die Umwelt-einflüsse zerstreut“ - und ansonsten nur Spuren von Schuhsohlen und metallische Überbleibsel der Bekleidung zu finden waren, soll dieses Buch die lange Zeit von neun Jahren auf dem Turm fast unbeschädigt überstanden haben? Gut, es war in eine „Mauerscharte geklemmt“ – was auch immer das sein soll. Aber es ist jedem normal denkenden Menschen bekannt, dass Wasser die Eigenschaft hat, um jede Ecke und in jede Ritze zu fließen. Und Wasser gab es auf der Turmplattform in den vielen Jahren mit Sicherheit genug. Von der Beschriftung auf dem Einband dürfte also schon beim Fund eigentlich kaum noch etwas zu sehen gewesen sein. Auch ein Foto des aufgeschlagenen Tagebuches (wie im Internet auf der Seite www.kuhn-lahnstein.de zu finden) erweckt nicht den Eindruck, dass diese Seiten halbvermodert sind und lange der Feuchtigkeit ausgesetzt waren. Mehr als dieses Foto stellte der schwedische Journalist Hans Hatwig, der die Rechte an dem Tagebuch angeblich von einer Stiftung gekauft hat, auch nicht zur Verfügung. Letztendlich klären, ob das Buch zumindest aus der damaligen Zeit ist, ließe sich nur durch eine wissenschaftliche Untersuchung. Bisher hat Herr Hatwig diese nicht für nötig befunden. Ob sich das in Zukunft ändern wird, darf bezweifelt werden.

An überprüfbaren Fakten gibt es in diesem Tagebuch naturgemäß kaum welche. Aber man stellt sich doch die Frage, ob ein 17jähriges Mädchen im Angesicht des Todes noch Sätze wie „Die Bäume höre ich unter mir im Abendwinde rauschen, über mich steigt mit schwersurrenden Flügelschlägen das Nachtgevögel.“ schreiben würde. Dazu kommt die Unwahrscheinlichkeit, dass Idilia nur mit den Fingernägeln so viele Steine aus der Mauer gebrochen haben soll, dass sie über eine weit über ihren Kopf reichende Mauer sehen konnte. Früher soll es für den Aufstieg zum Mauerrand hölzerne Stufen gegeben haben. Was die Beschreibung der Treppe und des Turms anbelangt, so wird diese im nächsten Abschnitt behandelt. Beschränkt man sich nur auf dieses zweite Tagebuch, so lässt sich noch nicht einmal Lahneck als der Ort der Geschehnisse identifizieren. Der Name wird nicht erwähnt.

Aussehen der Burg Lahneck

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Befassen wir uns jetzt mit den Schilderungen des Turms von 1851 und 1860: […]wenn man nicht vor einiger Zeit sich genöthigt gesehen hätte, einen einzelnen noch stehenden Turm der Veste Lahneck wegen gänzlicher Baufälligkeit abtragen zu lassen. Auch zur Treppe werden Angaben gemacht: Die steinerne Wendeltreppe […] war im Frühjahr 1846 […] krachend und weithin Staub wirbelnd zusammengebrochen. […] so hatten im folgenden Jahre einige Naturfreunde an ihrer Stelle eine hölzerne errichten lassen […] Im Sommer 1850 war hier und da geäußert worden, dass sie murbe und wackelig geworden […] Das Tagebuch wurde auf dem Turmplateau gefunden: Als man nämlich den hohen Einfassrand (eine sogenannte Kranzbalustrade) ablöste, fand man in einer Mauerscharte ein kleines Tagebuch…

Es stellt sich die Frage: „Wie sah dieser Turm aus?“ Es wird von einem einzelnen noch stehenden Turm gesprochen. Ähnlich ist auch die Schilderung in einem Baedecker von 1849. Dort wird Lahneck nicht näher geschildert. Es ist nur von einem verfallenen Turm die Rede. Damit kann nur der Bergfried gemeint sein, da er am massivsten gebaut war. Dieser Bergfried hatte damals keinen ebenerdigen Zugang, wie es bei Bergfrieden üblich war. Ebenso gab es deshalb im unteren Geschoss auch keine Wendeltreppe. Die Treppen in den oberen Geschossen sind in engen, überwölbten Gängen innerhalb der Mauern hochgezogen - also keine Wendeltreppen. Eine solche Treppe konnte allenfalls durch Teileinbrüche der Gewölbe beschädigt sein, was angesichts der gut geschützten Lage unwahr-scheinlich ist. Ein In-sich-Zusammenbrechen auf einen Schlag war unmöglich. Unwahrscheinlich ist zudem, dass eine hölzerne Ersatztreppe im geschützten Inneren des Turmes 4 Jahre nach ihrem Bau so morsch gewesen sein soll, dass sie zusammenbrach. Da das Plateau gegebenenfalls als Wehrplattform dienen musste, war es von einem Zinnenkranz umgeben, welcher Schiessscharten enthielt. Mehrere zeitgenössische Darstellung der Ruine zeigen dies. Dieser Zinnenkranz dürfte durch die Belagerungen im 17. Jahrhundert und im Laufe der Zeit trotz der starken Mauern gelitten haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit lagen auf der Plattform Trümmer herum und in der Brüstung dürften auch größere Lücken geklafft haben. Eine übermannshohe, durchgehende Balustrade ist undenkbar, ebenso ein höher gelegener hölzerner Wehrgang – wozu sollte der sinnvoll gewesen sein, wo es doch die Turmplattform gab?

Wie stand es mit dem Zugang zur Ruine? Das ist unklar. 1803 wurde sie vom Architekten Peter Ernst von Lassaulx, dem Vater des bekannteren Johann Claudius von Lassaulx, gekauft. Dieser wollte sie vor dem Abbruch bewahren. Bis dahin war die Ruine als Steinbruch genutzt worden. Wenn es ihm mit dieser Absicht ernst war, kann man davon ausgehen, dass er den Zugang versperren ließ. Ein zeitgenössischer Plan zeigt so auch Pfade die um die Burg herumführten, welche dann zumindest noch die Aussicht auf die Landschaft und die Ruine erlaubten.

Wie sah die Burg zur Zeit der Auffindung des Skeletts aus? 1854 kaufte der schottische Geschäftsmann Edward A. Moriarty die Ruine und begann mit ihrem Wiederaufbau, der bis 1863 andauerte. Von den Wohngebäuden zur Lahnfront war bis auf einen kleinen Teil im Nord-Osten wenig erhalten. Der Bergfried, die Schildmauer mit ihren Ecktürmen sowie die Zwingermauer mit den Turmstümpfen waren in großen Teilen noch vorhanden. Moriarty baute die Wohngebäude der Lahnfront mit Nutzung der nord-östlichen Mauerreste wieder auf. Unter Einbeziehung der Ringmauer und den Mauern des Bergfrieds wurden auf beiden Seiten des Turmes neue Gebäude errichtet. Das östliche davon (das „Kleist’sche Haus“) bekam im oberen Bereich einen Zugang zum Bergfried, um dessen Räume mitzunutzen. Das westliche erhielt im EG einen Durchgang in den Turm, dieser selbst einen Zugang von außen und eine Wendeltreppe zur ursprünglichen Zugangsebene. Man kann davon ausgehen, dass vor Baubeginn eine Bauaufnahme gemacht und Baupläne erstellt wurden, wie es bei anderen Objekten auch geschah. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde dabei auch der Bergfried untersucht, zumal er in die Raumnutzung der neuen Gebäude einbezogen wurde. Nach neueren Bauuntersuchungen durch den Kunsthistoriker Lorenz Frank gibt es zum Kleist’schen Haus dendrochronologische Daten (Holzuntersuchungen) aus den Jahren 1853-55. Es gehört also zu den ersten Baumaßnahmen, die realisiert wurden. Das war insofern sinnvoll, als hier ohne großen Aufwand unter Einbeziehung der Mauern des Bergfrieds und der Schildmauer sowie den Resten der Kapelle schnell Ergebnisse erzielt werden konnten. Da der Turm in den oberen Stockwerken außerdem die einzigen noch intakten Räume der Burg aufwies, ist es mehr als wahrscheinlich, dass der Zugang vom Haus zum Turm ebenfalls in dieser Zeit entstand. Eine Leiche hätte also lange vor 1860 entdeckt werden müssen. Alles spricht zumindest eindeutig dafür, dass nicht die Burg Lahnstein der Ort des geschilderten Ereignisses war.

Die „Wiederauffindung“ des Tagebuches

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Hierzu gibt es im Buch nur die Angaben aus dem Nachwort (teilweise nachzulesen unter www.randomhouse.de/specialskids/hill/hill03.htm ). Irgendwie taucht es plötzlich bei der ehemaligen Idilia-Freundin Genevieve Hill auf. Die Eltern, denen es zunächst übergeben wurde, hatten aus mehreren Gründen keine Veranlassung, seine Existenz publik zu machen. Außerdem kannte wohl niemand die Abmachung der Freundinnen, ihre Tagebücher auszutauschen. Warum sollte es also in ihre Hände gelangt sein? Und aus welchem Grund sollte es über den Umweg Betty McGregor für eine Stiftung interessant gewesen sein? Über Jahrzehnte hatte sich laut Text niemand für die „Bearbeitung“ durch Genevieve Hill interessiert. Angeblich hat ein Amerikaner 1995 zunächst den Artikel und nach Nachforschungen in England und Schottland die Stiftung mit dem aufbewahrten Tagebuch gefunden. Herr Kuhn hat den schwedischen Journalist und Filmdirektor Hans Hatwig ausfindig gemacht, der das Ganze anders schildert. Danach hat er übers Internet von den Recherchen des Amerikaners erfahren und selbst das Tagebuch gefunden, sowie die Rechte an ihm erworben. Wie ihm dies in den 1990er Jahren gelungen sein soll ist völlig unklar. Als Basis für eine Suche gab es nur die Angaben aus dem Artikel. Darin werden nur die Namen von Idilia Dubb, ihrer Geschwister und der Stadt Edinburgh genannt sowie die Tatsache, dass die örtliche Fremdenpolizei anhand ihrer Unterlagen Nachforschungen in England anstellte. Zu den Akten der Fremdenpolizei sowie den Möglichkeiten einer Recherche in Edinburgh wurde weiter oben schon berichtet. Der Name Genevieve Hill war ihm durch den Artikel nicht bekannt. Es gab also keinen Ansatzpunkt für eine Recherche. Dieser Herr Hatwig wird nirgends im Buch genannt. Eine Nachfrage bei der Verlagsgruppe Randomhouse (Bertelsmann) ergab, dass die Rechte am Text bei dessen Firma Allicens Sweden HB (wie im Copyright erwähnt) liegen und dass er seinen Namen nicht erwähnt haben will. Die Firma hat bereits 1999 Titelschutz für den Buchtitel und ähnliche Fassungen beantragt. Hans Hatwig ist zudem nach Verlagsauskunft der Verfasser von Nachwort und Epilog. Er plant auch eine Verfilmung des Stoffes (er ist Filmdirektor!) weshalb er weitere angeblich vorhandene Relikte aus der Stiftung zurückhält.

Die Recherchen führen zu dem Schluss, dass sich die Angaben im Artikel zum Fund der Leiche, zur Existenz der Familie Dubb und den genannten Veröffentlichungen nicht beweisen lassen. Im Gegenteil sogar eher wiederlegt sind. Das erste Tagebuch ist wohl eine Fälschung. Sie wurde wahrscheinlich auf der Basis heutiger Erkenntnisse und den damit verbundenen Klischees unter Benutzung eines alten Reiseführers verfasst. Das zweite Buch bietet außer einigen unglaubwürdigen Schilderungen nichts Konkretes. Die Burg Lahneck scheidet aus mehreren Gründen als Ort der Geschehnisse aus. Auch die „fotografischen Belege“ zum Tagebuch sind sehr zweifelhaft. Was bleibt ist der „zitierte“ Text. Gab es ihn überhaupt? Woher hatte der Verfasser des Artikels ihn? War es überhaupt ein Tagebuch? Das alles lässt sich nicht mehr klären. Der Tipp auf das Manuskript für einen romantischen Roman in Tagebuchform, der nie veröffentlicht wurde, liegt nahe.

Was bleibt also von der Geschichte? Dazu kann sich der Leser mit Hilfe der genannten Argumente ein eigenes Bild machen. Dem Autor ist klar, dass diese einen eingefleischten „Romantiker“ nicht überzeugen werden, obwohl es keiner von ihnen bis jetzt geschafft hat, einen schlüssigen Beweis für die Wahrheit der Geschichte zu finden. Für alle Anderen ist das alles ein schönes Beispiel für eine romantische Legende, wie sie im 19. Jahrhundert vielfach entstanden sind. Vielleicht war das Ganze ja nur eine gelungene PR-Aktion, nur das man das damals noch nicht so nannte. Dafür spricht auch, dass die Bauarbeiten auf Burg Lahneck nach den Untersuchungen von Herrn Frank genau mit dem Jahr 1863, als der Artikel erschien, beendet waren. Sagenforscher, wissen, wie so ein Gerücht erfolgreich wird. Eine Geschichte wird irgendwo in die Welt gesetzt (z.B. im Adenauer Kreis- und Wochenblatt). Wenn sie interessant und gruselig ist, wird sie sich durch Mundpropaganda schnell verbreiten und irgendwann fragt sich niemand mehr, ob das alles Realität war. Rückwirkende Recherchen über diese erste Erwähnung hinaus lassen sich nie machen, obwohl vorhergehende Quellen zu einem solchen Vorfall genannt werden. Das funktionierte gleich zweimal. Einmal bei der Entstehung der Geschichte im 19. Jahrhundert und jetzt vielleicht, um ein Buch und einen Film erfolgreich zu verkaufen.