Eine Bieberbachgruppe, benannt nach Ludwig Bieberbach, ist in der Gruppentheorie eine Raumgruppe, also eine diskrete Gruppe von Isometrien des euklidischen Raumes mit beschränktem Fundamentalbereich, mit der zusätzlichen Eigenschaft, dass jeder Punkt des euklidischen Raumes nur von der Identitätsoperation stabilisiert wird. Man nennt diese Raumgruppen auch fixpunktfrei.

Definitionen

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Wir betrachten die Gruppe   der Isometrien des euklidischen Raumes, also des   mit der euklidischen Metrik. (Siehe Bewegung (Mathematik)#Bewegungen im euklidischen Raum.) Manche dieser Bewegungen (z. B. Drehungen) stabilisieren einen oder mehrere Punkte des euklidischen Raumes, andere (z. B. Verschiebungen) lassen keinen Punkt fest.

Eine Raumgruppe (oder kristallografische Gruppe)   ist eine diskrete Gruppe von Isometrien des euklidischen Raumes mit beschränktem Fundamentalbereich. Dabei heißt eine Gruppe diskret, wenn es keine Folgen   mit   gibt. Die Beschränktheit des Fundamentalbereichs ist äquivalent zu den Bedingungen, dass   (oder äquivalent  ) kompakt ist.

In der Kristallografie spielen 3-dimensionale Raumgruppen eine wesentliche Rolle.

Eine Bieberbachgruppe ist eine Raumgruppe  , deren Wirkung auf dem   fixpunktfrei ist. Das bedeutet, dass es keinen Punkt   mit

 

gibt. Man beachte, dass einzelne Elemente aus   durchaus Fixpunkte haben könne, eine Bieberbachgruppe also durchaus auch Spiegelungen oder Drehungen enthalten kann, weil nur die Existenz eines gemeinsamen Fixpunktes aller   ausgeschlossen wird.

Die fixpunktfreie Wirkung ist äquivalent zu der Bedingung, dass aus   und   für ein   stets   folgt. Eine andere äquivalente Bedingung ist, dass der Quotientenraum   eine Mannigfaltigkeit (nicht nur eine Orbifaltigkeit) ist. Weil   eine Gruppe von Isometrien ist, "erbt"   dann die flache Metrik des  . Bieberbachgruppen sind also gerade die Fundamentalgruppen kompakter flacher Mannigfaltigkeiten, weshalb sie auch in der Differentialgeometrie von Interesse sind.

Beispiele

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Ausschnitt eines Gitters. Die blauen Punkte gehören zum Gitter. Jedes Parallelogramm bildet einen Fundamentalbereich.

Ein Beispiel einer Bieberbachgruppe ist die Gruppe der "ganzzahligen Verschiebungen" der Ebene. Diese besteht aus den durch

 

definierten Verschiebungen, wobei   und   alle ganzen Zahlen durchlaufen. Diese Gruppe ist also isomorph zu  , sie ist diskret und ein beschränkter Fundamentalbereich ist zum Beispiel gegeben durch das Einheitsquadrat  . Die Gruppe operiert fixpunktfrei, weil alle Elemente (außer der Identität) Verschiebungen sind.

Allgemeiner kann man ein beliebiges Gitter (wie im Bild rechts) verwenden, die Verschiebungen parallel zu Vektoren dieses Gitters definieren dann eine 2-dimensionale Bieberbachgruppe, die abstrakt natürlich ebenfalls zu   isomorph ist und die eines der Parallelogramme als kompakten Fundamentalbereich hat. Es gibt aber auch 2-dimensionale Bieberbachgruppen, in denen zusätzlich zu Verschiebungen noch eine Spiegelung vorkommt, siehe Kleinsche Flasche.

Diese Beispiele lassen sich auf höhere Dimensionen verallgemeinern, zu jedem n-dimensionalen Gitter im   definieren die Verschiebungen entlang des Gitters eine Bieberbachgruppe. Es gibt in höheren Dimensionen aber noch zahlreiche weitere Bieberbachgruppen (siehe Flache Mannigfaltigkeit) zum Beispiel 10 verschiedene Isomorphismustypen drei-dimensionaler Bieberbachgruppen. (Andererseits bilden Bieberbachgruppen nur einen kleinen Teil aller Raumgruppen, so gibt es zum Beispiel nach der Schoenflies-Fjodorow-Klassifikation 230 Isomorphismustypen drei-dimensionaler Raumgruppen.)

Siehe auch

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Literatur

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  • Ludwig Bieberbach: Über die Bewegungsgruppen der Euklidischen Räume (Erste Abhandlung). In: Mathematische Annalen. Band 70, Nr. 3, September 1911, S. 297–336, doi:10.1007/BF01564500 (gdz.sub.uni-goettingen.de).
  • Ludwig Bieberbach: Über die Bewegungsgruppen der Euklidischen Räume. (Zweite Abhandlung.) Die Gruppen mit einem endlichen Fundamentalbereich. In: Mathematische Annalen. Band 72, Nr. 3, September 1912, S. 400–412, doi:10.1007/BF01456724 (gdz.sub.uni-goettingen.de).
  • Leonard S. Charlap: Bieberbach groups and flat manifolds. Springer, New York NY u. a. 1986, ISBN 3-540-96395-2.
  • Erhard Scholz: Symmetrie, Gruppe, Dualität. Zur Beziehung zwischen theoretischer Mathematik und Anwendungen in Kristallographie und Baustatik des 19. Jahrhunderts (= Science Networks. Historical Studies. Band 1). Birkhäuser, Basel u. a. 1989, ISBN 3-7643-1974-7, S. 151 ff. (Zugleich: Wuppertal, Universität-Gesamthochschule, Habilitations-Schrift, 1986, allgemein zu Bieberbach und den Bieberbach-Sätzen in dessen Beschäftigung mit Raumgruppen).