Des Lebens Überfluß

Novelle von Ludwig Tieck

Des Lebens Überfluß ist eine Novelle von Ludwig Tieck, die – vor dem September 1837 geschrieben[1] – in der Urania. Taschenbuch auf das Jahr 1839[2] erschien.

Ludwig Tieck
* 1773 † 1853

Das verliebte junge Ehepaar Clara und Heinrich Brand, mittellos geworden, hungert sich durch einen strengen Winter und kapselt sich ab[3]. Im Vorfrühling dann naht die Erlösung von dem Übel.

Vorgeschichte

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Clara, Tochter eines vermögenden, einflussreichen adligen Gesandten, liebt den aufstrebenden Diplomaten Heinrich Brand. Schließlich brennt das Mädchen mit dem jungen Bürgerlichen durch. Das Paar heiratet. Den Segen von Claras Vater haben die frisch vermählten Flüchtlinge freilich nicht. Im Gegenteil, sie müssen sich vor den Nachforschungen des alten Gesandten verbergen und mieten sich bei dem Hauswirt Emmerich nicht sehr komfortabel im Obergeschoss ein. Den Beruf kann Heinrich von seinem Versteck aus nicht mehr ausüben. Eine Chaucer-Ausgabe muss unter Wert veräußert werden. Die bibliophile Kostbarkeit war Heinrich von dem reichen Studienfreund Andreas Vandelmeer geschenkt worden. Andreas war später nach Ostindien gegangen. Heinrich hatte dem Freunde einen Teil seines Kapitals, das er von den Eltern geerbt hatte, mitgegeben. Andreas wollte mit dem Gelde spekulieren.

Zu allem Unglück hatte Heinrich auch noch sein Manuskript, eine „herrliche Dichtung“, einem „leichtsinnigen Buchhändler“ übergeben. Dieser hatte sich mit diesem einzigen Exemplar aus dem Staube gemacht. Als Heinrichs Barschaft dann zur Neige ging, war die alte, verschwiegene Christine als einzige Stütze des jungen Ehepaares übrig geblieben. Christine, einst die Amme Claras, war freiwillig mit geflüchtet.

Handlung

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Die Handlung setzt ein, als die Not des Ehepaares am größten ist. Das Geld ist ausgegangen und der Winter erweist sich als ungewöhnlich hart. Der Hauswirt Emmerich weilt außerhalb zu einer Kur gegen sein Podagra. Heinrich, mit Clara allein zu Haus, zerkleinert und verheizt sukzessive die massive Eichenholztreppe, die in die Etage des jungen Paares hinauf führt. Des Zugangs beraubt, muss Heinrich den Wassereimer etc. mit einem Seil heraufziehen. Christine assistiert von unten. Auf diese Art wird überwintert. Im Spätwinter, als der Frühling nahen will, kommt der Hauswirt von der Kur zurück und ruft sogleich die Polizei. Heinrich soll wegen unerlaubten „Treppenverbrauches“ inhaftiert werden. Zunächst ist das junge Paar für die anrückende Staatsmacht nicht erreichbar. Zudem gebärdet sich Heinrich von oben herab unmanierlich. Der aufmüpfige stellungslose Diplomat redet dreist und frech. Doch seine Hinhaltetaktik wirkt. Andreas kommt via London aus Ostindien – mit der wieder erworbenen Chaucer-Ausgabe im Gepäck – zurück. Alle Not hat ein Ende. Dank der ostindischen Spekulationen ist Heinrich auf einmal wohlhabend geworden. Alles, wirklich alles, wendet sich zum Guten. Claras Vater verzeiht der Tochter. Heinrich finanziert bei Emmerich den Bau der neuen Treppe – allerdings unter einer strengen Prämisse: „eine große, steinerne Treppe“, also eine nicht brennbare, muss es sein. Hauswirt Emmerich setzt jedoch den Bau einer hölzernen durch. Drei Jahre nach dieser doch insgesamt glücklichen Wende ist Heinrichs Manuskript zum „beliebten Buch“ geworden.

Die Vorgeschichte wird in die Novelle hereingeholt, indem Heinrich in seinem Tagebuch blättert und Clara daraus vorliest. Aus seiner Not macht das Paar eine Tugend. Selbst der Armut gewinnt es noch eine Sonnenseite ab. Heinrich und Clara zehren von Wasser und Brot. Beide leben – stets heiter und verliebt, die reinsten Turteltauben – dem Anschein nach sorglos in den Tag hinein. Nie fällt ein böses Wort.

Interpretation

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Pöschel nennt Dissertationen und neuere Interpretationen zu Des Lebens Überfluß[4] und geht ausführlich auf den allegorischen und poetischen Gehalt der Novelle ein. Bezüge zu Shakespeares Macbeth[5] und besonders zu Jean Pauls Siebenkäs[6] werden eruiert. Aber auch Goethes Götz[6] und Chaucers Canterbury-Erzählungen[7] werden im Zusammenhang mit der Novelle besprochen. Insbesondere wird Heinrichs Traum, in dem seine Person verauktioniert wird, in Beziehung zu einem Faktum untersucht: Der Bürger Heinrich entführt und heiratet eine Adlige[8][9][10].

Selbstzeugnis

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  • Tieck hält die Novelle für eines seiner „gelungensten Werkchen“[11].

Rezeption

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  • Hesse nahm die Novelle in seine Bibliothek der Weltliteratur auf[12].
  • Der Titel der Novelle könnte sich auf eine Zeile des Hölderlin-Gedichts Rousseau beziehen:
„Des Lebens Überfluß, das Unendliche,“[13][14]
  • Gebhardt weist auf das Märchenhafte des Stoffes hin[15].
  • Schöll „entzückt und belustigt diese selige Erhebung über die Materialität“[16], wie „die Treppe so allmählich die Treppe hinaufgeschafft wird“[17].
  • Hebbel notiert zu der Novelle am 16. Februar 1839 in sein Tagebuch: Der „reine Mensch“ kann „immer seine Selbständigkeit behaupten“[18].
  • Minor nennt die Novelle ein „reizendes schelmisches Stück“[19].
  • Elke Heidenreich resümiert: „Die Poesie der Idylle, in der Liebe, Glück und Humor den Alltag unwirklich werden lassen, wird dem Zustand einer Gesellschaft gegenübergestellt, die in ihrer materiellen Enge und rationalen Einseitigkeit das Individuum zu unterdrücken droht.“[20]

Literatur

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Quelle
  • Gotthold Ludwig Klee (Hrsg.): Tiecks Werke. Dritter Band. Des Lebens Überfluß. S. 45–106 in Meyers Klassiker-Ausgaben. Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1892. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe. 474 Seiten
Ausgaben
  • Ludwig Tieck: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016 (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
  • Ludwig Tieck: Des Lebens Überfluß. Insel Leipzig 1913. 69 Seiten. Insel-Bücherei 33
  • Ludwig Tieck: Des Lebens Überfluß. Mit Illustrationen von Luigi Malipiero. Karl Voegels Verlag Berlin um 1930. Terra-Bücher Nr. 30. 64 Seiten
  • Ludwig Tieck: Des Lebens Überfluß. Alfred Scherz Bern 1945. 77 Seiten. Parnass-Bücherei Nr. 39, Goldprägung auf Bucheinband
  • Ludwig Tieck: Des Lebens Überfluß. Mit Illustrationen von Wolfgang Felten. Rütten & Loening Potsdam um 1949. 94 Seiten.
  • Ludwig Tieck: Des Lebens Überfluß. Philipp Reclam 1986. Reclams Universal-Bibliothek 1925, ISBN 978-3-15-001925-2
  • Ludwig Tieck: Des Lebens Überfluß. Hamburger Lesehefte Nr. 59. Anno 1986, ISBN 978-3-87291-058-5
  • Ludwig Tieck: Des Lebens Überfluß. GRIOT Hörbuch Verlag GmbH. Sprecher: Heiner Heusinger. 1. Aufl.: 25. August 2008, ISBN 978-3-941234-06-2
Sekundärliteratur
  • Hermann Hesse: Eine Bibliothek der Weltliteratur. Reclams Universalbibliothek Nr. 7003. Leipzig 1957. [53 Seiten. Mit einem Nachwort des Autors vom Dezember 1948.]
  • Uwe Schweikert (Hrsg.): Dichter über ihre Dichtungen: Ludwig Tieck. Band 9/2, München 1971, S. 65.
  • Roger Paulin: Ludwig Tieck. Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1987. Reihe: Sammlung Metzler; M 185. 133 Seiten, ISBN 3-476-10185-1.
  • Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Teil 2. Das Zeitalter der Napoleonischen Kriege und der Restauration: 1806–1830. München: C. H. Beck Verlag 1989. 912 Seiten, ISBN 3-406-09399-X, S. 519.
  • Hannelore Schlaffer: Poetik der Novelle. Metzler, Stuttgart 1993, ISBN 3-476-00957-2.
  • Burkhard Pöschel: „Im Mittelpunkt der wunderbarsten Ereignisse“. Versuche über die literarische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Moderne im erzählerischen Spätwerk Ludwig Tiecks. S. 91–130. Bielefeld: Aisthesis Verlag 1994. 261 Seiten, ISBN 3-925670-99-8.
  • Armin Gebhardt: Ludwig Tieck. Leben und Gesamtwerk des „Königs der Romantik“ S. 263–264. Marburg: Tectum Verlag 1997. 354 Seiten. ISBN 3-8288-9001-6.
  • Lutz Hagestedt: Ähnlichkeit und Differenz. Aspekte der Realitätskonzeption in Ludwig Tiecks späten Romanen und Novellen. München: Belleville Verlag 1997. 346 Seiten. ISBN 3-923646-66-6.
  • Elke Heidenreich: [Werkartikel] Des Lebens Überfluß. In: Kindlers Literatur Lexikon. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. 3., völlig neu bearbeitet Auflage. 18 Bde. Metzler, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-476-04000-8, Bd. 16, S. 268f.

Einzelnachweise

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  1. Quelle, S. 47 unten
  2. zitiert in Paulin, S. 92, 4. Lit.stelle v.o.: Urania, S. 1–66
  3. Hannelore Schlaffer, S. 112
  4. Pöschel, S. 91
  5. Pöschel, S. 94
  6. a b Pöschel, S. 96
  7. Pöschel, S. 106
  8. Pöschel, S. 121, 12. Z.v.o.
  9. Quelle, S. 65, 2. Z.v.o., S. 105, 20. Z.v.o.
  10. Schulz, S. 511, 6. Z.v.u.
  11. Schweikert, zitiert in Pöschel, S. 91, 4. Z.v.o.
  12. Hesse, S. 31, 2. Z.v.u.
  13. Pöschel, S. 130 unten
  14. Der Wortlaut des Gedichts bei textlog.de: „Rousseau“
  15. Gebhardt, S. 263, 2. Z.v.u.
  16. Quelle, S. 48, 10. Z.v.o.
  17. zitiert bei Klee in der Quelle, S. 48, 12. Z.v.o.
  18. zitiert bei Klee in der Quelle, S. 48, 18. Z.v.o.
  19. zitiert bei Klee in der Quelle, S. 50, 14. Z.v.o.
  20. Elke Heidenreich: [Werkartikel] Des Lebens Überfluß. In: Kindlers Literatur Lexikon. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. 3., völlig neu bearbeitet Auflage. 18 Bde. Metzler, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-476-04000-8, Bd. 16, S. 268f., hier 269.