Diskussion:Karacaören (Kars)
Der Artikel „Karacaören (Kars)“ wurde im April 2020 für die Präsentation auf der Wikipedia-Hauptseite in der Rubrik „Schon gewusst?“ vorgeschlagen. Die Diskussion ist hier archiviert. So lautete der Teaser auf der damaligen Hauptseite vom 2.06.2020; die Abrufstatistik zeigt die täglichen Abrufzahlen dieses Artikels. |
"Armenischer" Ortsname
BearbeitenՆովոէստոնսկոյե ist nicht "armenisch", sondern die armenische Transkription des *russischen* Новоэстонское (= Nowoestonskoje), was auf *Russisch* wörtlich "Neuestnisches (Dorf)" bedeutet. Auf Armenisch wäre neu- nicht nowo-, sondern նոր- (nor-). Das genannte "Estonagan" hört sich eher nach Armenisch an (in der westarmenischen Transkription, ostarmenisch wäre wohl eher Estonakan, was auch etwa Estendorf oder -ort bedeutet); armenisch dann wohl Էստոնական, aber was ist die Quelle dafür, dass dieser Ort so genannt wurde? --AMGA (d) 18:32, 26. Apr. 2020 (CEST)
- Die Quelle wäre Adını Unutan Ülke des türkisch-armenischen Wissenschaftlers Sevan Nisanyan sowie die in Artikel. Es wurde so wegen der Zugehörigkeit zur Demokratischen Republik von Armenien so genannt.--2003:E6:2F1E:7F31:B97B:3BD6:3FC0:2BCC 19:10, 26. Apr. 2020 (CEST)
- OK, aber das war ja dann nur für ein paar Jahre von 1918 bis Ende 1920(?), nicht in den Jahren ab Gründung. --AMGA (d) 00:19, 27. Apr. 2020 (CEST)
Herkunft der Siedler
BearbeitenDie russische Wikipedia behauptet, wenn auch quellenlos, a) es habe sich einfach um Esten gehandelt, nicht um Deutsch-Balten, und b) ist sie präziser mit der Ortsangabe, nämlich "um Rakvere" (Wesenberg). Ist da was dran? --AMGA (d) 18:40, 26. Apr. 2020 (CEST)
- Das Dorf ist laut den Videos als deutsches Dorf bekannt, und in den Videos zum Artikel bezeichnen die Familienangehörigen sich als Deutsche. Auch auf Sevan Nişanyan Seite wurde es von Esten auf Deutsch-Balten bzw. Deutsche in der Türkei umkorrigiert.--2003:E6:2F1E:7F31:B97B:3BD6:3FC0:2BCC 19:10, 26. Apr. 2020 (CEST)
- Hi Amga und IP-Autor, ich war auch erst skeptisch, hab aber gerade im online "Atlas der Ethno-Politischen Geschichte des Kaukasus" von Artur Zuzijew (Tsutsiev), Wladikawkas 2006, online nachgesehen, den ich gern mal verwende. Er ist ziemlich fundiert, wurde von Yale University Press ins Englische übersetzt. Hier ist eine ethnolinguistische Karte Kaukasiens (russ.) der Jahre 1886-90, die blauen Hochkant-Rechteck-Symbole (Nr. 31) symbolisieren dort deutsche Dörfer. Ganz nahe südwestlich von Kars ist tatsächlich eines eingezeichnet (kein Name, da steht zwar eine "30" dran, aber das bezieht sich auf das umgebende Farbfeld). Ein estnisches Dorf (gibt es auf der Karte auch: violette Hochkant-Rechtecke/Nr. 47) ist in der Umgebung nicht eingezeichnet. Es wird schon stimmen, dass "Neu-Estland" ein deutschsprachiges, kein estnischsprachiges Dorf war, und es wird auch Karacaören sein, denn das liegt ganz nahe südwestlich des Stadtzentrums von Kars. Ich vermute, der Name "Neu-Estland" hat sich nicht auf die ethnisch-linguistische/ nationale Herkunft der Siedler bezogen, sondern bezog sich auf die Herkunft aus der historischen Region Estland (Gouvernement Estland, vorher Herzogtum Estland). Vor dem Hintergrund der Angaben des Atlasses und der anderen Angaben haben die Autoren des russischen Artikels den Namen wahrscheinlich falsch gedeutet. Grüße--WajWohu (Diskussion) 23:19, 26. Apr. 2020 (CEST)
Hallo nochmal,
ein Benutzer hat auf seiner Diskussionsseite auf einen Artikel in einer russischsprachigen Zeitung aus Estland hingewiesen, in dem die Dorfbewohner angeben, estnischer Herkunft zu sein. Sie würden oft für Deutsche gehalten werden, hätten es aber manchmal nicht eilig, das aufzuklären, weil Deutsche bekannter sind (sicher etwas untertrieben dargestellt, wenn man die Videos so ansieht ;). Nicht nur der russische WP-Artikel über das Dorf, auch der türkische geben an, dass sie estnischer Herkunft sind und belegt das mit einem Hürriyet-Artikel von 2018, der sie als "Esten" vorstellt (der erste Artikel oben schreibt aber, dass sie zwar lutherische Christen sind, heute aber fast nur Türkisch sprechen). Offenbar hat sich da eine Routine gebildet, den Gästen zu erzählen, was sie hören wollen: estnischen Besuchern (Aarand Roos, Paavo Roos, die Journalisten des Artikels oben) erzählen sie, estnischer Herkunft zu sein, türkischen Besuchern die es hören wollen und deutschen Besuchern (der deutsche Botschafter war dort) erzählen sie eben, deutscher Herkunft zu sein.
Welche der beiden Angaben stimmt, ist eine komplizierte Angelegenheit geworden, weil seriöse Quellen, wie Aarand Roos, Codex Anatolicus, Tsutsievs Atlas der ethno-politischen Geschichte des Kaukasus, Hürriyet u.a. unterschiedliche Versionen übernommen haben. Das lässt sich nur noch mit alten Volkszählungsergebnissen der Gründungszeit des Dorfes klären, welcher Ethnie die Siedler damals zugeordnet wurden. Auf der Seite "etno-kavkas" werden die Ergebnisse von russischen und sowjetischen Volkszählungen wiedergegeben. Hier werden die Ergebnisse für Südwestkaukasien und die Oblast Kars wiedergegeben. In der Volkszählung 1886 wurden in der Oblast Kars, speziell in der engeren Umgebung von Kars, 280 Esten, aber keine Deutschen gezählt. Tut mir Leid um die Mühen des Autors, fürchte aber, hier muss noch ein wenig ergänzt werden. Grüße--WajWohu (Diskussion) 00:31, 1. Mai 2020 (CEST) PS: Vielleicht gehörten die Siedler auch zu der einfachen Bauern aus dem Gouvernement Estland, die Estnisch beherrschten und auch ein bisschen Deutsch, aber den Fragen des "nationalen Bekenntnisses", wie das Ende 19. Jh. hieß, relativ gleichgültig gegenüber standen. Das war gerade in der einfachen Landbevölkerung im 19. Jh. oft so, ist eine Vermutung.--WajWohu (Diskussion) 10:32, 1. Mai 2020 (CEST)
- Mir scheint auch, dass die deutsche Herkunft der Siedler ein Hoax ist. Hier ist ein Artikel von Aarand Roos (auf Finnisch und unten nochmal auf Englisch). Laut Roos sind die Einwohner von Karacaören ethnische Esten, die zum Teil Ehen mit Wolgadeutschen und Russen eingegangen sind. 1969 habe es noch 20 Estnisch-Sprecher gegeben, in den 1970er-Jahren seien die Esten aber bis auf eine Familie als Gastarbeiter nach Deutschland ausgewandert. Ich verstehe leider kein Türkisch. Was genau wird denn in der türkischen Dokumentation über die Herkunft der Siedler gesagt? --Jbuchholz (Diskussion) 11:40, 3. Jun. 2020 (CEST)
- Um es nochmal deutlicher zu sagen: In dieser Form sagt der Artikel (der immerhin zwei Tage auf der Hauptseite stand) bestenfalls die halbe Wahrheit, was ich für höchst problematisch halte. Die Karte, auf die der Artikel verweist, sagt nur aus, dass es südwestlich von Kars eine deutsche Bevölkerungsgruppe gegeben haben soll, aber es ist weder klar, ob sich das überhaupt auf Dorf Karacaören bezieht, noch belegt die Karte, dass es sich (wie der Artikel behauptet) spezifisch um Deutschbalten gehandelt haben soll. Ohnehin ist die Aussagekraft einer solchen Überblickskart (die die gesamte Kaukaususregion abdeckt) über die Verhältnisse in einem einzelnen Dorf (!) deutlich geringer einzuschätzen als die Forschungsergebnisse Roos', der immerhin Feldforschung vor Ort betrieben hat. Im Übrigen ist es auch überhaupt nicht plausibel, dass gerade Deutschbalten aus Estland in den hintersten Winkel des Russischen Reiches ausgewandert sein sollen: In der estnischen Agrargesellschaft waren die Deutschen die landbesitzende Elite, während die landlose Bevölkerung (und gerade die dürfte es zur Auswanderung gedrängt haben) estnischsprachig war. Es auch deutlich eher vorstellbar, dass Esten in Ostanatolien irrtümlich für Deutsche gehalten wurden (und diesen Irrtum womöglich selbst perpetuiert haben) als andersherum. Kurzum, in der Form kann der Artikel nicht stehen bleiben. Hat der Artikelersteller Interesse, sich an der nötigen Überarbeitung zu beteiligen? --Jbuchholz (Diskussion) 15:36, 5. Jun. 2020 (CEST)
- Der Artikelersteller ist eine IP, ob sie nochmal hier vorbeischaut, ggf. wann, ist ungewiss.
- Zweifel und Bedenken ins Blaue hinein, jedenfalls ohne greifbare Gegen-Belege helfen uns erst einmal nicht weiter. Mein Eindruck (als Mitarbeiter in der Rubrik "Schon gewusst?"): Wir haben einen deutschsprachigen Artikel, der - soweit den bei SG? Mitwirkenden eine inhaltliche Prüfung möglich war - mit den anderen Sprachversionen in Einklang steht, wir haben die belegte türkischsprachige Bezeichnung als "Deutsches Dorf", wir haben zwei YouTube-Videos als Quellenangabe. Wir haben den historischen Kontext: Ein aufkommender Nationalismus zum Ende des 19./Beginn des 20. Jahrhunderts auch in den Baltischen Staaten, der das Leben der dortigen Deutsch-Balten nicht einfacher machte, die damalige Russifizierung der Region dort, zwangsweise Umsiedlungen von Personen, auch einzelner Deutsch-Balten (und ihrer Familien), die im zaristischen Russland für kriminell oder nicht-konformistisch gehalten wurden etc., deutsch-estnische Mischehen, bei denen die Akzeptanz auf der einen wie anderen Seite zunehmend geringer wurde, gescheiterte Existenzen in wirtschaftlich schweren Zeiten auf der Suche nach einem Neuanfang … Ein Ansiedeln im armenischen Raum, der damals seinseits einem starken Wandel unterlag, ist da durchaus plausibel.
- Wir haben ferner die belegte Angabe, dass - nachdem die Region türkisch geworden war - einzelne im Dorf Deutsch sprachen (nicht das deutlich unterscheidbare Estnisch oder Russisch); woher soll das kommen, wenn nicht über die Vorfahren und deren Tradition? Wir haben die Übersiedlung vieler aus dem Ort in die Bundesrepublik als Gastarbeiter der ersten Generation. Für jemandem mit rein estnischem ethnischen Hintergrund erscheint das weniger erstrebenswert als für jemanden mit deutsch-baltischem Bezug.
- Lange Rede: Einen Grund, den Artikel als Hoax abzutun, sehe ich bei dieser Beleglage und mit Blick auf die anderen Sprachversionen nicht. Richtig ist aber sicher, dass dieses Thema tiefer aufbereitet werden könnte. Das ist m. E. zunächst aber einmal eine Aufgabe für Wissenschaftler, was dann hier weiter/ergänzend abgebildet werden könnte. --Roland Rattfink (Diskussion) 17:47, 5. Jun. 2020 (CEST)
- Ich habe auch noch mal gesucht und einen "Сборник материалов для описания местностей и племен Кавказа", Ausgabe 34 von 1904 gefunden ("Materialsammlung zur Beschreibung der Örtlichkeiten und Stämme des Kaukasus", erschien von 1881 bis 1915 in Tiflis); Google Books hat das in Auszügen, aber hier gibt es das ganze Werk als PDF. Darin ein Artikel "Очерки Карсской области" (etwa "Aufsatz über das Gebiet Kars") eines gewissen F. S. Janowitsch (Ф. С. Янович) mit eigener Seitennumerierung. Auf S. 2-5 (im PDF S. 216-219) geht es da um das Dorf Nowo-Estonka "7 Werst südlich von Kars", also definitiv unseren Ort hier, denn der Autor wanderte weiter in das im nächsten Abschnitt beschriebene (damals griechische Dorf) Azat, das auch heute noch so heißt. Dort steht, die Einwohner seien Esten, die ihre Heimat wegen Ackerlandmangel 1886 verlassen hätten, teils Orthodoxe, teils Lutheraner (kann das darauf hindeuten, dass es Esten UND Deutsche waren?). Russisch sprächen sie schlecht, würden aber gerne mal Zeitungen lesen, die sie gemeinschaftlich abonniert hätten, und zwar u.a. Valgus (estnischsprachig!). Überhaupt würden "diese Esten einen angenehmen Eindruck machen, wenn sie nüchtern sind" ;-) Das ist jedenfalls eine Quelle, die VIEL zeitnaher zur Dorfgründung ist, als die Untersuchungen in den 1960ern. Wäre ja auch möglich, dass NACH 1904 noch (Russland-)Deutsche hingezogen sind, aber das ist Spekulation.
- "Blick auf die anderen Sprachversionen", naja. In der russischen und estnischen steht nichts von Deutschen. --AMGA (d) 17:55, 5. Jun. 2020 (CEST)
- PS Eigentlich steht nur in der türkischen Version etwas über Deutsche, und auch da etwas aus dem Zusammenhang gerissen und fragwürdig belegt. Noch eine Spekulation: die sind erst "deutsch" geworden, als das in den 1960ern die Chancen verbesserte, in die Bundesrepublik zu übersiedeln?! (Ganz wertfrei. Warum auch nicht.) --AMGA (d) 18:08, 5. Jun. 2020 (CEST)
- Ich denke wir können folgendes festhalten: Einerseits gibt es glaubhafte Hinweise darauf, dass das Dorf von Esten besiedelt wurde, und dass dort bis in die 1960er-Jahre Estnisch gesprochen wurde. Andererseits wird Karacaören in der türkischen Öffentlichkeit als „deutsches Dorf“ wahrgenommen, was offenbar auch von den Dorfbewohnern selbst affirmiert wird. Genau so sollte das auch der Artikel darstellen – tut er aber nicht, sondern bastelt daraus die (soweit ich das sehen kann) völlig unbelegte These, dass die Siedler Deutschbalten gewesen seien. Das Problem ist also nicht, dass ich „ins Blaue hinein“ Zweifel auf der Diskussionsseite äußere, sondern dass der Artikel ebenso ins Blaue hinein Dinge behauptet, die mindestens zweifelhaft sind. Diese Zweifel wurden auf der Diskussionsseite übrigens auch schon geäußert, bevor der Artikel auf die Hauptseite kam.
- Nach wie vor würde mich allerdings interessieren, was in den türkischen Dokus gesagt wird. Dort kommen ja auch die Dorfbewohner selbst zu Wort, aber mangels Türkischkenntnissen kann ich das nicht nachvollziehen. Könnte das jemand, der Türkisch versteht, aufklären?
- @Amga:: Vielen Dank für die Recherche! Orthodoxer Glaube würde eher für ethnische Russen sprechen, die Esten waren ebenso wie die Deutschbalten ganz überwiegend lutherisch. Allerdings spricht Roos' Artikel davon, dass die Esten Ehen mit Wolgadeutschen und Russen eingegangen seien, was auch ein Grund dafür sein könnte, dass sich eine eher flexible Identität ausgebildet hat. Das sind aber alles Dinge, die nach der Auswanderung stattgefunden haben. Dass die estnischen Auswanderer ursprünglich deutschsprachig gewesen seien, ist nach wie vor unbelegt. --Jbuchholz (Diskussion) 19:43, 5. Jun. 2020 (CEST)
- (BK)Bis vorgestern stand auch in der türkischen Version ausschließlich, dass es Esten sind, gestern erst hat der Benutzer:Sabri76 das erst auf die aktuelle Aussage geändert und u.a. die russischsprachige Tsutsiev-Karte, die oben verlinkt ist, als Beleg eingebaut, was mir mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zeigt, dass er die Diskussion hier verfolgt hat oder sogar mit einer IP identisch ist, denn nicht übersetzte russische Karten verwenden sicher die wenigsten in der Türkei einfach so ;-). Wie oben schon geschrieben halte ich die deutschbaltische Herkunft bei den alten Volkszählungsangaben und Berichten auch für ausgeschlossen (ob einzelne dabei waren, oder alle ein wenig Deutsch beherrschten, könnte sein, wer weiß das schon...). Aber um die Frage von JBuchholz zu beantworten: in den türkischsprachigen Reportagen behaupten und erklären die interviewten Dorfbewohner ganz offensiv, dass sie Deutsche wären, die erst nach Russland und von dort ins Dorf gezogen sind. Oft dieselben Personen, die in anderen Artikel behaupten, dass sie Esten sind ;-) Das ist auch die Ursache, warum auch seriöse Quellen verschiedene Angaben übernommen haben. Warum sie das tun, deuten die Dorfbewohner in dem russischsprachigen Artikel in der estnischen Zeitung oben an: 1. sei die Minderheitenförderung in der Türkei kaum vorhanden, eher gleichgültig, als Deutsche würden sie mehr beachtet. (Z.B. hat einer der Bewohner dem besuchenden deutschen Botschafter mitgeteilt, sein Dach könnte mal eine Reparatur vertragen, zu seiner Enttäuschung veranlasste der Botschafter nichts in dieser Hinsicht :D) 2. wüssten die meisten Nachbarn nicht, was Esten sind, Deutsche sind allgemein bekannt. Ich vermute (wohlgemerkt: Vermutung), das hatte schon mit der Zugehörigkeit des Dorfes zur Türkei in den 20er Jahren so einen Selbstlauf genommen: Weil es nervig wurde, jedem Vorbeireisenden zu erklären, woher sie kommen, was Esten eigentlich sind und wo Estland eigentlich liegt, haben sie Lebenszeit gespart, zu sagen, sie wären Deutsche, Deutschland kannte nach dem gemeinsamen 1. Weltkrieg jeder. Wahrscheinlich war das schon Gewohnheit, bevor Ende der 60er Jahre die ersten ausländischen Besucher und Kameras kamen. Außerdem sagt der Artikel, dass sie für jede lutherische Taufe, Hochzeit usw. über Generationen in die Kirchen in Ankara oder Istanbul reisen mussten. Das sind deutschsprachige Gemeinden, ein bisschen Deutsch werden sie über Generationen verstanden oder beherrscht haben... Nur so eine Vermutung, wie das entstanden sein könnte. Grüße--WajWohu (Diskussion) 20:09, 5. Jun. 2020 (CEST)
- @WajWohu Du hast weitgehend recht. Die Ortschaft ist unter dem Namen Nowo-Estonka in einer Ausgabe der kaukasischen Post, einer in Tiflis erschienenen deutsch-sprachigen Wochenzeitung im Jahr 1908 als estnische Siedlung bezeichnet, neben einer ebenfalls genannten deutschen Siedlung Petrowka, ebenfalls bei Kars gelegen. (Aziz Can Güç und Max Florian Hertsch: Kars und Petrowka - Abhandlung der Kaukasischen Post über die heutigen Provinzen der Osttürkei. In: Max Florian Hertsch und Mutlu Er (Hrsg.). Deutsche im Kaukasus. Mit einem Addendum zu den Deutschen in Kars. Herausgegeben von M. Florian Hertsch und Mutlu Er. Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2017, ISBN 978-3-8300-9185-1 (Schriftenreihe Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit. Band 94), S. 183–201, 185). Allerdings kam es zur Vermischung der beiden Ethnien durch Heirat (Es gibt auch deutsche Namen auf dem Friedhof), weil sie wegen ihrer geringen Zahl nicht untereinander getrennt bleiben konnten, beide evangelisch-lutherisch waren und von der Außenwelt einheitlich als Deutsche (Nemis) gesehen wurden. Dazu kam, dass bis zu den 1970er Jahren so gut wie alle Esten und Deutschen aus Kars als Gastarbeiter nach Deutschland auswanderten, die damalige Sowjetunion, zu der Estland gehörte, war da nicht so attraktiv. Um es kurz zu machen, ob estnisch oder deutsch spielte eh keine Rolle, die lutherische Konfession, die sie zuletzt als einziges Merkmal noch von der Umgebung unterschied, war beiden gemeinsam. --Hajo-Muc (Diskussion) 16:13, 21. Dez. 2023 (CET)
- @Jbuchholzs. meine Antwort an Wajwohu. In dem Beitrag auf youtube kommt ein Bewohner zu Wort, der ein nach dem Beitrag von Hertsch und Er ein Este ist. Seine Familie war aber mit Deutschen aus der Umgebung verschwägert, also nicht Deutschbalten sondern Esten und möglicherweise Deutsche. --Hajo-Muc (Diskussion) 17:09, 21. Dez. 2023 (CET)
- Ach so, es gab in der näheren Umgebung tatsächlich deutschsprachig-evangelische Siedler... So erklärt sich das wesentlich ungezwungener und problemfreier, warum sie sich als beides einordnen, als wenn man nur das Dorf selbst betrachtet. Da ist es auch sehr naheliegend, dass sie noch über Jahrzehnte untereinander heirateten. Eheschließungen nur in der eigenen Religionsgemeinschaft sind bekanntliche v.a. in ländlichen Gebieten noch lange üblich und wenn es nur so wenige, isoliert von der Außenwelt sind, ist das logisch. So erklärt sich auch viel besser, warum sie sich mal als Esten, mal als Deutsche bezeichnen. Sie sind nach ihrer Herkunft tatsächlich beides ein bisschen und bei der Entfernung spielen die Abgrenzungen auch keine soziale Rolle mehr. Danke, da klärt der Beitrag von Er und Hertsch doch einiges überzeugend auf. Gruß--WajWohu (Diskussion) 19:02, 21. Dez. 2023 (CET) Der vorgeblich letzt, August Albuk, wird aber auch ständig besucht, man kann ihn in nahezu jeder Alterstufe auf Fotos, in Artikeln und Filmbeiträgen beobachten, hier der "Weltspiegel" 2021. Nach Gefühl bekommt man den Eindruck, mindestens alle zwei Jahre kommt irgendjemandem aus der Türkei, aus Deutschland, Estland oder Schweden, um zu berichten und zu dokumentieren....--WajWohu (Diskussion) 19:41, 21. Dez. 2023 (CET)
- Tja, es scheint noch unklarer zu sein. Es gab anscheinend Deutsche in der Region und das deutsche Dorf Petrowka und das estnische Dorf Nowoestonskoje. Das deutsche Dorf wurde 1914 bei Kriegsausbruch abgesiedelt und nicht von den Bewohnern wieder besiedelt, doch findet man auch noch nach dem Krieg Deutsche (auch ehemalige Dorfbewohner) in der Region. Die estnische Siedlung blieb aber, auch mit starkem Bevölkerungsverlust erhalten. Der genannte August Albuk, nach seinen Personalpapieren Avgüst Albuk, ist die Auskunftsperson für alle, die nach Deutschen in der Region fragen (vermutlich auch für alle, die nach Esten fragen). Seine Angaben über die Verwandtschaftsverhältnisse sollen nicht überprüfbar sein, weil die Personenstandsaufzeichnungen für Karacaören nur bis in die 1960er Jahre zurückreichen sollen. Die Register werden seit einiger Zeit in Ankara zentral geführt, zuvor waren sie (die hauptsächlichste) Aufgabe der Muhtare, die den Dörfern und in den Städten den Mahalle vorstanden. Seine Tante, die als Estin bezeichnet wird, soll einen Deutschen aus einer Familie Kaiser geheiratet haben, die nach der Einführung der Familiennamen in der Türkei Güller hieß. Über ihn heißt es bei Er und Hertsch, dass er abgesehen von seiner deutsch-estnischen Herkunft und dem physischen Aussehen, sich nicht von der türkisch-islamischen Umgebung unterschieden habe. Die ganze Familie spreche ausschließlich Türkisch, zwar werde die Bibel (in türkischer Sprache) gelesen, die Kinder habe er selbst getauft, doch über die türkische Sprache erscheine auch die Gedankenwelt dem Islam angenähert. Gottesdienste würden im Familienkreis abgehalten. Mit ihm und seinem Bruder würde die Geschichte der Christen in Karacaören enden. --Hajo-Muc (Diskussion) 13:28, 22. Dez. 2023 (CET)
- @Hajo-Muc: Vielen Dank für die Klärung, das klingt sehr einleuchtend! Dass die Einwohner von Karacaören Deutsch-Balten (also aus Estland stammende Deutsche) seien, wie bis vor ein paar Tagen noch im Artikel stand, ist nach wie vor nicht erwiesen. Der Weltspiegel-Beitrag von 2021 ist kein Indiz, da er jünger ist als dieser Artikel. Sehr wahrscheinlich stammt die Information im Weltspiegel aus der Wikipedia. Es scheint also, dass die angebliche deutschbaltische Herkunft der Siedler eine Falschinformation war, die durch diesen Artikel in andere Medien eingang gefunden hat - das ist eigentlich ziemlich erschreckend und sollte eine Lektion für alle Wikipedia-Autor:innen sein, besser mit ihrer Verantwortung umzugehen. --Jbuchholz (Diskussion) 14:57, 22. Dez. 2023 (CET)
- Ach so, es gab in der näheren Umgebung tatsächlich deutschsprachig-evangelische Siedler... So erklärt sich das wesentlich ungezwungener und problemfreier, warum sie sich als beides einordnen, als wenn man nur das Dorf selbst betrachtet. Da ist es auch sehr naheliegend, dass sie noch über Jahrzehnte untereinander heirateten. Eheschließungen nur in der eigenen Religionsgemeinschaft sind bekanntliche v.a. in ländlichen Gebieten noch lange üblich und wenn es nur so wenige, isoliert von der Außenwelt sind, ist das logisch. So erklärt sich auch viel besser, warum sie sich mal als Esten, mal als Deutsche bezeichnen. Sie sind nach ihrer Herkunft tatsächlich beides ein bisschen und bei der Entfernung spielen die Abgrenzungen auch keine soziale Rolle mehr. Danke, da klärt der Beitrag von Er und Hertsch doch einiges überzeugend auf. Gruß--WajWohu (Diskussion) 19:02, 21. Dez. 2023 (CET) Der vorgeblich letzt, August Albuk, wird aber auch ständig besucht, man kann ihn in nahezu jeder Alterstufe auf Fotos, in Artikeln und Filmbeiträgen beobachten, hier der "Weltspiegel" 2021. Nach Gefühl bekommt man den Eindruck, mindestens alle zwei Jahre kommt irgendjemandem aus der Türkei, aus Deutschland, Estland oder Schweden, um zu berichten und zu dokumentieren....--WajWohu (Diskussion) 19:41, 21. Dez. 2023 (CET)
- (BK)Bis vorgestern stand auch in der türkischen Version ausschließlich, dass es Esten sind, gestern erst hat der Benutzer:Sabri76 das erst auf die aktuelle Aussage geändert und u.a. die russischsprachige Tsutsiev-Karte, die oben verlinkt ist, als Beleg eingebaut, was mir mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zeigt, dass er die Diskussion hier verfolgt hat oder sogar mit einer IP identisch ist, denn nicht übersetzte russische Karten verwenden sicher die wenigsten in der Türkei einfach so ;-). Wie oben schon geschrieben halte ich die deutschbaltische Herkunft bei den alten Volkszählungsangaben und Berichten auch für ausgeschlossen (ob einzelne dabei waren, oder alle ein wenig Deutsch beherrschten, könnte sein, wer weiß das schon...). Aber um die Frage von JBuchholz zu beantworten: in den türkischsprachigen Reportagen behaupten und erklären die interviewten Dorfbewohner ganz offensiv, dass sie Deutsche wären, die erst nach Russland und von dort ins Dorf gezogen sind. Oft dieselben Personen, die in anderen Artikel behaupten, dass sie Esten sind ;-) Das ist auch die Ursache, warum auch seriöse Quellen verschiedene Angaben übernommen haben. Warum sie das tun, deuten die Dorfbewohner in dem russischsprachigen Artikel in der estnischen Zeitung oben an: 1. sei die Minderheitenförderung in der Türkei kaum vorhanden, eher gleichgültig, als Deutsche würden sie mehr beachtet. (Z.B. hat einer der Bewohner dem besuchenden deutschen Botschafter mitgeteilt, sein Dach könnte mal eine Reparatur vertragen, zu seiner Enttäuschung veranlasste der Botschafter nichts in dieser Hinsicht :D) 2. wüssten die meisten Nachbarn nicht, was Esten sind, Deutsche sind allgemein bekannt. Ich vermute (wohlgemerkt: Vermutung), das hatte schon mit der Zugehörigkeit des Dorfes zur Türkei in den 20er Jahren so einen Selbstlauf genommen: Weil es nervig wurde, jedem Vorbeireisenden zu erklären, woher sie kommen, was Esten eigentlich sind und wo Estland eigentlich liegt, haben sie Lebenszeit gespart, zu sagen, sie wären Deutsche, Deutschland kannte nach dem gemeinsamen 1. Weltkrieg jeder. Wahrscheinlich war das schon Gewohnheit, bevor Ende der 60er Jahre die ersten ausländischen Besucher und Kameras kamen. Außerdem sagt der Artikel, dass sie für jede lutherische Taufe, Hochzeit usw. über Generationen in die Kirchen in Ankara oder Istanbul reisen mussten. Das sind deutschsprachige Gemeinden, ein bisschen Deutsch werden sie über Generationen verstanden oder beherrscht haben... Nur so eine Vermutung, wie das entstanden sein könnte. Grüße--WajWohu (Diskussion) 20:09, 5. Jun. 2020 (CEST)
Petrowka: lt. Lexikon Die Deutschen Russlands. Siedlungen und Siedlungsgebiete (S. 398) lag dieses "wirklich deutsche" Dorf ca. 4 Werst/km südwestlich von Kars (wenn es davon noch etwas gibt, wohl mit der Stadt zusammengewachsen), d.h. dann also ca. 3 km vom heutigen Karacaören entfernt. Gegründet von Umsiedlern aus Alexandershilf (= Alexandrowo = Rosenberg, heute Trialeti bei Zalka in Georgien) 1891 - das erklärt auch, warum es bei der weiter oben genannten Zählung 1886 noch keine Deutschen in der Oblast Kars gab. (Alexandershilf war nun wieder 1860 als Ausgründung von Elisabethtal, heute Assureti, entstanden, das selber 1818 von Umsiedlern aus Württemberg gegründet worden war. Diese Deutschen haben also ursprünglich nichts mit Balten/Baltikum/Dutschbalten zu tun.) --AMGA 🇺🇦 (d) 15:28, 22. Dez. 2023 (CET)
- Richtig, Petrowka ist das heutige Paşaçayırı, ein dörflicher Stadtteil von Kars, wo es zwar ein von Er und Hersch noch festgestelltes „deutsches Haus“ (= Haus mit „deutschen“ Stilementen, etwa der bildlichen Darstellung einer Schwarzwaldszenerie) gab, aber nach dem Ersten Weltkrieg keine deutschen Bewohner mehr. Deren Spuren lassen sich anderswo erkennen, u. a. auch eben in den Erzählungen des August Albuk in Karacaören. --Hajo-Muc (Diskussion) 16:44, 22. Dez. 2023 (CET)
"Entdeckung"
BearbeitenIn dem Artikel heißt es, dass "das Dorf [...] 1966 vom schwedisch-estnischen Forscher Paavo Roos entdeckt und wissenschaftlich beschrieben" wurde. Dazu eine kurze Anmerkung: Da die Einwohner ja schon anwesend waren (das Dorf also schon lange vor Roos "entdeckt" hatten) und ich davon ausgehe, dass das Dorf (ebenso wie die Zusammensetzung seiner Population) auch vor der "Entdeckung" durch Roos zumindest in der näheren Umgebung bekannt und vermutlich auch auf den amtlichen Karten der Türkei verzeichnet war, sehe ich den Ausdruck "Entdeckung" kritisch. Vor diesem Hintergrund von "Entdeckung" zu reden, halte ich eher für einen kolonialistischen oder kulturimperialitischen Begriff (i.S.v.: "Solange wir (was auch immer die Definition von "wir" ist) etwas nicht kennen, ist es unbekannt - auch wenn andere es schon lange kennen"), den man durch die etwas objektivere Aussage "Roos hat das Dorf und/oder seine Besonderheit außerhalb der Türkei bekannt gemacht" ersetzen sollte. (nicht signierter Beitrag von Fronobulax (Diskussion | Beiträge) 14:40, 3. Jun. 2020 (CEST))
- +1. --AMGA (d) 14:44, 3. Jun. 2020 (CEST)
- Nicht das Dorf wurde entdeckt, sondern die estnische Minderheit, inzw. berichtigt --Hajo-Muc (Diskussion) 17:02, 21. Dez. 2023 (CET)
Koordinate
Bearbeiten...ist, glaube ich, falsch. Die im verknüpften Artikel tr:Karacaören, Kars dürfte stimmen, unsere hier zeigt auf tr:Karacaören, Kağızman - auch in der Provinz Kars, aber anderer Landkreis. Oder? (Außerdem s.o. "7 Werst südlich von Kars", und nicht wie jetzt positioniert über 60.) --AMGA 🇺🇦 (d) 15:10, 22. Dez. 2023 (CET)
- +1 --Hajo-Muc (Diskussion) 16:46, 22. Dez. 2023 (CET)
- OK, habe es repariert. --AMGA 🇺🇦 (d) 21:52, 22. Dez. 2023 (CET)