Fahreignung von Senioren

Entwicklung und Überprüfung der Fahreignung älterer Menschen

In Deutschland haben etwa 10 Millionen Menschen im Alter von über 65 Jahren einen Führerschein. Die Anzahl der Senioren mit Führerschein wird aufgrund der demographischen Entwicklung zukünftig noch steigen.[1] Nach spektakulären Unfällen, die von Senioren verursacht wurden, wird immer wieder eine verpflichtende Prüfung der Fahreignung von Senioren gefordert.[2][3][4][5] Stand 2009 sind in den europäischen Ländern Belgien, Deutschland, Frankreich, Österreich und Polen weder eine Fahreignungsprüfung noch ein Sehtest für ältere Pkw-Fahrer vorgeschrieben.[6]

Senior am Steuer

Leistungsfähigkeit und Einschätzung

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„Die Fahreignung älterer Pkw-Fahrer lässt sich weder über das Lebensalter noch über die individuelle Leistungsfähigkeit hinreichend gut erklären“.[7] Die Fähigkeit des Sehens und Wahrnehmens nimmt mit zunehmendem Alter in etwa linear ab; bei der geistigen Funktion wird eine „stufenweise Abnahme“ beobachtet. Dabei wurde festgestellt, dass ältere Pkw-Fahrer ihre nachlassende Leistungsfähigkeit durch die Anpassung der Fahrweise kompensieren. „Bedeutsame Unterschiede [zu anderen Altersgruppen] treten erst ab 75 Jahren auf.“[8] In Ländern, in denen von älteren Führerscheininhabern eine medizinische Selbstauskunft oder Untersuchung verlangt wird, geben viele Senioren, wenn sie schwerwiegende gesundheitlicher Einschränkungen haben, ihre Fahrerlaubnis freiwillig zurück, und die danach verbleibenden Krankheiten, die bei Senioren oft auftreten, sind nicht oder nur mit geringfügig erhöhtem Unfallrisiko verbunden.[9]

Den über 75-Jährigen wurde, bei Unfallbeteiligung als Fahrer eines Pkw, die Hauptschuld an drei von vier Unfällen zugewiesen; damit höher als die Risikogruppe der Fahranfänger (18 bis 24-Jährige).[10][11][8] Nach einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen mit Teilnehmern über 65 Jahren hoffen Senioren „so lange fahren zu können, wie es die Gesundheit zulässt.“ Drei von vier Studienteilnehmern hatten dabei eine Erkrankung, die eine medikamentöse Behandlung rechtfertigte; nicht-schwerwiegende Krankheiten, die bei Senioren oft auftreten, sind jedoch nicht oder nur mit geringfügig erhöhtem Unfallrisiko verbunden.[9] Bei einer Studie im Realverkehr wurde in der Altersgruppe über 75 Jahren insbesondere der fehlende Schulterblick („je älter, umso seltener“) festgestellt, insbesondere beim Rechtsabbiegen innerorts an Kreuzungen mit Radweg und beim Fahrstreifenwechsel auf der Autobahn.[12]

Positionen in Deutschland

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Verpflichtende Gesundheitschecks für ältere Autofahrer sind in Deutschland ein Tabu. Nahezu alle Experten setzen auf freiwillige Fahrtrainings und Vernunft.[13][14]

  • Die Deutsche Verkehrswacht hat sich „gegen altersdiskriminierende medizinische und psychische Tests ausgesprochen“.[15]
  • Der ADAC wendet sich „ausdrücklich gegen regelmäßige verpflichtende Fahrtauglichkeitsuntersuchungen für Führerscheininhaber“.[16]
  • Der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt: „Ich sage ganz klar: Pflicht-Tests für Senioren am Steuer wird es nicht geben.“[17]
  • Der Deutsche Verkehrsgerichtstag sah schon in seiner 40. Sitzung (2002) für regelmäßige Sehtests keinen Handlungsbedarf für den Gesetzgeber.[18] In seiner 55. Sitzung (2017) sieht er für „die Einführung genereller, obligatorischer und periodischer Fahreignungsüberprüfungen […] derzeit keine Grundlage“.[19]
  • Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat hält eine Pflichtuntersuchung für ältere Pkw-Fahrer „nicht [für] sinnvoll“, da ältere Fahrer ihre nachlassende Leistungsfähigkeit durch ihre Fahrweise kompensieren.[20]
  • Die Bundesanstalt für Straßenwesen empfiehlt präventive Maßnahmen unter anderem durch Hausärzte, „die ihre Patienten frühzeitig über mögliche krankheitsbedingte Leistungsbeeinträchtigungen informieren sollen“.[21] Freiwillige Gesundheitschecks sollten jedoch regelmäßig durchgeführt werden; mehr als die Hälfte der Senioren gäben ihren Führerschein freiwillig ab, wenn ein Fachmann sie nach einer Testfahrt für fahruntüchtig hielte.[22]
  • Der TÜV Süd empfiehlt eine Fahrprobe mit der Rückmeldung von Angehörigen oder einer Fahrschule.[23]

(Stand: 2016)

Fahrtauglichkeitsuntersuchungen in Europa

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Adolf Brudes im Alter von 77 Jahren auf dem Nürburgring

Europäische und andere Länder haben bereits Regelungen zur ärztlichen Untersuchung für Pkw-Fahrer wie folgt getroffen:

50 Jahre Portugal
55 Jahre Litauen
60 Jahre Lettland, Luxemburg, Tschechien, Ungarn
65 Jahre Estland, Griechenland, Kroatien, Portugal, Slowakei, Spanien
70 Jahre Dänemark, Finnland, Vereinigtes Königreich, Irland, Italien[24], Malta, Slowenien, Zypern
75 Jahre Niederlande, Schweiz
80 Jahre Norwegen[25]

Die Untersuchungen können aus einem Sehtest, einem medizinischen Check, einem Fahrtest oder einem Demenzcheck (ab 70 Jahre in Japan) bestehen.[26]

Eine Fahrtauglichkeitsuntersuchung besteht in Deutschland seit 1999 für die Fahrerlaubnisklassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1, D1E ab dem 50. Lebensjahr und danach alle 5 Jahre.[27] Darüber hinaus werden besondere Anforderungen für die Klassen D, DE, D1, D1E ab dem 50. Lebensjahr und bei der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung ab dem 60. Lebensjahr durch einen psychologischen Belastungstest verlangt.[28]

Warnsignale für Angehörige

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Die Deutsche Seniorenliga hat für Angehörige von älteren Autofahrern eine Liste von Warnsignalen erarbeitet, die auf eine mögliche Verschlechterung der Fahreignung hinweisen kann:[29]

  • Unsicherheit selbst in vertrauter Umgebung,
  • kein Anpassen an den Verkehrsfluss, auffallend langsames Fahren, unsicher, zu schnell oder zu dicht auffahrend,
  • kein vorausschauendes Fahren, scheinbar kein Wahrnehmen anderer Verkehrsteilnehmer und des Gegenverkehrs,
  • langsames Erfassen von Schildern, Ampeln und der allgemeinen Vorfahrtsregel-Situation,
  • koordinative und motorische Probleme beim Abbiegen, Wenden und Parken,
  • kein zuverlässiges Halten der Spur, Ignorieren/Nicht-Kontrollieren des toten Winkels beim Abbiegen oder Überholen, Schwierigkeiten mit dem Schulterblick,
  • (zu) spätes Bemerken kritischer Situationen, bisweilen Überforderung in komplexen Situationen,
  • häufiges „auf-der-Bremse-Stehen“,
  • Auto und Garage haben vermehrt Kratzer und Schrammen.

Indirekte Auswirkungen des Prüfens

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Der Entzug der Fahrerlaubnis oder ein frühzeitiges freiwilliges Zurückgeben, z. B. aufgrund von Prüfungs-Versagensängsten, kann sich negativ auf die Verkehrssicherheit insgesamt auswirken und zu mehr Verkehrsopfern und mehr schweren Verletzungen führen. Die älteren Personen, die zuvor gut geschützt im Pkw unterwegs waren, sind dann verstärkt als Fahrradfahrer, Fußgänger oder anderweitig „schlecht geschützt“ unterwegs. Zudem ist die Verletzlichkeit im Alter höher und Unfallfolgen daher oft schwerer. Sobald fahruntüchtige Menschen am Autofahren gehindert werden, gibt es somit mehr potentielle Opfer, die von den verbliebenen Autofahrern erfasst werden können. Diese können zudem erwiesenermaßen die Verkehrslage schlechter einschätzen. Daher führt eine regelmäßige Fahrtauglichkeitsprüfung statistisch zu einer Steigerung der Unfallzahlen (sog. „Wissing-Paradox“).[8][30]

Maximalmietalter

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Verschiedene Reiseveranstalter und deren Autovermietungen haben in ihren AGB ein Maximalmietalter für den Mietwagen vorgesehen, so beispielsweise FTI (70 Jahre), Rent a Car (74 Jahre) oder Hertz (75 Jahre).[31]

Siehe auch

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Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. Forschungsbericht Nr. 25 (Memento vom 27. Mai 2016 im Internet Archive), S. 53.
  2. udv.de (Memento vom 26. Mai 2016 im Internet Archive) Fahreignung von Senioren (abgerufen am 26. Mai 2016)
  3. spiegel.de Kontrolliert die Rentner! (abgerufen am 26. Mai 2016)
  4. sueddeutsche.de Grüne wollen Tests für Senioren am Steuer. (abgerufen am 7. September 2020)
  5. gruene-bundestag.de (Memento vom 24. November 2010 im Internet Archive) Vision Zero, Fraktionsbeschluss vom 27. Februar 2007, S. 41. Abgerufen am 3. April 2024.
  6. Vor dem 19. Januar 2013 ausgestellte Führerscheine behalten bis einschließlich 18. Januar 2033 ihre Gültigkeit.
  7. udv.de: Fahreignung von Senioren (Memento vom 26. August 2016 im Internet Archive), S. 14, pdf: "Die Fahreignung älterer Pkw-Fahrer lässt sich weder über das Lebensalter noch über die individuelle Leistungsfähigkeit hinreichend gut erklären."
  8. a b c udv.de: Fahreignung von Senioren (Memento vom 22. Dezember 2016 im Internet Archive), Zusammenfassung
  9. a b udv.de: Fahreignung von Senioren (Memento vom 26. August 2016 im Internet Archive), S. 7, pdf
  10. udv.de (Memento vom 26. Mai 2016 im Internet Archive) Fahreignung von Senioren (abgerufen am 26. Mai 2016)
  11. destatis.de Unfälle von Senioren im Straßenverkehr., 2014, S. 10.
  12. Forschungsbericht Nr. 22 (Memento vom 27. Mai 2016 im Internet Archive), S. 5, 78. Abgerufen am 3. April 2024.
  13. zeit.de Unterwegs am Steuer, bis ins hohe Alter. (abgerufen am 27. Mai 2016)
  14. Nur der Leiter der Unfallforschung der Versicherer, Siegfried Brockmann, fordert in seinem Blog „obligatorische Sehtests (für alle Altersgruppen) und obligatorische Gesundheitschecks […] für alle Senioren ab 75 Jahre“.
  15. deutsche-verkehrswacht.de Senioren am Steuer – geht’s noch!? (abgerufen am 26. Mai 2016)
  16. Senioren im Straßenverkehr (abgerufen am 27. Mai 2016)
  17. bmvi.de (Memento vom 27. Mai 2016 im Internet Archive) Keine Pflicht-Tests für Senioren. (abgerufen am 27. Mai 2016)
  18. deutscher-verkehrsgerichtstag.de (Memento vom 15. November 2021 im Internet Archive) 40. Deutscher Verkehrsgerichtstag (abgerufen am 26. Mai 2016)
  19. deutscher-verkehrsgerichtstag.de (Memento vom 8. Juli 2017 im Internet Archive) (abgerufen am 28. Januar 2017)
  20. DVR-report 1/2016, S. 6.
  21. bast.de (Memento vom 26. Mai 2016 im Internet Archive) Senioren im Straßenverkehr: individuelle Unterstützung statt verpflichtender Gesundheitschecks. (abgerufen am 26. Mai 2016)
  22. wdr.de Senioren am Steuer (abgerufen am 26. Mai 2016)
  23. tuev-sued.de Senioren am Steuer – Eigenverantwortung ist gefragt. (abgerufen am 26. Mai 2016)
  24. In Italien gab es 1974 Jahren ein Gesetz, nachdem über 65-Jährige kein Auto mit einem Leistungsgewicht von weniger als 9,2 Kilogramm pro PS fahren durften. Vgl. Der Spiegel, 22/1974
  25. Wurde 2019 von 75 auf 80 Jahre angehoben. Vgl. @1@2Vorlage:Toter Link/www.vegvesen.noVegvesen 19.06.2019 (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Oktober 2022. Suche in Webarchiven)
  26. Vgl. Forschungsbericht Nr. 25 (Memento vom 27. Mai 2016 im Internet Archive), S. 10–17.
  27. Fahrerlaubnis-Verordnung: § 11 (9)
  28. Anlage 5 zur § 11 FeV
  29. Deutsche Seniorenliga: Offen gesagt. 12/2016, S. 6,7.
  30. deutsche-verkehrswacht.de, Unfälle von Senioren, Tabelle „Bei Straßenverkehrsunfällen Verunglückte ab 65 Jahre - Unfallzahlen 2016
    Ein Vergleich der Werte "Faktor Tote bei jew. 'Verkehrsart'" ergibt, dass Pkw-Unfälle für Senioren am seltensten zu schweren Verletzungen oder zum Tod führen als die anderen 'Verkehrsarten'.
  31. FTI Katalog Griechenland Zypern, Sommer 2016, S. 317.