Jigdal
Jigdal (hebräisch יִגְדַּל אֱלֹהִים חַי ‚Groß ist (der lebendige Gott)‘) ist ein jüdischer Hymnus, in dem die dreizehn Glaubensgrundsätze des Judentums zu finden sind.
Entstehung
BearbeitenIm mittelalterlichen Orient kam es zu missionarischen Angriffen muslimischer Gelehrter auf das Judentum. Um sich damit auseinanderzusetzen, formulierte Moses ben Maimon dreizehn Glaubensartikel, in denen er Kernaussaugen des Judentums zusammenfasste. Er veröffentlichte sie in seinem Mischnakommentar zum Traktat Sanhedrin. In einer lyrischen Version gingen diese dreizehn Glaubensartikel als „Jigdal“ in den jüdischen Gottesdienst ein. Die Benennung erfolgte nach dem ersten Wort.[1]
Das Jigdal fand in die sephardischen und z. T. auch aschkenasischen Gebetbücher Eingang und wird in den jeweiligen rituellen Traditionen zu verschiedenen Anlässen rezitiert, u. a. zusammen mit Adon Olam bei der Eröffnung zu den Gottesdiensten zum Morgengebet (Schacharit) und Abendgebet (Maariw). Ein früher Beleg der Rezeption ist ein Siddur aus Krakau von 1578.[2]
Inhalt
BearbeitenAn den Beginn setzte Moses ben Maimon „die Existenz Gottes, seine Einheit, Unkörperlichkeit, Ewigkeit und Gott als alleinigen Adressaten der Verehrung“. Danach folgen „die auf das Wesen der Tora bezogenen Prinzipien: der Glaube an die Prophetie, an Mosche als den höchsten Propheten, die Akzeptanz der Göttlichkeit der Tora sowie die Ewigkeit und Unveränderlichkeit der Tora“. Zu Ende folgen endzeitliche Aussagen: wie die „Lehre von Lohn und Strafe nach dem Tod, der Glaube an das Kommen des Messias und die Auferstehung der Toten“.[3]
Form
BearbeitenDie poetische Dichtung ist metrisch gebaut, hat durchgehenden Reim. Inhaltlich ist sie eine Wiedergabe der „Grundlehren“ bzw. „Glaubensartikel“ ('iqqarim), die von Moses ben Maimon formuliert wurden.[4]
Es existieren mehrere Melodien, die verbreitetste wird Meyer Leoni (ca. 1740–1800) zugeschrieben, der vermutlich Elemente früherer jüdischer und slawischer Volkslieder verarbeitete.[5] 1843 wurde für eine jüdische Konfirmationsfeier auch die Melodie von „O du fröhliche“ nach Johannes Daniel Falk zugrunde gelegt.[6]
Text und Übersetzung
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Akzeptanz
BearbeitenNach dem Glossar der Jüdischen Allgemeinen akzeptieren heute „fast alle Juden die Glaubensartikel“. Dennoch seien „sie keinesfalls mit einem normativen Glaubensbekenntnis, wie es das Christentum kennt, zu vergleichen. Sie fassen lediglich wesentliche Punkte der Glaubenslehre zusammen.“[7]
Eine solche Kodifikation, die im Stile einer „Dogmatik“ verstanden werden konnte, war sehr umstritten.[8] Im Chassidismus findet der Hymnus keinen Gebrauch, da Isaak Luria sich gegen diesen aussprach.[9] Auch Rabbiner Jacob Emden (1697–1776) aus Altona lehnte das Jigdal ab. Seiner Ansicht nach entstehe „der Eindruck, das Judentum hätte nur diese 13 Grundsätze, und ein tiefes Torastudium sei überflüssig.“[10]
Verfasserschaft
BearbeitenDie Verfasserschaft das Jigdal wird Daniel ben Jehuda Dajan (um 1300) zugeschrieben.[11] Dies ist jedoch nicht völlig gesichert, teilweise wird die poetisierte Fassung auch dessen Zeitgenossen Immanuel ben Salomo von Rom zugeschrieben.[12] Dem Hymnus kommt auch kontroverstheologische Funktion zu.[13] Nach seinem Vorbild wurden mehrere weitere Dichtungen auf der Grundlage von Zusammenstellungen zentraler jüdischer „Glaubensartikel“ vorgenommen.[14]
Literatur
Bearbeiten- Cyrus Adler, Francis L. Cohen: Yigdal. In: Isidore Singer (Hrsg.): Jewish Encyclopedia. Band 12, Funk and Wagnalls, New York 1901–1906, S. 606–610.
- Jeffrey M. Cohen: Blessed Are You. A Comprehensive Guide to Jewish Prayer. Aronson, Northvale NJ u. a. 1993, ISBN 0-87668-465-7, 46 f.
- Bernard Martin: Prayer in Judaism. Basic Books, New York NY 1968, S. 84–87.
- Stefan C. Reif: Judaism and Hebrew Prayer. New Perspectives on Jewish liturgical History. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1993, ISBN 0-521-44087-4, S. 211–214.
- Aaron Rothkoff, Bathja Bayer: Yigdal. In: Fred Skolnik (Hrsg.): Encyclopaedia Judaica. Band 21: Wel–Zy. 2. Auflage. Thomson Gale, Detroit u. a. 2007, ISBN 978-0-02-865949-7, 373 f.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Konstantin Schuchardt: Jigdal, in: juedische-allgemeine.de vom 1. Februar 2016, abgerufen am 30. Juli 2022
- ↑ Ismar Elbogen: Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung. 3. Auflage. Fock, Leipzig 1931 (Nachdruck Olms, Hildesheim u. a. 1995), S. 88.
- ↑ Konstantin Schuchardt: Jigdal, in: juedische-allgemeine.de vom 1. Februar 2016, abgerufen am 30. Juli 2022
- ↑ Maimonides: Mischna-Kommentar (Kitāb al-Sirāj), Traktat Sanhedrin, Einleitung zu X, 1 (Pereq Heleq), ähnlich in: Mischne Tora, Sefer ha-Madda, Hilchot Teshuvah, 3, 6–8; der Text hg. und übers. Fred Rosner: Maimonides’ commentary on the Mishnah, Tractate Sanhedrin, Sepher-Hermon Press, New York 1981, 134–158; arabischer Text auch in: Israel Friedländer (Hrsg.): Selections from the arabic writings of Maimonides, Leiden 1901, Nachdruck 1951; arab. und hebr. Text und dt. Übersetzung bei J. Holzer: Moses Maimunis Einleitung zu Cheleq / Zur Geschichte der Dogmenlehre in der jüdischen Religionsphilosophie des Mittelalters, Poppelauer, Berlin 1901 (darauf basierender e-Text); dt. Übers. auch bei Josef Maier: [Einleitung] Zu Person und Werk des Mose ben Maimon, in: Ders. (Hrsg.): Moses Maimonides. Führer der Unschlüssigen, hg. und übers. Adolf Weiss, Bd. 1, Meiner, Hamburg, 2. Aufl. 1972, xi-civ, xli-xlviii.
- ↑ Vgl. Irene Heskes: Passport to Jewish Music: Its History, Traditions, and Culture, Greenwood Press, Westport, CT 1994, 83.
- ↑ Vgl. Klaus Herrmann: Abraham Geiger in Breslau and the Controversy about the Jewish Confirmation for Boys and Girls. in: Christian Wiese, Walter Homolka, Thomas Brechenmacher (Hrsg.): Jüdische Existenz in der Moderne, Berlin 2013, 133–160, 141f.
- ↑ Konstantin Schuchardt: Jigdal, in: juedische-allgemeine.de vom 1. Februar 2016, abgerufen am 30. Juli 2022
- ↑ Vgl. überblicksweise Menachem Kellner: Dogma in Medieval Jewish Thought. From Maimonides to Abravanel, Oxford 1986; Arthur Hyman: Maimonides’ „Thirteen Principles“, in: Alexander Altmann (Hrsg.): Jewish Medieval and Renaissance Studies, Harvard University Press, Cambridge, MA 1967, 119-144.
- ↑ Louis Jacobs: The Jewish Religion: A Companion. Oxford University Press, Oxford 1995, 611.
- ↑ Konstantin Schuchardt: Jigdal, in: juedische-allgemeine.de vom 1. Februar 2016, abgerufen am 30. Juli 2022
- ↑ Dies beruht v. a. auf einem Siddur von 1383, welcher eine Verfasserschaft des Großvaters des Besitzers nennt, vgl. Elbogen 1931, S. 88; Samuel David Luzzatto: מבוא למחזור בני רומא (Mavo le-maḥazor bene Roma, Einleitung zum Machsor Benei Roma, d. i. zum Festtags-Gebetbuch nach dem römischen jüdischen Ritus), Livorno/Leghorn 1856 (Nachdruck, hg. Daniel Goldschmidt, Tel Aviv 1966), 18; übernommen u. a. bei Leopold Zunz: Literaturgeschichte der synagogalen Poesie, Berlin 1865, 507; Abraham Zvi Idelsohn: Jewish Liturgy and Its Development, New York 1932, 74.
- ↑ Vgl. Rothkoff 2007, 373. Berührungen sieht u. a. schon Elbogen (1931, 88). Siehe auch Hans-Joachim Schoeps: Jüdischer Glaube in dieser Zeit, Gesammelte Schriften I/I, Nachdruck Olms, Hildesheim 1990, 34. Abraham Sulzbach: Die poetische Literatur, in: Jakob Winter, August Wünsche (Hrsg.): Die jüdische Literatur seit Abschluß des Kanons. Eine prosaische und poetische Anthologie mit biographischen und literargeschichtlichen Einleitungen, Mayer, Bd. 3, Trier 1896, 3-99 (dort 81f), hatte in den respektiven Corrigenda ibid., 904 der Zuschreibung an Daniel ben Jehuda widersprochen mit dem Hinweis, dass von diesem vielmehr eine Parodie zu den Iqqarim des Maimonides überliefert sei. Dies dürfte jedoch auf einer Verwechslung beruhen (vgl. die Liste bei Marx 1918f).
- ↑ Vgl. Ronald L. Eisenberg: The JPS Guide to Jewish Traditions, Jewish Publication Society, Philadelphia 2004, 470f.
- ↑ Insgesamt 18 nennt Alexander Marx: A List of Poems on the Articles of the Creed, in: The Jewish Quarterly Review 9 (1918–19), 305ff.