Nachbarschaftshilfe
Nachbarschaftshilfe bezeichnet eine gegenseitige, unter Nachbarn gewährte Form der Hilfe und Unterstützung, bei der zumeist auf ein Entgelt in Form einer Geldzahlung verzichtet und stattdessen Gegenleistungen in ähnlicher Form erbracht werden. Nachbarschaftshilfe ist üblicherweise ein gewohnheitsmäßiges und wenig formalisiertes Instrument sozialer Gemeinschaften zur Bewältigung von individuellen oder gemeinschaftlichen Bedürfnissen, Notlagen und Krisen.
Formen
BearbeitenMotivation zur nachbarschaftlichen Hilfe entsteht zumeist zwischen Menschen, die in einer ähnlichen sozialen oder materiellen Situation sind. „Funktionierende Nachbarschaft“, für die Nachbarschaftshilfe ein Indiz ist, entsteht zum Beispiel in bäuerlichen Dorfgemeinschaften in Zeiten anwachsenden Arbeitskräftebedarfs (gegenseitige Hilfe beim gemeinsamen Einbringen der Ernte) oder zur Abwehr von Bedrohungen und Gefahren (Deichschutz, Freiwillige Feuerwehr; siehe auch Pumpennachbarschaft).[1] Als individuelle Hilfe ermöglicht Nachbarschaftshilfe die Bewältigung von Alltagsproblemen bis hin zur Überwindung von Krisen wie Krankheit und Armut.
In urbanen Gesellschaften mit einem hohen Grad der Individualisierung wird häufig das Fehlen von Nachbarschaftshilfe beklagt, beispielsweise in der anonymen Nachbarschaft von Hochhausbewohnern. Zumeist sind dort jedoch auch ihre materiellen Gründe entfallen (Sozialhilfe, Rentenversicherung, Sozialstationen, Kindertagesstätten, Altersheime) oder professionelle Formen der Gefahrenabwehr etabliert (Berufsfeuerwehr). Hinzu kommt die stärkere Einbindung des Einzelnen in das wirtschaftliche Arbeitsleben. Während früher z. B. eine Hausfrau die Möglichkeit hatte, tagsüber etwa einem erkrankten Nachbarn zu helfen, sind heute vielfach alle Personen eines Haushalts beruflich tätig und können daher lediglich außerhalb ihrer Vertragsarbeitszeiten entsprechende Hilfsleistungen erbringen.
Kommunale, kirchliche oder verbandliche Gemeinwesenarbeit bemüht sich dort um die (Wieder-)Belebung nachbarschaftlicher Solidarität und gegenseitiger Unterstützung.[2]
Die Selbsthilfe-Bewegung kann als Ersatz früherer Nachbarschaftshilfe verstanden werden. Zeitbanken sind eine weitere, organisierte Form der Nachbarschaftshilfe. Hinzu kommen Veranstaltungsformate wie Energiecafés und Solarparties.
Gesetzliche Regelungen
BearbeitenDeutschland
BearbeitenIn einigen Gesetzen wird der nachbarschaftlichen Hilfe eine besondere Rolle zugestanden. Beispielsweise ist nach § 6 (2) RDG eine unentgeltliche Rechtsberatung ohne Aufsicht eines Volljuristen nur dann zulässig, wenn sie innerhalb „familiärer, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger persönlicher Beziehungen“ erbracht wird.
„Echte“ Nachbarschaftshilfe führt zu keinen steuerlichen Verpflichtungen, wenn sie ohne Gegenleistung erbracht wird. Neben der „echten“ gibt es auch vorgebliche Formen der Nachbarschaftshilfe, mit der Schwarzarbeit verdeckt werden soll. Hier wird zwar Hilfe erbracht, aber die Gegenleistung erfolgt in Geld und „am Finanzamt vorbei“. Der Rahmen zulässiger Nachbarschaftshilfe kann deswegen gesetzlich geregelt sein. Nicht zur Schwarzarbeit zählen Tätigkeiten, die von Angehörigen oder aus Gefälligkeit oder im Wege der Nachbarschaftshilfe geleistet werden, sofern sie „nicht nachhaltig auf Gewinn gerichtet“ sind, etwa weil sie „gegen geringes Entgelt erbracht werden“ (§ 1 SchwarzArbG).
Je nach Landesrecht kann eine Aufwandsentschädigung für eine Nachbarschaftshilfe für Pflegebedürftige über den Entlastungsbetrag (§ 45b) erstattet werden.[3][4]
Eine Privathaftpflichtversicherung deckt Schäden durch Nachbarschaftshilfe nur ab, wenn diese auch Gefälligkeitsschäden umfasst.
Siehe auch
Bearbeiten- Schwäbische Kehrwoche
- Ayni
- Bubuti
- Gegenseitige Hilfe
- Minka
- Dugnad
- Settlement-Bewegung (auf Nachbarschaft beruhende sozialreformerische Strategie ab Ende des 19. Jahrhunderts)
Literatur
Bearbeiten- Reimer Gronemeyer, Hans-Eckehard Bahr (Hrsg.): Nachbarschaft im Neubaublock. Empirische Untersuchungen zur Gemeinwesenarbeit, theoretische Studien zur Wohnsituation. Beltz, Weinheim 1977, ISBN 3-407-51125-6.
- Helena Siemes, Gerd Philips: Nachbarschaften und Geselligkeit am Niederrhein. Mercator, 2009, ISBN 978-3-87463-438-0
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Franz-Josef Sehr: Das Feuerlöschwesen in Obertiefenbach aus früherer Zeit. In: Jahrbuch für den Kreis Limburg-Weilburg 1994. Der Kreisausschuss des Landkreises Limburg-Weilburg, Limburg 1993, S. 151–153.
- ↑ Reimer Gronemeyer, Hans-Eckehard Bahr (Hrsg.): Nachbarschaft im Neubaublock. Beltz 1977. (enthält auch eine empirische Untersuchung zum Thema)
- ↑ Nina Schlüter: Nachbarschaftshilfe für Pflegebedürftige. In: www.pflege.de. Abgerufen am 20. April 2023.
- ↑ Leitungen der Pflegeversicherung: Der Entlastungsbetrag. In: Pflege in Familien fördern, aok-pfiff.de. AOK Nordost – Die Gesundheitskasse, abgerufen am 20. April 2023.