Typometrie der Antiqua

Konstruktion von Majuskeln
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Die Typometrie der Antiqua ist ein Teil der Mikrotypografie („Detailtypografie“) und beschreibt die geometrische Konstruktion von „lateinischen“ Majuskeln. Diese Wortschöpfung des Typografen Wolfgang Beinert bezeichnet – in der Bedeutung von „Letternvermessung“[1] (oder „Buchstabenarchitektur“, Schriftentwurf, Type Design) – die alte Technik der geometrischen Konstruktion von Antiqua-Großbuchstaben, welche die Grundformen (im Quadrat oder in Teilen davon) und die Proportionen (Größenbeziehungen) berücksichtigt.[2]

Typometrie als geometrische Konstruktion

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Francesco Torniello bei der Konstruktion des A, 1517

Die Typometrie der römischen Majuskeln (im „Zweiliniensystem“ mit Grund- und Oberlinie) besteht aus Geraden und Rundungen, bzw. den Grundformen Quadrat, Dreieck und Kreis bzw. Halbkreis.

Griechisch-römische Majuskeln

Angeregt von der Epigraphik der Römer und ihrer Capitalis monumentalis auf der Trajans-Säule entstanden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erste systematische Anleitungen zur geometrisch exakten Konstruktion von Buchstaben. Die Kalligraphen orientierten sich am Vorbild der griechisch-römischen MAJUSKELN, die sich mathematisch oft an der »proportio divina«, der „göttlichen Proportion“ (Goldener Schnitt), orientierten. Die erste Abhandlung zur typometrischen Konstruktion der römischen Kapitale ist das »Alphabetum Romanum«, ein Manuskript des Kalligraphen Felice Feliciano (Verona 1463, im Codex Vaticanus 6852[3]).[4]

 
Geometrisch konstruierte Großbuchstaben (ohne J)

Konstruktion von Buchstaben

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Wenige geometrische Grundformen umschließen unausschöpfbare Varianten. Franz Panem

Geometry can produce legible letters, but art alone makes them beautiful. Paul Standard [5]

(Geometrie kann lesbare Buchstaben erzeugen, aber Kunst allein macht sie schön.)

Die Großbuchstaben „passen“ in der Breite in ein Quadrat oder in Teile davon:

  • in das ganze Quadrat: A, O, Q und V – etwas größer: M und W;
  • in mehr als ein ¾ Quadrat: C, G, H, N, U, X, Y und Z;
  • in ein ¾ Quadrat: D, K und T;
  • in ein ½ Quadrat: B, E, F, J, L, P, R und S.[6]

Optischer Ausgleich

Buchstaben, die nur geometrisch-linear konstruiert werden, wirken statisch und manche zu klein. Je nach Strichstärke und Schreibwerkzeug müssen die Querstriche und Bögen optisch ausgeglichen werden:

  • beim A den Querstrich tiefer zeichnen, beim E, F und H den Mittelstrich etwas höher;
  • beim B, R und S den oberen Bogen etwas kleiner;
  • beim C, G, O, Q und U die Bögen leicht über die Grund- und Oberlinie;
  • beim A, M, V und W die Spitzen etwas über die Grund- oder Oberlinie.[7]
 
Links: Luca Paciolis Antiqua-L,
rechts: Dürers Textur-a

Ursprung in der Renaissance

Am Ende des 15. Jahrhunderts fingen die Italiener Felix Felicianus (Felice Feliciano) und Lukas Paciolus (Luca Pacioli) an, die Formen der Antiqua-Großbuchstaben durch Zeichnen von Linien und Kreisen auf geometrischer Basis zu konstruieren. Während in Italien das Können bei den Formen der altrömischen („kapitalen“) Buchstaben wuchs, versuchte in Deutschland Albrecht Dürer dies bei der gotischen Schrift (Textura) – mit einheitlichen geometrischen Formen (kleinen Quadraten) – nachzuahmen. In Frankreich gab es zur gleichen Zeit ähnliche Konstruktionen von Geoffroy Tory.[8]

Das Werk von Luca Pacioli (Mathematiker), Divina Proportione (1509)[9], enthält u. a. geometrische Darstellungen aller lateinischen Großbuchstaben. Pacioli strebte danach, die lateinischen Buchstaben römischer Inschriften und Grabsteine möglichst originalgetreu zu zeichnen. Er kann daher als Pionier der „mathematischen Typografie“ angesehen werden.[10]

Francesco Torniello da Novara war ein Mailänder Typograf, der 1517 ein Werk mit dem Titel Opera del modo de fare le littere maiuscole antique[11] veröffentlichte, das ein Alphabet für lateinische Majuskeln vorstellte – zusammen mit geometrischen Hinweisen, wie die Buchstaben „mit Hilfe von Zirkeln für Kurven und einem Lineal“ (col circino in curvo e libella recta) konstruiert werden können.

Die geometrischen Konstruktionen von Buchstaben von Albrecht Dürer erschienen 1525 in der »Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt in Linien, ebenen und gantzen corporen«.

Konstruktionsbeschreibungen

 
Das A von Luca Pacioli mit italienischen Anmerkungen.
 
A-Varianten von Albrecht Dürer mit Anmerkungen in Fraktur.

Francesco Torniello stellte ein Alphabet mit geometrischen Hinweisen vor, wie z. B. der Buchstabe <A> konstruiert werden kann:

Der Buchstabe A wird vom Quadrat geformt. Die Dicke des rechten Beins sollte ein Neuntel der Vertikalen betragen; es sollte außerhalb des Quadrats beginnen, wo es den Kreis berührt, der durch die oben liegende Horizontale einen halben Punkt links vom Mittelpunkt durchgeht, und in der unten liegenden Ecke des Quadrats endet mit den Kreisen, wie Du sie eingezeichnet siehst. Alle äußeren Kreise haben einen Radius von einem Punkt und die inneren einen Radius von einem halben Punkt, gemessen von dem Mittelpunkt eines Kreises bis zu seinem Umfang. Das linke Bein sollte die halbe Dicke des rechten haben und die Innenlinie sollte einen Startpunkt haben, der mit der Mitte der oberen Linie des Quadrats zusammentrifft, und einen halben Punkt vor der Grundlinie enden, einen Punkt innerhalb der linken Vertikalen des Quadrats. Die Querlinie sollte ein Drittel der Dicke des rechten Beines aufweisen, wobei die obere Linie mit der Horizontalen in der Mitte des Quadrats zusammentreffen sollte.[12]

Albrecht Dürer hat seine Konstruktionen für „bauleut und maler“ beschrieben – in altertümlichem Deutsch (die „fierung“ ist ein Quadrat).

Typometrie und Digitalität

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Francesco Torniello erstellte in seinem Werk (Opera del modo de fare le littere maiuscole antique) ein 18×18-Raster, das als Koordinatensystem diente. Auch Pierre Simon Fournier benutzte ein Raster und führte 1737 den „Punkt“ als typografische Maßeinheit ein. Der Punkt als Maßeinheit und das Raster erleichterten die geometrische Konstruktion der Buchstabenform.

Seit der Personal Computer (ab 1995) und das Desktop Publishing (DTP) weitgehend den Bleisatz sowie den Fotosatz verdrängte, wird die Typometrie von Buchstaben (und Sonderzeichen) fast nur noch mit Schrift-Editor-Programmen entworfen und generiert (z. B. mit METAFONT, Fontographer oder FontForge). Um heute digitale Buchstaben (Fonts) herzustellen, sind keine kalligrafischen Fähigkeiten mehr nötig, aber „anatomische“ Kenntnisse des einzelnen Buchstabens mit seinem „Grundgerüst und Extremitäten“[13].

Das Raster von Pierre Fournier erinnert an die PC-Schriftanfänge mit Pixelgrafiken. Bei Rastergrafiken bestehen die Buchstaben aus einzelnen Pixeln, wie bei den Bitmaps in einfachen Grafikprogrammen. Die Schrifteditor-Programme erzeugen oder verändern die Buchstaben mit einer Vektorgrafik. Mit einer Vektorgrafik wird ein Buchstabe aus Linien, Polygonen (Vielecken), Kreisen oder Kurven (Splines oder Bézierkurven) zusammengesetzt.

  • Albert Kapr: Schriftkunst. Geschichte, Anatomie und Schönheit der lateinischen Buchstaben. Verlag der Kunst, Dresden 1971.
  • José M. Parramón: Das Handbuch der Schriften. Edition Michael Fischer, Stuttgart 1985.
  • Hans Kühne: Schriftschule. Kallmeyer, Wolfenbüttel 1978.
  • Joep Pohlen: Letterfontäne – Über Buchstaben. Taschen-Verlag, Köln 2011.
  • Meyers Konversations-Lexikon Band 14: Schreibkunst. Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien 1885 (4. Auflage).
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Commons: Buchstaben von Luca Pacioli – Sammlung von Bildern
Commons: Buchstaben von Albrecht Dürer – Sammlung von Bildern

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. analog zu Geometrie → Erd- oder Landvermessung
  2. W. Beinert: Typolexikon – Typometrie
  3. Biblioteca apostolica vaticana: Manuscript – Cod. Vat. 6852
  4. W. Beinert: Typometrie
  5. Beide Zitate in: Gudrun Zapf-von Hesse Bucheinbände – Handgeschriebene Bücher .... Leipzig 2002, Seite 184
  6. Hans Kühne: Schriftschule, Seite 17 und Abb. 21 sowie Jose Parramon: Handbuch der Schriften, Seite 24.
  7. José M. Parramón: Das Handbuch der Schriften, Seite 24–32
  8. Meyers Konversations-Lexikon (Band 14): Schreibkunst, Seite 626–627.
  9. Luca Pacioli: De Divina Proportione. Antonio Capella, Venedig 1509.
  10. Giovanni Mardersteig: The Alphabet of Francesco Torniello da Novara. Officina Bodoni, Verona 1971.
  11. Francesco Torniello da Novara: Opera del modo de fare le littere maiuscole antique. Gotardo da Ponte, Milano 1517.
  12. Hugo Kastner: Das Alphabet – Die Geschichte der Schrift. Marixverlag, Schweinfurt 2012. Abschnitt Aleph
  13. Claas Kalwa: Schriftgestaltung – Schrift-Anatomie