Yahya Hassan

dänischer Lyriker palästinensischer Abstammung

Yahya Hassan (* 19. Mai 1995 in Aarhus;[1]29. April 2020 ebenda[2]) war ein dänischer Lyriker.[3] Sein 2013 erschienener Gedichtband Yahya Hassan: Digte ist mit mehr als 120.000 Exemplaren der meistverkaufte Gedichtband eines Debütanten in der Geschichte der dänischen Literatur.[4][5]

Yahya Hassan (2015)

Hassan wuchs als Sohn palästinensischer Flüchtlinge in einem als „Problemviertel“ und „Ghetto“ beschriebenen Viertel mit hohem Migrantenanteil in Aarhus-West auf. Hassan beschreibt sein Elternhaus als zerrüttet, von seinem Vater wurde er regelmäßig misshandelt. Hassan glitt in die Kriminalität ab und wurde in sonderpädagogischen Einrichtungen für straffällig gewordene Jugendliche untergebracht. In der Einrichtung Solhaven in Farsø entdeckten und förderten Pädagogen sein schriftstellerisches Talent.[6][7] In Solhaven kam es zu einer Affäre zwischen dem damals 16-jährigen Hassan und der 38-jährigen Pädagogin Louise Østergaard, die Hassan in seinem Gedicht Kontaktpersonen thematisiert. 2014 erschien Østergaards Roman Ord („Wort“), in dem die problematische Beziehung, die zu Østergaards Kündigung und Scheidung führte, verarbeitet wird.[8]

Hassan begann sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Er besuchte u. a. eine „Rap-Akademie“ sowie Kurse für kreatives Schreiben an mehreren Einrichtungen.[9][10]

Im Februar 2013 nahm Hassan am Literaturfestival Litt Talk der Vallekilde Højskole teil. Seine Lesungen wurden im dänischen Fernsehen thematisiert.[11] Im Juni 2013 trat Hassan mit seinen Gedichten im traditionsreichen Aarhus Teater auf.[12] Im September las Hassan aus seinen Gedichten im Rahmen der Århus Festwoche. In einer Rezension des dänischen Rundfunks wurde die sprachliche Virtuosität seiner „Ghettogedichte“ hervorgehoben.[13]

Im Oktober 2013 erschien in Politiken, einer der führenden dänischen Tageszeitungen, ein vielbeachtetes Interview mit Hassan unter der Überschrift „Ich bin fucking wütend auf die Generation meiner Eltern“.[14] In dem Artikel, wie auch andernorts, äußerte sich Hassan kritisch über sein Herkunftsmilieu. Er attestierte der Generation seiner Eltern, sich am Koran festzuklammern, während sie den Sozialstaat betrügen, ihre Kinder verprügeln und verhindern, dass diese sich in die Gesellschaft integrieren.[15]

Für diese Ansichten wurde Hassan wiederum von dänischen Muslimen kritisiert.[16][17] Es gab auch wiederholt Morddrohungen gegen Hassan, der deshalb unter Personenschutz gestellt wurde.[18][19] Im November 2013 wurde Hassan in Kopenhagen von einem Islamisten überfallen und verletzt.[20]

 
Yahya Hassan (2013)

Im November 2013 las Hassan in einer Schule in Odense aus seinen Gedichten unter Anwesenheit einer großen Zahl von Journalisten sowie der dänischen Sozial- und Integrationsministerin. Die Lesung hatte zunächst in der Stadtbibliothek stattfinden sollen, die jedoch aufgrund der von der Polizei festgestellten Gefahrenlage absagte.[21] Die Absage der Bibliothek wurde kritisiert und auch im dänischen Parlament thematisiert.[22]

Im April 2015 trat Hassan der Kleinpartei Nationalpartiet bei, für die er ohne Erfolg bei der Folketingswahl 2015 antrat.[23] Im Februar 2016 wurde Hassan aus der Partei ausgeschlossen, nachdem er wegen Fahrens unter Drogeneinfluss verhaftet worden war.[24]

Hassan wurde im September 2016 in Aarhus zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten und einer Geldstrafe von 40.000 dänischen Kronen wegen der Verletzung eines Siebzehnjährigen durch einen Pistolenschuss verurteilt.[25]

Ende April 2020 wurde Hassan in seiner Wohnung tot aufgefunden; er wurde 24 Jahre alt.[26]

Die Gedichtsammlung Yahya Hassan: Digte erschien zunächst in einer Auflage von 800 Exemplaren beim traditionsreichen Gyldendal-Verlag. Diese erste Auflage war sehr schnell ausverkauft.[27] Daraufhin erhöhte der Verlag die Auflage mehrere Male. Bis April 2014 waren bereits mehr als 100.000 Exemplare verkauft.

In den Gedichten verarbeitete Hassan sein Heranwachsen in einem zerrütteten Umfeld, das von Gewalt, Versagen und Kriminalität bestimmt ist. Die Gedichte sind auch Anklagen gegen die Generation seiner Eltern und gegen den Islam.[28]

Von der dänischen Literaturkritik wurden die Gedichte positiv aufgenommen. Gelobt wurden u. a. die innovative und kraftvolle Sprache und der sozialrealistische Inhalt.[29][30] Aufgrund von Hassans Migrationshintergrund und der in den Gedichten geäußerten Kritik an bestimmten Einwanderermilieus weist die Debatte um Hassans Gedichte auch politische Züge auf, obgleich die Literaturkritik anerkennt, dass das Buch ein literarisches Werk sei. In Politiken wurde Hassan als „Einwandererdichter“ bezeichnet. Hassan selbst betonte, sich stets nur als Dichter zu äußern und kein Teilnehmer der politischen Integrationsdebatte zu sein.[31]

Jörg Lau sieht in dem Buch „Züge eines lyrischen Bildungsromans“. Man habe Hassan als zornigen jungen Mann eingeordnet, doch das führe auf ein falsches Gleis: „Es geht hier eigentlich nicht um Wut, sondern vielmehr um Freiheit. Und die dichterische Sprache ist das Mittel, sie zu gewinnen.“[32]

Die Gedichtsammlung wird außer in Dänemark gegenwärtig in den Niederlanden, in Italien, Norwegen, Schweden und in Deutschland verkauft.[33] Eine Übersetzung ins Englische war geplant.[34]

Veröffentlichungen

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  • Et godt sted at dø in der Anthologie Vi er herinde, Brønderslev Forfatterskole (2011)
  • Yahya Hassan : Digte, Gyldendal, 2013, ISBN 978-87-02-15352-1
Yahya Hassan: Gedichte. Aus dem Dänischen von Annette Hellmut und Michel Schleh, Ullstein 2014. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
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Commons: Yahya Hassan – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. CHAT: Får dødstrusler efter debatindlæg, med biografiske oplysninger. In: politiken.dk. TV2, 9. Oktober 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 10. Juni 2015; abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.nyhederne.tv2.dk
  2. Nielsen, Trina; Winther Johansen, Christian; Mejborn, Katja. Yahya Hassan er død, Berlingske. 30. April 2020. Abgerufen am 30. April 2020.
  3. Danish Teen Poet and Muslim Critic Yahya Hassan Assaulted by Convicted Terrorist. International Business Times, abgerufen am 5. Januar 2014 (englisch).
  4. Rekord: Yahya Hassan runder de 100.000. In: politiken.dk. Politiken, 16. Dezember 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 25. April 2014; abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch): „Årets mest omtalte digtsamling slår rekord og sælges i udlandet efter auktioner.“
  5. Medien: Dichter Yahya Hassan ist tot, Der Nordschleswiger, 30. April 2020.
  6. Danish rap poet Yahya Hassan faces racism charge for knocking Muslims. The Guardian, abgerufen am 14. Dezember 2013 (englisch).
  7. Poet Sparks New Debate on Islam in Denmark. Wall Street Journal, abgerufen am 14. Dezember 2013 (englisch).
  8. Sandra Brovall: Yahya Hassans kontaktperson udgiver bog med slet skjulte hentydninger. Politiken, 19. Januar 2014, abgerufen am 1. Mai 2014 (dänisch).
  9. Forfatterskolen - Oversigt over elever. forfatterskolen.dk, 23. Oktober 2013, abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  10. Opgang2 und Søren Marcussen: Himlen Over Os - Yahya Hassan. Opgang2, 8. Februar 2013, abgerufen am 1. Mai 2014 (dänisch).
  11. Kurt Baagå: Den rastløse indvandrerdreng og digtene. DR, 15. März 2013, abgerufen am 1. Mai 2014 (dänisch).
  12. Nu er ordene hans våben. Jyllands-Posten, 8. Juni 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. Oktober 2014; abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  13. Stærke ghettodigte og sproglig virtuositet på VMO. Danmarks Radio, 22. Oktober 2013, abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  14. Digter: Jeg er fucking vred på mine forældres generation. Politiken, 5. Oktober 2013, abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  15. Kultursektion af den 8. Oktober 2013. Jyllands-Posten, 8. Oktober 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 6. Oktober 2014; abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  16. Ungt opgør med indvandrerforældre mødes med vrede i muslimske miljøer. Kristeligt Dagblad, 10. Oktober 2013, abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  17. Unge står bag dødstrusler mod digter. Danmarks Radio, 24. Oktober 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 12. November 2013; abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  18. PET involveret i digters sikkerhed. Danmarks Radio, 22. Oktober 2013, abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  19. Yahya Hassan: De råber, jeg skal dø. TV 2 Nyhederne, 19. November 2013, archiviert vom Original am 7. Dezember 2013; abgerufen am 1. Mai 2014 (dänisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.nyhederne.tv2.dk
  20. Astrid Søndberg: Yahya Hassan efter overfald: De er ligeglade med poesi. TV 2 Nyhederne, 19. November 2013, abgerufen am 1. Mai 2014 (dänisch).
  21. Anders Borup Sørensen: Vollsmose Bibliotek aflyser Yahya Hassan-foredrag. TV 2, 21. November 2013, abgerufen am 1. Mai 2014 (dänisch).
  22. Paragraf-20 spørgsmål:
  23. Nationalpartiet: Yahya Hassan igen udsat for overfald. (Memento vom 23. Juni 2015 im Internet Archive) In: Jyllands-Posten, 20. April 2015.
  24. http://jyllands-posten.dk/politik/ECE8433013/nationalpartiet-har-ekskluderet-yahya-hassan-efter-anholdelse
  25. Dichtung und Notwehr in FAZ vom 19. September 2016, Seite 11
  26. Matthias Wyssuwa: Er schrie mit jeder seiner Zeilen FAZ, 30. April 2020, abgerufen am 6. Mai 2020
  27. Gyldendal: Vi har ikke været ordentlig forberedt på Yahya Hassan-succes zitat. Danmarks Radio, DR - Kultur, 22. Oktober 2013, abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  28. Yahya Hassan, bogbeskrivelse, Gyldendal. Gyldendal, Den Store Danske Encyklopædi, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 3. Februar 2014; abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  29. Lilian Munk Rösing: Yahya Hassans digte er fyldt med ild og nyskabelse. Politiken, 13. Oktober 2013, abgerufen am 1. Mai 2014 (dänisch).
  30. »Jeg elsker jer ikke forældre jeg hader jeres ulykke«. Berlingske, 15. Oktober 2013, abgerufen am 2. Mai 2014 (dänisch).
  31. Yahya Hassan: Læs min bog, hvis du vil forstå mig. Politiken, 18. Oktober 2013, abgerufen am 1. Mai 2014 (dänisch).
  32. Jörg Lau: Er ist einer von denen. In: DIE ZEIT Nº 17/2014 auf zeit.de. Die Zeit, 16. April 2014, abgerufen am 2. Mai 2014 (deutsch).
  33. Kaja Korsvold: Danskene i kø for å kjøpe Yahya Hassans dikt. In: aftenposten.no. Aftenposten, 17. Oktober 2013, abgerufen am 21. Mai 2014 (norwegisch).
  34. Pelle Dam: Rap-brødre oversætter kontroversiel succes-digter. MetroXpress, 12. November 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 6. Oktober 2014; abgerufen am 1. Mai 2014 (dänisch).