Élisabeth de Riquet de Caraman

Pariser Dame der Gesellschaft

Marie Joséphine Anatole Louise Élisabeth de Riquet, Comtesse de Caraman-Chimay, durch Heirat mit Comte Henri Greffulhe Comtesse Greffulhe (* 11. Juli 1860 in Paris; † 21. August 1952 in Lausanne), war eine Pariser Dame der Gesellschaft, die wegen ihrer Schönheit und Eleganz berühmt war. In der Pariser Gesellschaft sprach man ihren Namen Greffeuille aus.[1]

Elisabeth Gräfin Greffulhe auf einem Gemälde von Philip Alexius de Laszlo, 1905

Sie war Mittelpunkt eines mondänen Salons im Faubourg Saint-Germain in der Belle Époque, in dem sich Politiker und Diplomaten, Wissenschaftler, Musiker und Künstler sowie Mitglieder der Hochfinanz und des europäischen Adels trafen. Sie war Mäzenin von Kunst, Musik, Theater und Ballett.

Unsterblich geworden ist sie durch die Figur der Herzogin von Guermantes in Marcel Prousts Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, der sie als Vorbild diente.

Elisabeth de Riquet de Caraman war eins von sieben Kindern des Fürsten Joseph Marie Guy Henri Philippe de Riquet de Caraman, 18. Prince de Chimay, 2. Prince de Caraman[2] (1836–1892) und der Gräfin Marie Josephine Anatole de Montesquiou-Fézensac[3] (1834–1884). Die Familie de Riquet, Grafen von Caraman, hatte durch Heirat 1750 den Titel der Fürsten von Chimay, eines Fürstenstands des Heiligen Römischen Reiches seit 1486, geerbt und war damit in den Hochadel aufgestiegen. Élisabeth Greffulhe unterschrieb ihr Leben lang stolz mit „Caraman Chimay Greffulhe“.

Ihre Mutter war von Clara Schumann unterrichtet worden und hatte mit Franz Liszt konzertiert. Alle Kinder des Ehepaares spielten ein Instrument.

 
Gräfin Greffulhe mit ihrer vierjährigen Tochter Élaine im Jahr 1886 auf einer Fotografie von Nadar

Im Alter von 18 Jahren wurde Elisabeth de Riquet de Caraman mit dem Grafen Henri Jules Charles Emanuel Greffulhe (1848–1932) verheiratet und so zur Gräfin Greffulhe, als die sie in die Geschichte der gehobenen Pariser Gesellschaft einging. Ihr Gatte gehörte zum belgischen Zweig der Familie und erbte neben seinem Titel ein bedeutendes Finanz- und Immobilienimperium. Das Ehepaar bewohnte ein Hôtel particulier in der Rue d’Astorg 8–10 in Paris, in der Nähe der Madeleine, das Elisabeths Schwiegervater Charles Greffulhe 1871 erworben hatte (die Häusergruppe wurde später durch ein Versicherungsgebäude ersetzt), sowie das Château de Bois-Boudran in Fontenailles (Seine-et-Marne).

Am 19. März 1882 wurde Hélène Marie Josèphe Charlotte, genannt Élaine, das einzige Kind des Paares, geboren. Élaine heiratete 1904 Armand de Gramont, Herzog de Guiche und 12. Herzog von Gramont (1879–1962), der mit Marcel Proust befreundet war.

1887 schenkte Greffulhes Vater seinem Sohn die Villa La Case in Dieppe, ein Schlösschen im anglo-normannischen Stil, in dem das Paar die Sommermonate verbrachte und Gäste empfing.[4] 1890 heiratete Élisabeths Bruder Joseph de Riquet, Prince de Chimay et de Caraman (1858–1937) die reiche Amerikanerin Clara Ward; die Ehe sollte bald skandalträchtig enden.

Durch ihre Garderobe, die sie von renommierten Modehäusern wie Callot Sœurs, Doucet, Jeanne Lanvin, Fortuny, Caroline Reboux, Vitaldi Babani, Worth, sowie Schuhe, die sie von Hellstern & Sons und François Pinet bezog,[5] setzte die Comtesse Greffulhe ihre Schönheit eindrucksvoll in Szene, wie es in vielen schriftlichen Äußerungen ihrer Gäste überliefert ist. Sie wollte diejenige sein, die Mode „macht“, anstatt ihr zu folgen. Nachdem sie im Mai 1891 auf einem Ball der Prinzessin von Léon in einem Kostüm erschienen war, das dem der Madame Récamier auf dem berühmten Porträt von Jacques-Louis David aus dem Jahr 1800 glich, nannte der mit ihr befreundete Politiker Paul Deschanel die Gräfin eine „moderne Madame Récamier“. Über Journalisten lancierte sie regelmäßig Fotos und Artikel über sich in die Presse.[6]

 
Robert de Montesquiou, 1897

Die Comtesse Greffulhe war eine Cousine von Robert de Montesquiou, dem sie sein Leben lang eine enge Vertraute war. 1884 machte sie Montesquiou mit dem 20 Jahre älteren hochgebildeten Prince de Polignac bekannt, der sie verehrte und mit dem sie fortan eine enge Freundschaft verband. Auf einer Englandreise 1887 lernte sie durch Vermittlung Montesquious den amerikanischen Maler James McNeill Whistler kennen, der wie Montesquiou den Lebensstil eines Dandys führte. Sie verschaffte Whistler Zugang zur Pariser Gesellschaft und förderte ihn wie andere Pariser Künstler ihrer Zeit finanziell.[7]

Ebenfalls über Montesquiou lernte sie Edmond de Goncourt, José-Maria de Heredia, Stéphane Mallarmé, Judith Gautier, Anatole France und den Abbé Mugnier (Arthur Mugnier, 1853–1944) kennen, der detailliert Tagebuch führte über die Protagonisten und Ereignisse der Pariser Gesellschaft von 1878 bis 1939.

In der Rue d'Astorg 10 führte sie einen Salon, in dem sie regelmäßig die Crème der Pariser Gesellschaft und bedeutende Personen aus Politik, Finanz, Wissenschaft und Kunst empfing. Der Reichtum der Familie erlaubte ihr ein großzügiges Mäzenatentum, das sich auf Kunst, Literatur, Musik und Wissenschaft erstreckte. Außer Whistler und Diaghilevs Ballets Russes[8] protegierte sie Gustave Moreau, Antonio de la Gandara, Auguste Rodin und andere. Sie half Marie Curie bei der Finanzierung von deren Institut du radium. Auch setzte sie sich bei Staatspräsident Alexandre Millerand dafür ein, dass das Institut Catholique de Paris weiterhin ein repräsentatives Gebäude vom Staat mieten konnte.

Von ihrer Herkunft und Grundgesinnung eher monarchistisch eingestellt, unterhielt sie dennoch auch Kontakte zu Vertretern der Dritten Republik wie Théophile Delcassé, Pierre Waldeck-Rousseau und General Gaston de Galliffet, der im Kabinett Waldeck-Rousseau kurzzeitig Kriegsminister war. In der Dreyfus-Affäre standen sie und Montesquiou auf der Seite von Waldeck-Rousseau, der wesentlich zur Rehabilitierung des jüdischen Angeklagten beitrug. Eine briefliche Intervention zu Gunsten des fälschlich der Spionage Beschuldigten, die die Comtesse Greffulhe 1899 bei Kaiser Wilhelm II. unternahm,[9] wurde ihr von der rechten Presse Frankreichs übel angekreidet.

La Société des Grandes auditions

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Im Jahr 1890 gründete die Comtesse Greffulhe die Société des Grandes auditions und wurde ihre Präsidentin, eine einzigartige Position für eine Frau in dieser Zeit. Diese privat durch Subskriptionen finanzierte Gesellschaft hatte zunächst das Ziel, Werke französischer Komponisten in Paris zu präsentieren, die bereits im Ausland aufgeführt worden waren oder in Frankreich selten gespielt wurden. Im selben Jahr wurde die Oper Béatrice et Bénédict von Hector Berlioz, die schon in Baden-Baden, Weimar, Karlsruhe und Wien gespielt worden war, am Théatre Odéon aufgeführt. 1892 folgte Berlioz' Oper Les Troyens à Carthage.

Die Comtesse Greffulhe hatte die Musik Richard Wagners 1891 während eines Besuches mit Montesquiou in Bayreuth kennengelernt und setzte sich für die Aufführung von Lohengrin an der Pariser Oper im selben Jahr ein. Für 1893 wurde eine Aufführung von Tristan und Isolde geplant. Da aber für das Budget von 75.000 Francs noch 20.000 Francs fehlten, kam die Premiere erst drei Jahre später zustande.

Nach dem Erfolg der Opernaufführungen weitete die Gesellschaft ihr Programm auf Orchesterkonzerte aus. Aufgeführt wurden Werke von Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Ludwig van Beethoven und Edward Elgar. 1884 fand ein Konzert mit Werken der musikalischen Avantgarde, von Claude Debussy, Gabriel Fauré, Albéric Magnard, Vincent d’Indy, Charles Bordes, Ernest Chausson und Paul Dukas, statt.[10] Salome von Richard Strauss, 1907 von Strauss selbst dirigiert, erlebte am Théâtre du Châtelet dank der Förderung der von der Gräfin geführten Société mehrere Aufführungen.[11] Gabriel Fauré widmete der Comtesse 1890 seine Komposition Pavane avec chœur.

Rezeption in Kunst und Literatur

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Gräfin Greffulhe im Jahr 1886, fotografiert von Nadar

Das Ehepaar Greffulhe inspirierte Marcel Proust zu den Romanfiguren des Herzogs und der Herzogin von Guermantes in seinem epochalen Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Die Herzogin und ihr Cousin, der Baron Charlus, gestaltet nach dem Vorbild von Élisabeths Cousin Robert de Montesquiou, gehören zu den Hauptfiguren der siebenteiligen Romanfolge.

Erstmals sah Proust die Gräfin 1893 auf einem Ball der Prinzessin von Wagram, geborenen Berthe de Rothschild. Er war sofort fasziniert von „diesem großen goldenen Vogel, der bereit war, wegzufliegen.“[12] 1894 wurde er ihr vorgestellt, als sie an der Seite von Sarah Bernhardt Ehrengast auf einem Fest von Robert de Montesquiou in dessen Villa in Versailles war, über das Proust für die Zeitschrift Le Gaulois berichten sollte. In ihren Salon eingeladen wurde Proust aber erst ab 1904, nachdem ihre Tochter den Herzog von Guiche geheiratet hatte, der mit Proust befreundet war. Armand de Guiche, Sohn einer geborenen Baronesse Rothschild, wurde wiederum zu einem der Vorbilder für die Figur des Marquis de Saint-Loup im Roman, dem Neffen des Barons Charlus, der aber auch Züge des realen Dandys Marquis Boni de Castellane sowie des Grafen Armand de Cholet trägt.[13] Der schwärmerische Schriftsteller war von der Schönheit und dem eleganten Wesen der Comtesse Greffulhe fasziniert („ihr Lachen klingt wie das Glockenspiel von Brügge“). Sie selbst erklärte gegen Ende ihres Lebens: „Seine Schmeicheleien hatten eine gewisse Klebrigkeit, die nicht meinem Geschmack entsprach.“ Auch war er stets auf der Jagd nach aktuellen Fotos von ihr, um ihre wechselnde Garderobe genau beschreiben zu können, was sie natürlich nicht wusste und irritierend fand.[14]

Die Figur der Herzogin von Guermantes ist nach dem Vorbild der Élisabeth de Greffulhe gestaltet, einige Anregungen gab jedoch auch die Comtesse Laure de Chevigné (geb. Marquise de Sade), die Proust im Salon von Geneviève Straus kennengelernt hatte und deren Gästekreis sich mit dem der Madame de Greffulhe teilweise deckte. Der kunstsinnige Esprit der Herzogin von Guermantes ist jedoch nach dem Vorbild von Madame Straus selbst geschildert.[15] Montesquiou war ebenfalls mit Proust befreundet und führte diesen auch in andere aristokratische Salons ein, die später als „die Welt der Guermantes“ (= Titel des dritten Bandes, auch „die Welt des Faubourg Saint-Germain) in der Romanfolge eingehend geschildert werden. Beim ersten Auftritt in Swanns Welt beschreibt Proust die Herzogin Oriane de Guermantes als „blonde Dame mit großer Nase, einem kleinen Leberfleck im Nasenwinkel und blauen, stechenden Augen“. In Kapitel 1 der Welt der Guermantes beobachtet der Ich-Erzähler vom Parkett der Opéra Garnier aus die Ankunft der Herzogin in ihrer Loge („einer Grotte, in deren Hintergrund wie erhabene Meerungeheuer die Halbgötter des Jockey-Clubs umherschwammen“):

„Anstatt eines wundervollen Federgeriesels, das vom Kopf der Prinzessin auf deren Hals niederflutete, anstatt eines mit Muscheln und Perlen durchwirkten Netzes, trug die Herzogin im Haar nur ein Reihergesteck, das über ihrer gebogenen Nase und den etwas hervorstechenden Augen beinahe wie der Federschopf des Vogels selbst aussah. Ihr Hals und ihre Schultern stiegen aus einer schneeigen Flut von Musselin hervor, die ein Fächer aus Schwanenfedern in leise Bewegung versetzte, ihr Kleid aber, dessen Taille einzig mit zahllosen Pailletten − entweder aus Metall in Stäbchen- oder Plättchenform oder aus Brillanten − verziert war, umschloß eng ihren Körper im strengen englischen Stil.“

Darüber hinaus wurde die Comtesse von vielen Malern und Fotografen porträtiert. Otto Wegener (1849–1924) und Nadar, bei dem sie selbst Unterricht im Fotografieren nahm, fotografierten sie mehrmals.

Gemälde
Ausstellungen
  • Madeleine Delpierre, Henriette Vannier (Hrsg.): Élegantes personnes au temps de Marcel Proust. 1890–1916. Musée du Costume de la Ville de Paris. Dezember 1968 – April 1969. Katalog. Paris: Les presses artistiques 1968.
  • Olivier Saillard, Claude Arnaud, Laurent Cotta (Hrsg.): La Mode retrouvée. Les robes trésors de la Comtesse Greffulhe. November 2015 – März 2016. Palais Galliera, Paris 2015, ISBN 978-2-7596-0305-3.[16]
Ausstellungskatalog der Roben, Porträts und Fotoporträts der Comtesse Greffulhe.
  • Proust’s Muse, The Countess Greffulhe. The Museum at the Fashion Institute of Technology, New York City. September 2016 – Januar 2017.

Literatur

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  • Anne de Cosse Brissac: La comtesse Greffulhe. Paris: Perrin 1991, ISBN 2-262-00820-5.
  • Marie Cornaz: Les princes de Chimay et la musique. Paris: La Renaissance du Livre. 2002, ISBN 2-8046-0704-6.
  • Jann Pasler: Writing through Music. Essays on Music, Culture, and Politics. Oxford 2008, ISBN 978-0-19-532489-1.
  • Annegret Fauser, Mark Evereit (Hrsg.): Music, Theater and Cultural Transfer. Paris 1830–1914. Chicago: University of Chicago Press 2009, ISBN 978-0-226-23928-6.
  • Laure Hillerin: La comtesse Greffulhe. L’ombre des Guermantes. Paris: Flammarion 2014, ISBN 978-2-08-129054-9.
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Einzelnachweise

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Commons: Élisabeth, comtesse Greffulhe – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. George D. Painter: Marcel Proust. S. 202.
  2. Siehe französischen Artikel Famille de Riquet de Caraman
  3. Siehe französischen Artikel Maison de Montesquiou
  4. Abbildung. In: Le styleet la matière. Chez la Comtesse Greffulhe. 8. Januar 2010.
  5. Alexandra Bosc: „Elle n'a pas suivi les modes, elle était faite pour les créer“, in: La Mode retrouvée, Les robes trésors de la comtesse Greffulhe. Paris 2015, S. 76–96.
  6. Ihre Förderer in der Presse waren vor allem Arthur Meyer von Le Gaulois und Gaston Calmette von Le Figaro.
  7. Greffulhe. The Correspondence of James MacNeill Whistler. Univ. of Glasgow.
  8. Mary E. Davis Ballets Russes Style: Diaghilev’s Dancers and Paris Fashion. London. Reaction books 2010, S. 24.
  9. Wiliam C. Carter: Marcel Proust. Yale Univ. Press 2000, S. 254.
  10. Music, Theatre and Cultural Transfer. 2009, S. 146.
  11. Theaterkritik in: Musica. Juli 1907.
  12. Caroline Weber: Proust's Duchess. How three celebrated women captured the imagination of fin-de-siècle Paris, New York, Vintage books, 2018, S. 14.
  13. William Howard Adams: Prousts Figuren und ihre Vorbilder. Insel Taschenbuch 2640, Frankfurt 2000, S. 118, 121ff., 106
  14. Mina Curtiss, Other People's Letters, Boston, Houghton Mifflin Company, 1978, S. 176.
  15. Antoine Compagnon in der Anmerkung zu Seite 172 der Folio-Ausgabe von Du Coté de chez Swann der Éditions Gallimard von 1987.
  16. 'La Mode retrouvée' exhibition at Palais Galliera, Vogue, éd. Paris, 2015, abgerufen am 9. März 2019.