3-Dimethylaminoacrolein

chemische Verbindung

3-Dimethylaminoacrolein ist eine stabile und wesentlich untoxischere Vorstufe für den genotoxischen, mutagenen und potentiell auch beim Menschen karzinogenen Malondialdehyd.[6] Die Verbindung kann als vinyloges Dimethylformamid (DMF) aufgefasst werden und vereinigt die Funktionalitäten eines ungesättigten Aldehyds und eines Enamins. Daher eignet sich 3-Dimethylaminoacrolein und die daraus abgeleiteten Vinamidine (zusammengezogen aus vinyloge Amidine) bzw. Vinamidiniumsalze (substituierte 1,5-Diazapentadiene)[7] als reaktiver Molekülbausteine insbesondere zum Aufbau von stickstoffhaltigen Heterocyclen, wie z. B. von Pyridinen, Pyrimidinen, Pyrrolen oder Pyrazolen.[8]

Strukturformel
Strukturformel von 3-Diaminoacrolein
Allgemeines
Name 3-Dimethylaminoacrolein
Andere Namen
  • 3-(Dimethylamino)acrylaldehyd
  • 3-(Dimethylamino)-2-propenal
Summenformel C5H9NO
Kurzbeschreibung

klare, schwachgelbe[1] bis dunkelbraune Flüssigkeit[2]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 927-63-9
EG-Nummer 213-157-7
ECHA-InfoCard 100.011.962
PubChem 638320
ChemSpider 553863
Wikidata Q31134235
Eigenschaften
Molare Masse 99,13 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte
Siedepunkt
  • 91 °C bei 0,1 kPa[1]
  • 133–144 °C[3]
  • 270–273 °C[2]
Löslichkeit

leicht löslich in Wasser,[3] in Methanol[4] und in 1,2-Dichlorethan[5]

Brechungsindex

1,584 – 1,588 bei 20 °C (589 nm)[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]
Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 314
P: 280​‐​305+351+338​‐​310[2]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Vorkommen und Darstellung

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Bei der Addition von Dimethylamin an die Dreifachbindung von Propargylaldehyd im Sinne einer Vinylierung nach Reppe entsteht 3-Dimethylaminoacrolein in 88%iger Ausbeute als gelbes Öl.[3]

 
Synthese von 3-Dimethylaminoacrolein aus Propargylaldehyd

Wegen seiner Explosionsneigung[9] ist Propargylaldehyd ein unzweckmäßiger Ausgangsstoff für industrielle Synthesen von 3-(Dimethylamino)-2-propenal.

Besser geeignet sind Vinylether, wie z. B. Ethylvinylether,[10] die mit dem aus Dimethylformamid (DMF) und Phosgen gebildeten Vilsmeier-Reagenz in 68%iger Ausbeute zu 3-Ethoxypropenyliden-dimethylammonium-chlorid, einem Enolether-Iminiumsalz reagieren. Im schwach alkalischen Milieu wird daraus 3-Dimethylaminoacrolein gebildet, das bei Einwirkung starker Basen, wie z. B. Natronlauge, Dimethylamin unter Bildung von Malondialdehyd abspaltet.

 
Synthese von 3-Diaminoacrolein nach Z. Arnold

Mit dem einfacher zu handhabenden Isobutylvinylether, DMF und Phosgen werden bei kontinuierlicher Prozessführung höhere Ausbeuten (>80 %) des Iminiumsalzes erzielt.[4], aus dem mit verdünnter Natronlauge das 3-Dimethylaminoacrolein in 86%iger Ausbeute erhalten wird.[11]

 
Synthese von 3-Dimethylaminoacrolein mit Isobutylvinylether

Statt mit Phosgen kann das Iminiumsalz auch mit einem anorganischen Säurechlorid, wie z. B. Phosphoroxychlorid oder einem organischen Säurechlorid, wie z. B. Oxalylchlorid hergestellt werden.

Eigenschaften

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3-Dimethylaminoacrolein ist eine klare, hellgelbe und gut wasserlösliche Flüssigkeit, die schwach alkalisch reagiert und mit Eisen(III)-chlorid eine tiefrote Färbung ergibt. Die Verbindung „bewirkt eine Aufhebung der hypnotischen Wirkung des Morphins bei Mäusen“ und besitzt „stimulierende Wirkung am Menschen“.[3]

Verwendung

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Reaktionen mit 3-Dimethylaminoacrolein

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3-Dimethylaminoacrolein kann zur Einführung ungesättigter und reaktiver C3-Gruppen in CH-acide und nukleophile Verbindungen eingesetzt werden.

Die aktivierte Aldehydgruppe des 3-Dimethylaminoacroleins reagiert quantitativ mit Dialkylsulfaten, wie z. B. Dimethylsulfat unter Bildung von reaktionsfähigen, aber instabilen Addukten[12], die bei 110 °C wieder in die Edukte zerfallen. Die Addukte lassen sich leicht mit Nukleophilen wie Alkoholaten oder Aminen zu den entsprechenden vinylogen Amid-Acetalen bzw. Amidinen umsetzen.[13]

 
Reaktionen vinyloger Amidine nach Bredereck

Durch Reaktion mit Natriummethanolat entsteht in 62%iger Ausbeute das stabile 3-Dimethylaminoacrolein-dimethylacetal, das mit CH-aciden Verbindungen, wie z. B. Malodinitril zu 1,3-Butadien-Derivaten oder mit Cyclopentadien zu einem Aminofulven reagiert.

Mit Guanidin bildet 3-Dimethylaminoacrolein fast quantitativ 2-Aminopyrimidin.[4]

 
Synthese von 2-Aminopyrimidin aus 3-Dimethylaminoacrolein

Das mit 2-Naphthylamin und dem Dimethylsulfat-Addukt entstehende Amidin kann mit Natriummethanolat zum Benzo[f]chinolin (1-Azaphenanthren) cyclisiert werden.[14]

 
Synthese von Benzo[f]chinolin mit 3-Dimethylaminoacrolein

N-Methylpyrrol bildet mit 3-Dimethylaminoacrolein und POCl3 in 49%iger Ausbeute das 3-(2-N-Methylpyrrol)propenal.[15]

 
Synthese von substituiertem Pyrrol

Analog verläuft die Herstellung einer Zwischenstufe des Cholesterinsenkers Fluvastatin bei der Reaktion eines fluorarylsubstituierten N-IsopropylIndols mit 3-Dimethylaminoacrolein und POCl3.[16][17]

 
Synthese einer Fluvastatin-Zwischenstufe mit 3-Dimethylaminoacrolein

2,2'-Bisindole können bei der Reaktion mit 3-Dimethylaminocrolein und Oxalylchlorid durch das (wie im vorangehenden Beispiel) intermediär entstehenden 1-Chlor-3-(N,N-dimethylamino)propeniumchlorid unter Bildung einer Siebenringstruktur verbrückt werden.[18]

 
Synthese eines verbrückten Bisindols

Gelegentlich wird auch das Iminiumsalz aus der Reaktion des Vilsmeier-Reagenz und dem Vinylether als Vorstufe des 3-Dimethylaminoacroleins direkt zur Synthese, z. B. von Pyrazolen eingesetzt.[19]

 
Pyrazolsynthese mit 3-Dimethylaminoacrolein

Bei Einsatz von Hydrazinhydrat entsteht der Grundkörper Pyrazol in 84%iger Ausbeute.

Reaktionen zu Vinamidiniumsalzen

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Die Umsetzung von 3-Dimethylaminoacrolein mit Dimethylammonium-tetrafluoroborat erzeugt praktisch quantitativ das Vinamidiniumsalz 3-Dimethylaminoacrolein-dimethyliminium-tetrafluoroborat, das als Perchloratsalz besser kristallisiert und mit Cyclopentadien in Gegenwart von Natriumamid in flüssigem Ammoniak ebenfalls zum Aminofulvenderivat reagiert.[20]

Dasselbe Vinamidiniumsalz 1,1,5,5-Tetramethyl-1,5-diazapentadieniumchlorid entsteht auch bei der Reaktion von 3-Dimethylaminoacrolein mit Dimethylamin-hydrochlorid in 70%iger Ausbeute.[21]

Die in zwei Stufen erfolgende Einwirkung von Dimethylamin und 70%iger Perchlorsäure auf 3-Dimethylaminoacrolein bildet ebenfalls das hier als 1,3-Bis(dimethylamino)trimethiniumperchlorat bezeichnete Iminiumsalz.[22]

 
Synthese des 1,3-Bis(dimethylamino)trimethinium perchlorats

Lactone, wie z. B. γ-Butyrolacton oder cyclische Ketone, wie z. B. Cyclopentanon bilden mit dem Vinamidiniumsalz aus 3-Dimethylaminoacrolein und Dimethylamin-hydrochlorid in 91%iger bzw. 88%iger Ausbeute die entsprechenden Dienaminone.[23]

 
Reaktion von 3-Dimethylaminoacrolein mit gamma-Butyrolacton

Das Vinamidiniumsalz 1,1,5,5-Tetramethyl-1,5-diazapentadieniumchlorid reagiert mit Heterocyclen, die CH-acide Gruppen tragen, unter Bildung der entsprechenden Dienamine, die mit Basen zu anellierten Heteroaromaten, wie z. B. Carbazole, Benzofurane oder Benzothiophene cyclisiert werden können.[7]

 
Synthese von Carbazolen und Benzothiophenen

N-Alkylpyrrole werden in guter Ausbeute (86 %) bei der Umsetzung des Vinamidiniumsalzes mit Glycinestern[24], substituierte Thiophene (bis 87 %) bei der Umsetzung mit Mercaptoessigsäureestern erhalten.[25]

 
Synthese von Thiophenen und Pyrrolen

Von industriellem Interesse ist die Verwendung von 3-Dimethylaminoacrolein zur Synthese von 2-Chlornicotinsäure (2-CNA) als wichtigem Edukt für Agro- und Pharmawirkstoffe. Hierzu wird 3-Dimethylaminoacrolein mit Cyanessigsäureethylester[26] zum 2-Chlornicotinsäureethylester bzw. mit Cyanessigsäure-n-butylester zum 2-Chlornicotinsäure-n-butylester[27] in einer Knoevenagel-Reaktion umgesetzt.

 
Synthese von 2-Chlornicotinsäure mit 3-Dimethylaminoacrolein

Die anfallenden Ester der 2-Chlorpyridincarbonsäure können glatt zur 2-Chlornicotinsäure hydrolysiert werden.

Einzelnachweise

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  1. a b c d Eintrag zu 3-(Dimethylamino)acrolein bei TCI Europe, abgerufen am 15. Juni 2017.
  2. a b c d Datenblatt 3-(Dimethylamino)acrolein 90 % bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 15. Juni 2017 (PDF).
  3. a b c d Patent DE944852: Verfahren zur Herstellung von Derivaten des 3-Amino-acroleins. Angemeldet am 25. August 1955, veröffentlicht am 28. Juni 1956, Anmelder: Badische Anilin- & Soda-Fabrik AG, Erfinder: F. Wille.
  4. a b c Patent DE2424373: Verfahren zur Herstellung von Derivaten des Malondialdehyds. Angemeldet am 20. Mai 1975, veröffentlicht am 11. Dezember 1975, Anmelder: BASF AG, Erfinder: M. Decker, W. Schönleben, H. Toussaint, H. Hoffmann.
  5. Patent US5780622: Methods of synthesizing 5,15-diarylbenzochlorine-7-one. Angemeldet am 11. August 1997, veröffentlicht am 14. Juli 1998, Anmelder: The University of British Columbia, Erfinder: D. Dolphin, R. Boyle.
  6. L. J. Niederhofer, J. S. Daniels, C. A. Rouzer, R. E. Greene, L. J. Marnett: Malondialdehyde, a product of lipid peroxidation, is mutagenic in human cells. In: J. Biol. Chem. Band 278, 2003, S. 31426–31433, doi:10.1074/jbc.M212549200.
  7. a b D. Lloyd, H. McNab: Vinamidine and Vinamidinium-Salze – Beispiele für stabilisierte Push-Pull-Alkene. In: Angew. Chem. Band 88, Nr. 15, 1976, S. 496–504, doi:10.1002/ange.19760881503.
  8. S. Makhseed, H. M. E. Hassaneen, M. H. Elnagdi: Studies with 2-(Arylhydrazono)aldehydes: Synthesis and Chemical Reactivity of Mesoxalaldehyde 2-Arylhydrazones and of Ethyl 2-Arylhydrazono-3-oxopropionates. In: Z. Naturforsch. 62b, 2007, S. 529–536 (znaturforsch.com [PDF]).
  9. P. Perlmutter: Propargyl Aldehyde. In: e-EROS Encyclopedia of Reagents for Organic Synthesis. 2001, doi:10.1002/047084289X.rp262m.
  10. Z. Arnold, F. Sorm: Synthetische Reaktionen von Dimethylformamid. I. Allgemeine Synthese von β-Dialdehyden. In: Collect. Czech. Chem. Commun. Band 23, Nr. 3, 1958, S. 452–461, doi:10.1135/cccc19580452.
  11. Patent DE19825200C1: Verfahren zur Herstellung von 3-Aminoacroleinderivaten. Angemeldet am 5. Juni 1998, veröffentlicht am 18. November 1999, Anmelder: BASF AG, Erfinder: D. Golsch, M. Keil, H. Isak.
  12. H. Bredereck, F. Effenberger, G. Simchen: Säureamid-Reaktionen, XXXII. Über Säureamid-Dialkylsulfat-Komplexe. In: Chem. Ber. Band 96, Nr. 5, 1963, S. 1350–1355, doi:10.1002/cber.19630960526.
  13. H. Bredereck, F. Effenberger, D. Zeyfang: Synthese und Reaktionen vinyloger Amidacetale und Amidine. In: Angew. Chem. Band 77, Nr. 5, 1965, S. 219, doi:10.1002/ange.19650770511.
  14. C. Jutz, C. Jutz, R. M. Wagner: Die synchrone Sechs-Elektronen-Cyclisierung von Hexatrien-Systemen als neues Syntheseprinzip zur Darstellung von Aromaten und Heteroaromaten. In: Angew. Chem. Band 84, Nr. 7, 1972, S. 299–302, doi:10.1002/ange.19720840714.
  15. F. W. Ulrich, Eberhard Breitmaier: Vinyloge Vilsmeier-Formylierung mit 3-(N,N-Dimethylamino)-acroleinen. In: Synthesis. Band 8, 1983, S. 641–645, doi:10.1055/s-1983-30457.
  16. D. Sriram, P. Yogeeswari: Medicinal Chemistry. 2. Auflage. Pearson, Delhi 2010, ISBN 978-81-317-3144-4, S. 364.
  17. J.T. Zacharia, T. Tanaka, M. Hagashi: Facile and highly enenatioselective synthesis of (+)- and (−)-fluvastatin and their analogues. In: J. Org. Chem. Band 75, Nr. 22, 2010, S. 7514–7518, doi:10.1021/jo101542y.
  18. Y. Kumai, R. Miyatake, Y. Sugeno, A. Ohta, M. Oda: Synthesis and spectroscopic properties of 1H-cyclohepta[2,1-b:3,4-b']diindole and molecular structure of its protonated species. In: Amer. J. Org. Chem. Band 5, Nr. 1, 2015, S. 10–13, doi:10.5923/j.ajoc.20150501.02.
  19. Patent EP0731094A1: Verfahren zur Herstellung von Pyrazolen. Angemeldet am 23. Februar 1996, veröffentlicht am 11. September 1996, Anmelder: Bayer AG, Erfinder: H.-J. Wroblowsky, R. Lantzsch.
  20. Z. Arnold, J. Zemlicka: Reaktionen der Formamidinium-salze und ihrer Vinyloge mit Carbanionen. In: Collect. Czech. Chem. Commun. Band 25, Nr. 5, 1960, S. 1302–1307, doi:10.1135/cccc19601302.
  21. V. Nair, C. S. Cooper: Chemistry of 1,5-diazapentadienium (vinamidinium) salts: alkylation reactions to multifunctional dienamines and dienaminones. In: J. Org. Chem. Band 46, Nr. 23, 1981, S. 4759–4765, doi:10.1021/jo00336a027.
  22. Z. Arnold, D. Dvorak, M. Havranek: Convenient preparation of 1,3-Bis(dimethylamino)trimethinium perchlorate, tetrafluoroborate and hexafluorophosphate. In: Collect. Czech. Chem. Commun. Band 61, Nr. 11, 1996, S. 1637–1641, doi:10.1135/cccc19961637.
  23. V. Nair, C. S. Cooper: Selective alkylation reactions with vinamidinium salts. In: Tetrahedron Lett. Band 21, Nr. 33, 1980, S. 3155–3158, doi:10.1016/S0040-4039(00)77433-8.
  24. M. T. Wright, D. G. Carroll, T. M. Smith, S. Q. Smith: Synthesis of alkylpyrroles by use of a vinamidinium salt. In: Tetrahedron Lett. Band 51, Nr. 31, 2010, S. 4150–4152, doi:10.1016/j.tetlet.2010.06.009.
  25. R. T. Clemens, S. Q. Smith: The application of vinamidinium salts to the synthesis of 2,4-disubstituted thiophenes. In: Tetrahedron Lett. Band 46, Nr. 8, 2005, S. 1319–1320, doi:10.1016/j.tetlet.2004.12.113.
  26. Patent EP0372654A2: Preparation of 2-chloropyridine 3-carboxylic acid esters. Angemeldet am 5. Dezember 1989, veröffentlicht am 13. Juni 1990, Anmelder: Shell Internationale Research Maatschappij B.V., Erfinder: L. Schröder.
  27. Patent WO0007989A1: Verfahren zur Herstellung von 2-Halogennikotinsäurederivaten und 2-Halogennikotinsäure-n-butylester als Zwischenprodukt. Angemeldet am 14. Juli 1999, veröffentlicht am 17. Februar 2000, Anmelder: BASF AG, Erfinder: D. Golsch, M. Keil, H. Isak, H. Mayer.