In der Mathematik treten inverse Elemente bei der Untersuchung von algebraischen Strukturen auf. Solch eine Struktur besteht aus einer Menge und einer in ihr definierten zweistelligen Verknüpfung (Rechenoperation). In diesem Kontext heißt das: Wenn man ein beliebiges Element der Menge und sein Inverses mit der Rechenoperation verknüpft, erhält man immer das sogenannte neutrale Element als Ergebnis.

Umgangssprachlich könnte man das inverse Element auch das „umgekehrte“ oder „entgegengesetzte“ Element nennen. Dabei darf man aber nicht vergessen, in welchem Kontext man sich befindet, denn es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, eine Menge bzw. eine Rechenoperation zu definieren.

Definition

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Sei   eine Menge mit einer zweistelligen Verknüpfung   und einem neutralen Element  . Seien  .

Ist zunächst keine Kommutativität gegeben, d. h. es gilt lediglich  , so heißt   rechtsinvertierbar mit dem rechtsinversen Element  , und es heißt   linksinvertierbar mit dem linksinversen Element  .

Existiert hingegen für ein Element   ein Element   mit  , so heißt   nur invertierbar oder beidseitig invertierbar mit dem inversen Element  .

Ein beidseitig inverses Element wird bei additiver Schreibweise der Verknüpfung häufig als   geschrieben, bei multiplikativer Schreibweise häufig als  .

Eigenschaften

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Die Verknüpfung   sei als assoziativ vorausgesetzt, d. h.   sei ein Monoid.

  • Ist ein Element   sowohl links- als auch rechtsinvertierbar, dann stimmen alle links- und rechtsinversen Elemente von   überein. Insbesondere ist   beidseitig invertierbar, und das zu einem beidseitig invertierbaren Element inverse Element ist eindeutig bestimmt.
  • Das Inverse des Inversen ist das ursprüngliche Element, also  . Die einstellige Verknüpfung   ist also eine Involution auf der Menge der beidseitig invertierbaren Elemente.
  • Ist ein Produkt   rechtsinvertierbar, so ist auch   rechtsinvertierbar; ist   linksinvertierbar, so ist auch   linksinvertierbar. Sind   und   beidseitig invertierbar, so auch  , und es gilt
 
Diese Eigenschaft wird gelegentlich Socke-Schuh-Regel (englisch: shoe(s)-socks property) oder Hemd-Jacken-Regel genannt: Beim Ausziehen von Schuhen und Socken oder Hemd sowie Jacke muss man die Reihenfolge des Anziehens umkehren.
  • Die beidseitig invertierbaren Elemente eines Monoids bilden eine Gruppe. Dies folgt aus den beiden vorangegangenen Eigenschaften. Diese Gruppe wird als Einheitengruppe bezeichnet. Dieser Begriff ist vor allem dann üblich, wenn man vom multiplikativen Monoid eines unitären Ringes spricht.
  • Ein Monoid-Homomorphismus   bildet Inverse auf Inverse ab, d. h., ist   invertierbar, so ist auch   invertierbar, und es gilt
 

Gilt in einer algebraischen Struktur   mit neutralem Element das Assoziativgesetz nicht allgemein, so kann es sein, dass ein Element mehrere Linksinverse und mehrere Rechtsinverse hat.

Beispiele

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Additiv Inverses

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In den bekannten Zahlenmengen (natürliche Zahlen einschließlich der Null 0, rationale Zahlen usw.) hat man eine Addition mit neutralem Element 0. Das additiv Inverse einer Zahl   ist die Zahl, die zu   addiert 0 ergibt, also ihr Entgegengesetztes oder auch ihre Gegenzahl  .
Addiert man zu einem Term  , fügt man eine so genannte konstruktive oder produktive Null hinzu.

Zum Beispiel ist   das Entgegengesetzte von  , denn  . Aus demselben Grund ist das Entgegengesetzte von   wiederum  , also ist  . Das gilt allgemein für alle Zahlen.

Daher ist das Entgegengesetzte einer Zahl nicht immer eine negative Zahl, also eine Zahl  . Für negative Zahlen   gilt:   d. h. das Entgegengesetzte einer negativen Zahl ist eine positive Zahl. Das Entgegengesetzte einer positiven Zahl ist jedoch stets eine negative Zahl.

Das Entgegengesetzte erhält man in diesen Fällen stets durch Multiplikation mit −1, d. h.  .

Allgemein existiert das additiv inverse Element regelmäßig in additiv geschriebenen abelschen Gruppen  [1]. Die Hauptbeispiele hierfür sind:

Daneben existieren Zahlenmengen, in denen zwar eine Addition ausführbar ist, in denen jedoch keine additiv inversen Elemente existieren. Solche sind z. B.

Man kann die ganzen Zahlen aus den natürlichen Zahlen konstruieren, indem man formal die Negativen (und 0, falls 0 nicht als natürliche Zahl definiert ist) hinzunimmt und passende Rechenregeln definiert. So gesehen, hat jede natürliche Zahl ein Entgegengesetztes, das gleichzeitig sein Negatives ist. Da dieses jedoch (außer für 0, wenn 0 als natürliche Zahl definiert ist) keine natürliche Zahl ist, ist die Menge der natürlichen Zahlen nicht abgeschlossen unter der Entgegensetzung bzw. der Subtraktion (Addition mit einem Entgegengesetzten).

Multiplikativ Inverses

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In den oben angesprochenen Zahlenmengen hat man auch eine Multiplikation mit neutralem Element 1. Das multiplikativ Inverse einer Zahl a ist die Zahl, die mit a multipliziert 1 ergibt. Es ist also der Kehrwert von a.

Zum Beispiel ist der Kehrwert von 7 die rationale Zahl 1/7; in den ganzen Zahlen hat 7 jedoch kein multiplikativ Inverses.

Ist allgemein ein Ring R gegeben, dann heißen die Elemente, die multiplikativ Inverse haben, Einheiten des Rings. In der Theorie der Teilbarkeit unterscheidet man meist nicht zwischen Ringelementen, die sich multiplikativ um eine Einheit unterscheiden (d. h. Elementen  ,   mit   =   für eine Einheit  ).

In Restklassenringen kann man das multiplikative Inverse mit Hilfe des erweiterten euklidischen Algorithmus berechnen, falls es existiert.

Umkehrfunktion

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Betrachte die Menge   aller Funktionen   von einer Menge   nach  . Auf dieser Menge hat man die Komposition (Hintereinanderausführung) als Verknüpfung, definiert durch

 .

Die Komposition ist assoziativ und hat die identische Abbildung   als neutrales Element.

Ist nun eine Funktion   bijektiv, dann ist die Umkehrfunktion   das inverse Element von   in  .

Man verallgemeinert diesen Begriff auf bijektive Funktionen   und erhält eine Umkehrfunktion   mit   und  

Ist A ein Körper wie z. B. die reellen Zahlen, dann darf man die Umkehrfunktion   nicht mit dem Kehrwert   verwechseln! Die Umkehrfunktion ist nur definiert, wenn   bijektiv ist, und der Kehrwert ist nur definiert, wenn   keine Nullstellen hat. Selbst wenn   eine Teilmenge von   bijektiv auf sich abbildet, stimmen Umkehrfunktion und Kehrwert im Allgemeinen nicht überein.

Zum Beispiel hat die Funktion   eine Umkehrfunktion   und einen Kehrwert  , die jedoch nicht übereinstimmen. (Dabei ist   die Menge der positiven reellen Zahlen.)

Selbstinverse Elemente

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In einem Monoid   mit dem neutralen Element   heißt ein Element   selbstinvers, wenn gilt:

 
  • Das neutrale Element ist in jedem Monoid selbstinvers:  
  • In einer Verknüpfungstafel für ein Monoid erkennt man die selbstinversen Elemente daran, dass auf der Diagonalen das neutrale Element steht.
    • Beispiel:
  e a b c
e e a b c
a a e c b
b b c e a
c c b a e
  • Ein Monoid, in dem jedes Element selbstinvers ist, ist immer eine kommutative Gruppe.
    • Beweis:
Da jedes Element ein inverses Element (nämlich sich selbst) besitzt, ist das Monoid eine Gruppe.
Da mit   auch  , ist auch   selbstinvers, so dass gilt
 
Ebenso gilt aber auch (wegen des Assoziativgesetzes)
 
Wegen der Eindeutigkeit des (rechts-)inversen Elements in einer Gruppe (siehe oben) muss deshalb gelten
 

Verallgemeinerung: Definitionen ohne neutrales Element

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Man kann inverse Elemente auch ohne die Existenz eines neutralen Elementes, also in einem beliebigen Magma oder einer Halbgruppe definieren.

(schwache) Inverse in einem Magma

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Gibt es in einem beliebigen Magma   für ein   ein eindeutiges Element  , so dass für alle   gilt:

 

dann nennt man   (schwach) invertierbar und   das (schwache) Inverse von  . Ein Magma   in dem alle   (schwach) invertierbar sind, hat die Inverseneigenschaft (engl. inverse property[2]), und man nennt   dann Quasigruppe mit Inverseneigenschaft.

Ein Magma mit Inverseneigenschaft ist eine Quasigruppe (Beweis siehe Quasigruppe). Eine Halbgruppe, die die Inverseneigenschaft hat, ist demnach sogar bereits eine Gruppe.

Gemäß dieser Definition operieren   und   zusammen wie ein neutrales Element auf jedem Element  , aber es muss nicht unbedingt ein explizites, neutrales Element geben.

In einer Halbgruppe   die die Inverseneigenschaft hat, gilt jedoch wegen des Assoziativgesetzes für alle  :

 

also ist   das (eindeutige) neutrale Element von   In (Halb-)Gruppen stimmen also beide Definitionen von inversen Elementen überein, in Quasigruppen nicht unbedingt.

(überkreuzt) Inverse in einem Magma

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Gibt es in einem beliebigen Magma   für ein   ein Element  , so dass für alle   gilt:

 

dann nennt man   (überkreuzt) invertierbar und   ein (überkreuzt) Inverses (engl. crossed inverse[2]) von  .

Ein Magma   in dem alle   ein (überkreuzt) Inverses haben, hat die Überkreuzt-Inverseneigenschaft (engl. crossed inverse property, CIP), und man nennt   dann auch CIP-Magma (engl. CIP-groupoid[3]).

In einem CIP-Magma ist das (überkreuzt) Inverse für ein Element eindeutig bestimmt.[3] Außerdem ist ein CIP-Magma auch immer eine Quasigruppe (CIP-Quasigruppe).[3]

Eine Abelsche Gruppe hat die Überkreuzt-Inverseneigenschaft, eine nicht-kommutative Gruppe nicht unbedingt:

 

(relativ) Inverse in einer Halbgruppe

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In einer inversen Halbgruppe   wird ein (relatives) Inverses (engl. relative inverse[4])   zu einem   dadurch definiert, dass gilt:

  und  .

Diese Definition ist noch schwächer als in einer Quasigruppe mit Inverseneigenschaft, da ansonsten die inverse Halbgruppe bereits eine Gruppe wäre.

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. Bartel L. van der Waerden: Algebra. 9. Auflage. Band 1. Springer-Verlag, Berlin [u. a.] 1993, ISBN 3-540-56799-2, S. 14.
  2. a b Richard Hubert Bruck: A survey of binary systems (= Ergebnisse der Mathematik und Ihrer Grenzgebiete. NF20). 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 1971, ISBN 978-3-662-42837-5, S. 111.
  3. a b c V.Izbash, N. Labo: Crossed-inverse-property groupoids (= Buletinul Academiei de Stiinte a Republicii Moldova. Matematica. Band 2(54)). 2007, ISSN 1024-7696, S. 101–106.
  4. Richard Hubert Bruck: A survey of binary systems (= Ergebnisse der Mathematik und Ihrer Grenzgebiete. NF20). 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 1971, ISBN 978-3-662-42837-5, S. 25.