Referendum in Frankreich 1988 zur Selbstbestimmung Neukaledoniens

Am 6. November 1988 fand ein Referendum in Frankreich 1988 zur Selbstbestimmung Neukaledoniens statt. Abgestimmt wurde über das sogenannte Matignon-Abkommen, in dem sich die Streitparteien in Neukaledonien geeinigt hatten, nach einer zehnjährigen Übergangsphase ein Referendum über die Unabhängigkeit Neukaledoniens von Frankreich abzuhalten. 80 Prozent der Abstimmenden stimmten dem Abkommen zu. Die Stimmbeteiligung lag bei nur 36,09 Prozent.

Historischer Hintergrund

Bearbeiten

Neukaledonien wurde im Jahr 1853 auf Geheiß Kaiser Napoleons III. durch Frankreich als Kolonie in Besitz genommen. Die Franzosen stießen auf erheblichen Widerstand der einheimischen melanesischen Bevölkerung, der Kanaken, die aber letztlich unterworfen wurde. Durch die französische Kolonialverwaltung wurde die Emigration von Siedlern aus dem französischen Mutterland gefördert. Zum Teil wanderten, gefördert durch die französische Kolonialverwaltung, auch Siedler aus anderen Regionen zu, so z. B. aus Polynesien, aus Indonesien, China und Indien. Die Einwanderer und deren Nachkommen machten schließlich mehr als die Hälfte der Inselbevölkerung aus, so dass die kanakischen Ureinwohner zur Minderheit im eigenen Land wurden.

 
Parteifahne der FLNKS

Nach der Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945 wurde Neukaledonien 1946 durch die Resolution 66 (I) vom 14. Dezember 1946 der UN-Generalversammlung in die Liste der zu entkolonisierenden Territorien (Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung) eingetragen.[1] Die französische Regierung kam zunächst der in der UN-Charta (Artikel 73(e)) festgehaltenen Verpflichtung nach, regelmäßige Informationen über den Status des Territoriums an den UN-Generalsekretär zu übermitteln.[2] Am 27. Oktober 1946 wurde Neukaledonien jedoch zum französischen Übersee-Territorium erklärt und 1947 von der UN-Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung gestrichen. Ab dem 1970er Jahren kam es zunehmend zu gewalttätigen Aktionen der Unabhängigkeitsbewegung unter Führung der Kanakischen sozialistischen Front der nationalen Befreiung (FLNKS). Die Vereinten Nationen setzten daraufhin mit der Resolution 41/41 von 2. Dezember 1986 der UN-Generalversammlung Neukaledonien erneut auf die Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung.[1] Die französische Regierung reagierte darauf, indem sie am 13. September 1987 ein Referendum in Neukaledonien über die mögliche Unabhängigkeit abhalten ließ. Dieses Referendum wurde von der FLNKS und der großen Mehrheit der kanakischen Bevölkerung boykottiert. Bei niedriger Wahlbeteiligung sprach sich eine große Mehrheit von 98 % der Abstimmenden für einen Verbleib bei Frankreich aus.[3] Die Vereinten Nationen erkannten das Referendum nicht an und beharrten weiter auf der Klassifizierung Neukaledoniens als „nicht selbstregiertes Gebiet“.[4]

Am 21. August 1988 wurde im Hôtel Matignon ein Abkommen zwischen der französischen Regierung unter Premierminister Michel Rocard, der loyalistischen RPCR (Le Rassemblement pour la Calédonie dans la France) und der die Unabhängigkeit befürwortenden kanakischen FLNKS geschlossen. Dieses so genannte Matignon-Abkommen (Accords de Matignon-Oudinot) sah zum einen eine weitgehende Amnestie für terroristische Akte in den vergangenen Jahren in Neukaledonien vor. Zum anderen legte es eine Art Zeitplan fest, mit der Neukaledonien auf die potentielle Unabhängigkeit vorbereitet werden sollte. In 10 Jahren (im Jahr 1998) sollte ein Unabhängigkeitsreferendum auf der Insel stattfinden. Zuvor sollten mit französischer finanzieller Hilfe die kanakischen, wirtschaftlich stark unterentwickelten Regionen Neukaledoniens in ihrer Entwicklung gefördert werden.[4]

Nach dem erzielten Übereinkommen setzte Präsident François Mitterrand per Dekret vom 5. Oktober 1988 in ganz Frankreich eine Volksabstimmung über den Vertrag an.[5]

Frage des Referendums

Bearbeiten

Die den Wählern gestellte Frage lautete:

« Approuvez-vous le projet de loi soumis au peuple français par le président de la République et portant dispositions statutaires et préparatoires à l'autodétermination de la Nouvelle-Calédonie ? »

„Stimmen Sie dem Gesetzesprojekt, das vom Präsidenten der Republik dem französischen Volk vorgelegt wurde, und das die gesetzlichen und vorbereitenden Bestimmungen für die Selbstbestimmung Neukaledoniens enthält, zu?“

Frage des Referendums vom 6. November 1988

Die Frage war mit „Oui“ oder „Non“ zu beantworten.

Ergebnis

Bearbeiten

Die Frage des Referendums wurde in allen Départements mit eindeutiger Mehrheit befürwortet. 80 Prozent der Abstimmenden stimmten mit „Ja“. Die Wahlbeteiligung lag mit 36,9 Prozent auf einem sehr niedrigen Niveau. Die einzige Verwaltungseinheit, in der eine Wahlbeteiligung über 50 % erzielt wurde, war Neukaledonien. In Neukaledonien war die Zustimmung mit 57 % auch mit Abstand die niedrigste. Die Zahl der ungültigen Stimmen lag mit 11,8 % ungewöhnlich hoch.[5]

 
Mehrheiten nach Départements und überseeischen Besitzungen
 
Wahlbeteiligung nach Départements und überseeischen Besitzungen
Département Wahl-
berechtigte
Wahl-
beteiligung
Prozent
Ja[Anm. 1]
Prozent
Nein[Anm. 1]
Prozent
Ungültige[Anm. 1]
Ain 284.300 32,5 81,9 18,1 11,8
Aisne 364.127 37,7 77,9 22,1 12,5
Allier 264.623 38,4 84,0 16,0 13,1
Alpes-de-Haute-Provence 96.967 41,1 80,6 19,4 12,5
Hautes-Alpes 80.300 40,0 81,4 18,6 13,4
Alpes-Maritimes 643.637 32,9 67,7 32,3 10,3
Ardèche 202.780 39,1 84,2 15,8 13,6
Ardennes 193.030 34,5 80,1 19,9 12,1
Ariège 107.481 45,3 85,7 14,3 9,8
Aube 191.545 34,1 77,0 23,0 13,9
Aude 215.477 46,1 83,5 16,5 10,7
Aveyron 211.869 41,8 85,7 14,3 18,0
Bouches-du-Rhône 1.080.093 35,2 72,5 27,5 8,5
Calvados 413.410 36,8 81,2 18,8 11,3
Cantal 124.564 31,6 82,1 17,9 15,1
Charente 250.224 37,9 83,2 16,8 13,4
Charente-Maritime 379.295 34,9 81,2 18,8 12,0
Cher 224.143 37,5 81,2 18,8 13,3
Corrèze 184.358 41,0 86,1 13,9 15,7
Corse-du-Sud 91.445 24,1 81,4 18,6 4,6
Haute-Corse 113.436 26,1 83,9 16,1 4,9
Côte-d’Or 312.042 35,0 77,6 22,4 11,8
Côtes-du-Nord 411.798 41,3 86,8 13,2 12,0
Creuse 110.521 35,3 86,3 13,7 13,6
Dordogne 300.424 44,0 81,4 18,6 15,3
Doubs 306.255 38,1 82,2 17,8 12,1
Drôme 274.289 38,2 81,6 18,4 12,1
Eure 335.094 36,8 77,6 22,4 14,0
Eure-et-Loir 255.619 38,4 77,1 22,9 14,0
Finistère 613.327 37,7 85,3 14,7 10,4
Gard 392.983 36,7 79,6 20,4 10,4
Haute-Garonne 581.674 44,0 81,6 18,4 10,2
Gers 137.488 42,1 82,9 17,1 13,7
Gironde 772.582 38,5 79,9 20,1 10,3
Hérault 514.159 37,7 77,0 23,0 9,1
Ille-et-Vilaine 530.669 37,6 85,4 14,6 11,3
Indre 181.070 39,6 80,5 19,5 15,0
Indre-et-Loire 350.024 37,8 80,6 19,4 12,2
Isère 611.554 36,4 84,3 15,7 10,0
Jura 172.851 38,3 82,5 17,5 14,1
Landes 232.844 43,6 82,2 17,8 13,3
Loir-et-Cher 215.621 40,0 78,7 21,3 14,5
Loire 475.522 33,9 83,4 16,6 12,6
Haute-Loire 155.670 35,5 83,8 16,2 16,2
Loire-Atlantique 703.244 37,7 85,1 14,9 11,0
Loiret 363.483 38,5 78,2 21,8 13,9
Lot 121.132 47,7 84,1 15,9 15,5
Lot-et-Garonne 223.081 41,4 77,8 22,2 14,2
Lozère 56.749 37,8 82,0 18,0 17,0
Maine-et-Loire 460.013 36,3 82,7 17,3 14,8
Manche 339.301 34,6 80,7 19,3 13,9
Marne 352.281 32,6 78,9 21,1 12,7
Haute-Marne 146.818 36,3 77,6 22,4 15,0
Mayenne 196.259 36,4 81,2 18,8 17,4
Meurthe-et-Moselle 468.095 36,7 81,0 19,0 10,9
Meuse 139.921 38,3 77,8 22,2 14,3
Morbihan 441.937 36,9 82,6 17,4 12,4
Moselle 665.783 32,5 79,3 20,7 11,0
Nièvre 175.847 41,2 83,2 16,8 11,9
Nord 1.629.827 39,5 77,5 22,5 13,1
Oise 442.042 38,2 75,9 24,1 12,2
Orne 209.174 36,5 79,8 20,2 14,5
Pas-de-Calais 983.499 42,5 80,0 20,0 13,9
Puy-de-Dôme 399.861 37,3 85,0 15,0 12,4
Pyrénées-Atlantiques 411.345 39,9 79,7 20,3 12,5
Hautes-Pyrénées 170.949 40,9 83,7 16,3 11,1
Pyrénées-Orientales 250.706 37,0 75,7 24,3 10,2
Bas-Rhin 614.776 30,3 78,5 21,5 11,4
Haut-Rhin 433.988 31,7 78,5 21,5 12,5
Rhône 876.207 35,6 79,2 20,8 10,5
Haute-Saône 165.217 40,5 79,1 20,9 14,2
Saône-et-Loire 394.861 32,6 84,3 15,7 14,1
Sarthe 361.989 36,6 82,8 17,2 13,0
Savoie 229.622 34,0 83,8 16,2 10,8
Haute-Savoie 335.838 33,5 81,2 18,8 11,8
Paris 1.227.555 36,9 78,4 21,6 9,1
Seine-Maritime 803.970 35,7 80,9 19,1 8,8
Seine-et-Marne 607.571 36,4 77,4 22,6 11,3
Yvelines 771.190 38,7 76,8 23,2 10,8
Deux-Sèvres 249.364 37,0 84,5 15,5 14,8
Somme 380.114 40,8 77,4 22,6 17,7
Tarn 252.416 45,1 80,4 19,6 15,9
Tarn-et-Garonne 144.866 43,3 77,8 22,2 14,4
Var 539.833 34,6 67,5 32,5 9,3
Vaucluse 302.668 39,0 74,0 26,0 12,4
Vendée 363.938 36,9 82,5 17,5 16,4
Vienne 269.176 37,9 82,1 17,9 14,2
Haute-Vienne 261.168 43,7 85,7 14,3 13,9
Vosges 273.922 38,5 79,2 20,8 16,1
Yonne 219.700 37,7 77,3 22,7 12,9
Territoire de Belfort 84.383 41,1 80,3 19,7 12,4
Essonne 634.416 38,9 81,4 18,6 9,8
Hauts-de-Seine 813.519 38,1 78,7 21,3 9,7
Seine-Saint-Denis 706.986 33,7 81,6 18,4 8,3
Val-de-Marne 696.792 37,1 80,8 19,2 9,2
Val-d’Oise 568.476 36,3 79,6 20,4 9,6
Guadeloupe 196.779 10,3 90,6 9,4 9,3
Französisch-Guyana 29.938 19,8 87,0 13,0 7,2
Martinique 215.415 16,4 94,1 5,9 8,9
Réunion 292.485 22,5 86,5 13,5 7,8
Saint-Pierre und Miquelon 4.444 23,9 93,6 6,4 7,7
Mayotte 22.000 27,6 95,2 4,8 0,9
Neukaledonien 89.373 62,4 57,0 43,0 8,0
Französisch-Polynesien 107.893 20,3 81,6 18,4 7,9
Wallis und Futuna 8.313 48,1 81,5 18,5 1,9
Franzosen im Ausland 162.131 19,2 75,8 24,2 6,0
Gesamt 38.025.823 36,9 80,0 20,0 11,8
  1. a b c Die Prozentangaben für Ja- und Nein-Stimmen beziehen sich auf die gültigen Stimmen.
    Die ungültigen Stimmen umfassen die aus formalen Gründen ungültigen Stimmen, sowie die leeren Stimmzettel.
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b Non-Self-Governing Territories. UN.org, abgerufen am 13. April 2018 (englisch).
  2. CHAPTER XI: DECLARATION REGARDING NON-SELF-GOVERNING TERRITORIES. vereinte Nationen, abgerufen am 13. April 2018 (englisch).
  3. Consultation de la population de la Nouvelle-Calédonie. Université de Perpignan, abgerufen am 13. April 2018 (französisch).
  4. a b M. Rafiqul Islam: The 1988 Paris Agreement on the future status of New Caledonia. In: QUT Law Review. Band 4, Dezember 1988, ISSN 2201-7275, S. 229–241, doi:10.5204/qutlr.v4i0.308 (englisch).
  5. a b Proclamation des résultats du référendum du 6 novembre 1988. In: Conseil Constitutionel (Hrsg.): Journal offiel de la République Française. 10. November 1988, S. 14123–14125 (französisch, online [PDF]).