Weil-Vermutung

mathematischer Satz
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Die Weil-Vermutungen, die seit ihrem endgültigen Beweis 1974 Theoreme sind, waren seit ihrer Formulierung durch André Weil 1949 über lange Zeit eine treibende Kraft im Grenzgebiet zwischen Zahlentheorie und algebraischer Geometrie.

Sie machen Aussagen über die aus der Anzahl der Lösungen algebraischer Varietäten über endlichen Körpern gebildeten erzeugenden Funktionen, den so genannten lokalen Zetafunktionen. Weil vermutete, dass diese rationale Funktionen sind, sie einer Funktionalgleichung gehorchen, und dass die Nullstellen sich auf bestimmten geometrischen Örtern befinden (Analogon zur Riemannschen Vermutung), ähnlich wie bei der Riemannschen Zetafunktion als Trägerin von Informationen über die Verteilung der Primzahlen. Außerdem vermutete er, dass ihr Verhalten von bestimmten topologischen Invarianten der zugrundeliegenden Mannigfaltigkeiten bestimmt wird.

Motivation und Geschichte

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Der Fall algebraischer Kurven über endlichen Körpern wurde von Weil selbst bewiesen.[1] Davor hatte schon Helmut Hasse die Riemannhypothese für den Fall elliptischer Kurven (Geschlecht 1) bewiesen. In dieser Beziehung waren viele der Weil-Vermutungen auf natürliche Weise in die Hauptentwicklungen dieses Bereiches eingebettet und von Interesse z. B. für die Abschätzung exponentieller Summen der analytischen Zahlentheorie. Überraschend war nur das Auftauchen topologischer Konzepte (Bettizahlen der zugrundeliegenden Räume, Fixpunktsatz von Lefschetz u. a.), die die Geometrie über endlichen Körpern (also in der Zahlentheorie) bestimmen sollten. Weil selbst soll sich nie ernsthaft um die Beweise im allgemeinen Fall gekümmert haben, da seine Vermutungen die Notwendigkeit der Entwicklung neuer topologischer Konzepte in der algebraischen Geometrie nahelegten. Die Entwicklung dieser Konzepte durch die Grothendieck-Schule brauchte 20 Jahre (für die Riemannvermutung war die étale Kohomologie nötig). Zuerst wurde 1960 die Rationalität der Zetafunktion durch Bernard Dwork mit p-adischen Methoden bewiesen. 1964 gab Grothendieck dafür einen allgemeineren l-adischen Beweis und er bewies auch in den 1960er Jahren die zweite und vierte Weilvermutung (mit Michael Artin und Jean-Louis Verdier). Den schwierigsten und letzten Teil der Weil-Vermutungen, die Analoga zur Riemann-Hypothese, bewies der Grothendieck-Schüler Pierre Deligne 1974. Deligne bewies 1980 in einem zweiten Beweis (La conjecture de Weil II) eine Verallgemeinerung der Weil-Vermutungen, mit der er den harten Lefschetz-Satz, ein Teil der Standardvermutungen von Grothendieck, beweisen konnte. Sein zweiter Beweis benutzte ein Analogon des Beweises des Primzahlsatzes von Jacques Hadamard und Charles-Jean de La Vallée Poussin, der über die Nichtexistenz einer Nullstelle der Riemannschen Zetafunktion mit Realteil 1 geführt wurde (von Deligne auf L-Funktionen übertragen). Gérard Laumon[2] vereinfachte 1987 den Beweis, indem er die von Deligne eingeführte l-adische Fouriertransformation benutzte und ein Analogon zur klassischen Abschätzung von Gauß-Summen.

Grothendieck war mit dem Beweis von Deligne unzufrieden, da er nach seiner Meinung bei der Riemannvermutung eine „Trickserei“ mit Modulformen benutzte (ein klassisches Ergebnis von Robert Alexander Rankin). Seiner Meinung nach sollte der Beweis über die Theorie der Motive und seine Fundamentalvermutungen (Standard conjectures) über algebraische Zyklen erfolgen (noch heute weitgehend offen und sogar als schwer angreifbar geltend) und skizzierte eine Ableitung aus diesen, wie auch unabhängig zur gleichen Zeit Enrico Bombieri auf diese Vermutungen kam.[3] Grothendieck besuchte 1973 am IHES das Seminar, in dem Deligne seinen Beweis vorstellte und diskutierte mit Deligne, war aber am Beweis der Riemannvermutung aus besagten Gründen nicht interessiert.

Formulierung der Weil-Vermutungen

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  sei eine nicht-singuläre  -dimensionale projektive algebraische Varietät über dem endlichen Körper   mit   Elementen. Dann ist die Zetafunktion   von   definiert als Funktion einer komplexen Zahl   durch:

 

mit   der Zahl der Punkte von   über dem Körper der Ordnung  .

Die Weil-Vermutungen lauten:

  1. (Rationalität)   ist eine rationale Funktion von  . Genauer,  , wobei jedes   ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten ist, das über den komplexen Zahlen in der Form   faktorisiert. Weiterhin ist  ,  .
  2. (Funktionalgleichung und Poincaré-Dualität)  , wobei   die Euler-Charakteristik von   ist. Dabei werden die Zahlen   auf die Zahlen   abgebildet.
  3. (Riemann-Vermutung)   für alle   und alle  . Das ist das Analogon der Riemannhypothese und der schwierigste Teil der Vermutungen. Sie kann auch so formuliert werden, dass alle Nullstellen von   auf der kritischen Geraden in der Zahlenebene der   liegen mit Realteil  .
  4. (Betti-Zahlen) Falls   eine gute Reduktion mod   einer nicht-singulären komplex projektiven Varietät   ist, ist der Grad von   die  -te Betti-Zahl von  .

Beispiele

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Die projektive Gerade

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Das außer dem Punkt einfachste Beispiel ist der Fall der projektiven Geraden  . Die Anzahl der Punkte von   über einem Körper mit   Elementen ist   (wobei die „ “ vom „Punkt im Unendlichen“ stammt). Die Zetafunktion ist  . Die weitere Überprüfung der Weil-Vermutungen ist einfach.

Projektiver Raum

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Der Fall des  -dimensionalen projektiven Raumes ist nicht viel schwieriger. Die Zahl der Punkte von   über einem Körper mit   Elementen ist  . Die Zetafunktion ist

 .

Wieder lassen sich die Weil-Vermutungen leicht überprüfen.

Der Grund, warum projektive Gerade und Raum so einfach sind, liegt darin, dass sie als disjunkte Kopien einer endlichen Zahl affiner Räume geschrieben werden können. Für ähnlich strukturierte Räume wie Grassmann-Varietäten ist der Beweis ebenso einfach.

Elliptische Kurven

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Der erste nicht-triviale Fall der Weilvermutungen sind elliptische Kurven. Diese wurden bereits in den 1930er Jahren von Helmut Hasse behandelt. Sei   eine elliptische Kurve über einem endlichen Körper mit   Elementen. Dann gilt für die Anzahl   der Punkte von   über einer Körpererweiterung mit   Elementen die Formel[4]

 ,

wobei   und   zueinander komplex konjugiert sind und jeweils Absolutwert   haben (Riemannsche Vermutung). Die Zetafunktion der elliptischen Kurve ist

 .

Hyperelliptische Kurven

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Elliptische Kurven sind hyperelliptische Kurven vom Geschlecht  . Eine hyperelliptische Kurve   von beliebigem Geschlecht   über einem endlichen Körper   kann gegeben werden durch eine Gleichung

 

mit einem Polynom  , dessen Grad höchstens   beträgt, und einem normierten Polynom   vom Grad  . Bezeichnet   einen algebraischen Abschluss von  , so ist eine solche Kurve nicht-singulär genau dann, wenn keiner der Punkte  , der der Gleichung   genügt, auch die beiden partiellen Ableitungsgleichungen   und   erfüllt.[5] Nach Hinzunahme des „unendlich fernen Punktes“  , welcher nicht-singulär ist, wird aus   eine nicht-singuläre, eindimensionale, projektive, algebraischen Varietät  , die über   definiert ist.   erfüllt also die Voraussetzungen der Weil-Vermutungen.

Es bezeichne nun  , die Anzahl der Punkte  , die die Gleichung   erfüllen, wobei der unendlich ferne Punkt bei allen   mitgezählt wird. Auf Grund der Rationalität nach Weil gilt für die Zeta-Funktion von   [6]:

 

mit einem ganzzahligen Polynom  , welches den Grad   besitzt. Wegen der Riemann-Vermutung (hier also:   für alle  ) muss   die folgende, spezielle Gestalt haben (vergleiche die Koeffizienten bei   mit denen bei  ):

 

Die Euler-Charakteristik von   ist  , also 0 im Fall von elliptischen Kurven und -2 im Fall von hyperelliptischen Kurven vom Geschlecht 2.

Betrachte als konkretes Geschlecht-2-Beispiel die hyperelliptische Kurve[7]

 

Man kann sie zunächst als Kurve   auffassen, die über den rationalen Zahlen   definiert ist. Bei allen von 5 verschiedenen Primzahlen   besitzt   gute Reduktion, stellt also nach Reduktion modulo   eine hyperelliptische Kurve   vom Geschlecht 2 dar, mit  . Was die Weil-Polynome   angeht, so gilt beispielsweise für  :

 

Die Werte   und   kann man bestimmen, indem man die Anzahl der Lösungen von   über   und   zählt und jeweils 1 für den unendlich fernen Punkt   hinzuaddiert. Dieses Zählen ergibt   und  . Es gilt dann[8]:

    und
 

Die Nullstellen von   sind   und   (die angegebenen Real- und Imaginärteile sind nach der fünften Nachkommastelle abgeschnitten) sowie deren komplex Konjugierte   und  . In der Faktorisierung   ist also  . Wie im Riemann-Teil der Weil-Vermutungen aufgeführt, gilt in der Tat   für  .

Die zu   gehörende, nicht-singuläre, projektive, komplexe Mannigfaltigkeit hat die Betti-Zahlen  [9]. Wie im vierten Teil der Weil-Vermutungen beschrieben, stimmen diese (topologisch definierten!) Betti-Zahlen mit den Graden der Weil-Polynome   überein, für alle Primstellen  :  .

Abelsche Flächen

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Eine abelsche Fläche ist eine zweidimensionale abelsche Varietät. Abelsche Flächen gehören also zu den projektiven, algebraischen Varietäten, die gleichzeitig auch die Struktur einer Gruppe besitzen, und zwar so, dass die Gruppenverknüpfung und Inversenbildung mit der Struktur einer algebraischen Varietät verträglich sind. Elliptische Kurven liefern eindimensionale abelsche Varietäten. Als Beispiel einer abelschen Fläche, die über einem endlichen Körper definiert ist, soll die Jacobische Varietät   der Geschlecht-2-Kurve[10]

 

betrachtet werden, die im Abschnitt über hyperelliptische Kurven vorgestellt wurde. Dort wurde bereits das Polynom   bestimmt. Man kann sich nun überlegen[11], dass

    und
 

die Anzahlen der Elemente von   und   sind. Daneben reicht die Kenntnis der beiden Koeffizienten   und  , die in   erscheinen, auch aus, um die   Weil-Polynome in Bezug auf die Jacobische Varietät   zu bestimmen (das Polynom   ist für die Kurve   und die abelsche Oberfläche   identisch):

 
 
 
 
 

Wovon man sich leicht überzeugt: die Kehrwerte   der Nullstellen von   haben in der Tat den erwarteten Absolutbetrag von  . Und tatsächlich bildet   die Kehrwerte der Nullstellen von   auf die Kehrwerte der Nullstellen von   ab. Eine nicht-singuläre, komplexe, projektive, algebraische Varietät  , welche sich bei   gut zu   reduziert, muss zwingend die Betti-Zahlen   besitzen. Denn dies sind die Grade der Polynome   Die Euler-Charakteristik   von   ist die alternierende Summe dieser Grade/Betti-Zahlen:  . Für die Zeta-Funktion von   gilt, mit   als komplexer Variable aus deren Definitionsbereich:

 

bzw.

 

Neben den schon bekannten Werten   und   kann man in dieser Taylor-Entwicklung beliebige weitere Anzahlen  ,  , von  -rationalen Elementen der über   definierten Jacobischen Varietät der Kurve   ablesen: also z. B.   und  . Dabei folgt aus   stets  , denn   ist dann eine Untergruppe von  .

Weil-Kohomologie

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Weil schlug vor, dass die Vermutungen aus der Existenz einer geeigneten „Weil-Kohomologietheorie“ für Varietäten über endlichen Körpern folgen würden, ähnlich der üblichen Kohomologie mit rationalen Koeffizienten für komplexe Varietäten. Nach seinem Beweisplan sind die Punkte der Varietät   über einem Körper der Ordnung   Fixpunkte des Frobenius-Automorphismus   dieses Körpers. In der algebraischen Topologie wird die Anzahl der Fixpunkte eines Automorphismus über den Fixpunktsatz von Lefschetz als alternierende Summe der Spuren der Wirkung dieses Automorphismus in den Kohomologiegruppen ausgedrückt. Würden für Varietäten über endlichen Körpern ähnliche Kohomologiegruppen definiert, könnte die Zetafunktion durch diese ausgedrückt werden.

Das erste Problem war nur, dass der Koeffizientenkörper der Weil-Kohomologien nicht der der rationalen Zahlen sein konnte. Man betrachte beispielsweise eine supersinguläre elliptische Kurve über einem Körper der Charakteristik  . Der Endomorphismenring dieser Kurve ist eine Quaternionenalgebra über den rationalen Zahlen. Sie sollte entsprechend auf der ersten Kohomologiegruppe wirken, einem 2-dimensionalen Vektorraum. Das ist aber für eine Quaternionalgebra über den rationalen Zahlen unmöglich, falls der Vektorraum über den rationalen Zahlen erklärt ist. Auch die reellen und  -adischen Zahlen scheiden aus. In Frage kämen allerdings  -adische Zahlen für eine Primzahl  , da die Divisionsalgebra der Quaternionen sich dann aufspaltet und eine Matrix-Algebra wird, die auf 2-dimensionalen Vektorräumen operieren kann. Diese Konstruktion wurde durch Grothendieck und Michael Artin ausgeführt (l-adische Kohomologie).

Für den Beweis der Weil-Vermutungen war die Étale Kohomologie nötig, die von Grothendieck und Michael Artin eingeführt wurde und deren Entwicklung im IHES-Seminar (SGA) erfolgte.

Literatur

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Verweise

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  1. einen elementaren Beweis für algebraische Kurven über endlichen Körpern gab 1969 Sergei Alexandrowitsch Stepanow, dargestellt in Enrico Bombieri Counting points on curves over finite fields (d’apres Stepanov). In: Seminaire Bourbaki. Nr. 431, 1972/73 (numdam.org [PDF])., Stepanow: On the number of points of a hyperelliptic curve over a prime field, Izvestija Akad.Nauka Bd. 33, 1969, S. 1103, Stepanow Arithmetic of Algebraic Curves 1994
  2. Laumon, Transformation de Fourier, constantes d'équations fonctionnelles et conjecture de Weil, Publications Mathématiques de l'IHÉS, Band 65, 1987, S. 131–210
  3. Allyn Jackson, Comme Appelé du Néant, Notices AMS, Oktober 2004, S. 1203
  4. Kapitel V, Theorem 2.3.1 in Joseph H. Silverman: The Arithmetic of Elliptic Curves. 2. Auflage. Springer, 2009, ISBN 978-0-387-09493-9.
  5. Chapter 6, Definition 5.1 in Neal Koblitz: Algebraic Aspects of Cryptography. 2. Auflage. Springer, 1999, ISBN 3-540-63446-0.
  6. Chapter 6, Theorem 5.1 in Neal Koblitz: Algebraic Aspects of Cryptography. 2. Auflage. Springer, 1999, ISBN 3-540-63446-0.
  7. LMFDB: Genus 2 curve 3125.a.3125.1
  8. Chapter 6, Theorem 5.1 in Neal Koblitz: Algebraic Aspects of Cryptography. 2. Auflage. Springer, 1999, ISBN 3-540-63446-0.
  9. Chapter 7, Paragraph §7B in David Mumford: Algebraic Geometry I, Complex Projective Varieties. 2. Auflage. Springer, 1995, ISBN 3-540-58657-1.
  10. LMFDB: Abelian variety isogeny class 2.41.aj_ct over F(41)
  11. Chapter 6, Paragraph 6.2 in Neal Koblitz: Algebraic Aspects of Cryptography. 2. Auflage. Springer, 1999, ISBN 3-540-63446-0.