Die Cardanischen Formeln oder auch Cardanoschen Formeln sind Formeln zur Lösung kubischer Gleichungen (Gleichungen 3. Grades). Damit werden alle Nullstellen eines gegebenen kubischen Polynoms berechnet. Die Formeln wurden, zusammen mit Lösungsformeln für quartische Gleichungen (Gleichungen 4. Grades), erstmals 1545 von dem italienischen Mathematiker Gerolamo Cardano in seinem Buch Ars magna veröffentlicht. Entdeckt wurde die Lösungsformel für die reduzierten kubischen Gleichungen von Nicolo Tartaglia; laut Cardano sogar noch früher durch Scipione del Ferro. Von Cardano selbst stammt die Methode zur Reduzierung der allgemeinen Gleichung dritten Grades auf den Spezialfall, dass der Koeffizient für Null ist.
Die cardanischen Formeln bildeten einen wichtigen Impuls für die zunehmende Akzeptanz von Wurzeln aus negativen Zahlen: Cardanos Zeit konnte in solchen Ausdrücken keinen Sinn erkennen, denn sie haftete noch der antiken Vorstellung an, dass eine Zahle eine Größe (lat.: quantitas) ist, die eine geometrische Länge misst. Doch schon Cardano konnte zeigen, dass seine Formel im casus irreducibilis (lat.: „nicht zurückführbarer Fall“) drei Ausdrücke liefert, in denen Quadratwurzeln negativer Zahlen unausweichlich schienen, obschon Cardano die ganzzahligen Lösungen der Gleichung kannte. Nichtsdestoweniger konnte Cardano zeigen, dass diese unwirklichen Ausdrücke die Gleichung tatsächlich lösen, wenn man nur mit ihnen auf formal korrekte Art rechnete. Anders gewendet: Die Cardanische Formel führte über rätselhaft unwirkliche Zahlen auf Ausdrücke, die formal korrekte Lösungen waren, und daher mit den bekannten reellen Lösungen übereinstimmen mussten. Cardano selbst beschrieb diese Größe als eine „quantitas sophisticata“ und die Lösung als „nutzlos“, doch immerhin war sie ihm den Druck wert. Die Frage, wie sich dies verstehen und veranschaulichen ließ, war folgenden Generationen ein starker Antrieb, für diese „imaginären“ Ausdrücke ein anschauliches Verständnis zu gewinnen und sie schließlich als komplexen Zahlen mathematisch zu begründen, zumal es in der Folge immer mehr Indizien dafür gab, dass sie so sinnlos nicht waren.
Franciscus Vieta gab um 1600 eine Lösung des casus irreducibilis, die anstelle der „sophistischen“ Zahlen nur reelle Zahlen enthält. Dieser Vorteil wird jedoch erkauft durch den Einsatz trigonometrischer Funktionen anstelle einfacher Radikale.
Cardano betrachtete in seiner Ars magna auch biquadratische (quartische) Gleichungen – also Gleichungen vierten Grades: Die Lösungsmethode fand sein Schüler Lodovico Ferrari, der das Problem mit Hilfe einer kubischen Resolvente auf die kubische Gleichung zurückführte.[1]
Die cardanischen Formeln besitzen heute für eine rein numerische, d. h. angenäherte Lösung kubischer Gleichungen kaum noch eine praktische Bedeutung, da sich die Lösungen näherungsweise bequemer durch das Newton-Verfahren mittels elektronischer Rechner bestimmen lassen. Sie sind jedoch für die im Verlaufe der Mathematikgeschichte vorgenommenen Versuche, eine (exakte, „algebraische“) Auflösung in Form von Radikalen zu finden, von erheblicher Bedeutung und gaben so der Entwicklung der Algebra, deren Ausgangspunkt die Betrachtung der „höheren Gleichungen“ war, entscheidende Impulse. Sie fand einen Höhepunkt in dem Nachweis, dass es – entgegen lang gehegter Erwartungen – keine entsprechenden Formeln für Gleichungen fünften und höheren Grades gibt. Die für diesen Nachweise gewonnene Galoistheorie vermag denn auch den Hintergrund der „Rechentricks“ der Cardanischen Formeln zu beleuchten.
Aus Sicht der modernen Algebra geht es bei der Lösung einer allgemeinen Gleichung um das Auffinden von Nullstellen eines Polynoms bzw. einer Polynomfunktion in einem geeigneten Erweiterungsring bzw. Erweiterungskörper. Die Cardanischen kubischen Formeln behandeln Polynome dritten Grades.
Ist nämlich ein Polynom über dem Integritätsbereich, so liefert der Einsetzungshomomorphismus für einen Integritätsring eine Funktion , die meist mit demselben Buchstaben benannt wird, wie das Polynom. Beispielsweise kann für der Quotientenkörper von gewählt werden oder eine Körpererweiterung desselben. Gemäß allgemeiner Körpertheorie bietet sich dafür der Zerfällungskörper des Polynoms an, der per Definition alle Nullstellen des Polynoms und damit alle Lösungen der Gleichungen enthält.
Will man den Versuch unternehmen, der mathematikhistorischen Wirklichkeit mit modernen Begriffen nahezukommen, so wäre zu wählen, weil Cardanos Zeit in aller Regel von ganzzahligen Polynomen ausging, und für erhoffte sich seine Zeit, die Nullstellen (Lösungen) in einer algebraische Erweiterung des Quotientenkörpers zu finden, die durch Adjunktion aller „sinnvollen“ quadratischen und kubischen Wurzelausdrücke (Radikale) entsteht. Cardano musste jedoch erkennen, dass seine allgemeine Formel unausweichlich „sinnlose“ Wurzelausdrücke (Radikale aus negativen Zahlen, er nannte sie radices fictae im Gegensatz zu den radices verae, den Wurzeln aus positiven Zahlen) ins Spiel brachte,[Anm 1] und dies sogar auch in dem Falle, dass Cardano die ganzzahligen Lösungen im Voraus kannte (siehe „casus irreducibilis“). Um den Wechsel vom 18. zum 19. Jahrhundert gelang es, jene „sinnlosen, eingebildeten“ Wurzelausdrücke mit einer überzeugenden geometrischen Vorstellung zu verbinden: Die imaginäre Zahlen erschienen befreit von allem mystischen Nebel. Nur wenig später wurde der Beweis der ernüchternden Tatsache erbracht, dass für Polynome höheren als vierten Grades ein algebraischer Erweiterungskörper, der alle Wurzelausdrücke (auch die ehemals sinnlosen) adjungiert, nicht ausreicht, um die Nullstellen im Allgemeinen zu benennen.
Im Rahmen dieses Artikels genügt es, Cardanos gedankliche Ausgangssituation vereinfachend mit gemäß einem intuitiven Verständnis zu umschreiben: Die axiomatischen Grundlagen der reellen Zahlen wurden erst später gelegt („Dedekindscher Schnitt“), und Begriffe aus der Mengenlehre, geschweige denn algebraische Strukturen, waren noch nicht entwickelt. Der Casus irreducibilis zeigte Cardano, dass der reelle Zahlenstrahl „irgendwie zu schmal“ ist.
Der (nach dem Fundamentalsatz der Algebra) – bis auf Isomorphie – einzig mögliche endliche Erweiterungskörper von , der sämtliche Nullstellen eines jeden reellen Polynoms enthält, keine Ordnungsrelation zulässt und in dem Quadrate negativ sein können, erschien noch „irreal“, da es an einer Anschauung für ihn mangelte. Für Cardanos Zeit sei also vereinfachend für ein Polynom dritten Grades vorausgesetzt.
Die obige Reduktion eines Polynoms beliebigen Grades durch Tilgung des zweithöchsten Potenz gelingt bei beliebigem Grad aufgrund der Binomialformeln: Man substituiere . Diese Substitution verschiebt lediglich die Nullstellen um den konstanten Summanden und lässt daher die Diskriminante unverändert, wie im folgenden Abschnitt zur Bestimmung der Diskriminante dargelegt wird.
Für diese Substitution muss im Allgemeinen vorausgesetzt werden, dass die Charakteristik von kein Teiler von ist und dass in oder wenigstens in invertierbar sind. Dies ist mit er obigen Wahl (und mithin ) sichergestellt. Trifft diese Voraussetzung nicht zu, so sei auf den Abschnitt über die Koeffizientenringe verwiesen.
Die Diskriminante ist ein Kennzahl, anhand derer – wie das zugrundeliegende lateinische Wort besagt – Fälle unterscheidbar sind. Sie wird im Rahmen der Algebra definiert und vielfach verwendet. Im Kontext von Gleichungen einer Variablen (Polynomen in einer Unbestimmten) zeigt ihr Verschwinden an, ob alle Nullstellen einfach sind oder ob eine mehrfache Nullstelle vorliegt.[Anm 2] Im Kontext der kubischen Gleichungen lässt sich an der Diskriminante ablesen, welcher der drei möglichen Fälle vorliegt, wie später deutlich wird.
Das Differenzenprodukt über alle Nullstellen der kubischen Gleichung wechselt bei jeder Vertauschung zweier Nullstellen (also bei jeder Transposition) sein Vorzeichen. Die Diskriminante der reduzierten kubischen Gleichung tut dies nicht, denn sie ist definiert als das Quadrat des Differenzenproduktes über alle Nullstellen der kubischen Gleichung bzw. des kubischen Polynoms über dem in Rede stehenden Körper , für den man sich denken mag:
.
Die beiden Gleichungen bzw. die zugehörigen Polynome
(NrmGlg)
und
(RedGlg)
haben also dieselbe Diskriminante, weil die Substitution lediglich eine Konstante addiert, die bei der Bildung des Differenzproduktes getilgt wird.
Die Diskriminante der reduzierten Gleichung lässt sich – auch ohne Kenntnis der Nullstellen – durch einen Kniff leicht errechnen:
Wegen folgt (nach Ausmultiplizieren und Koeffizientenvergleich) für die elementarsymmetrischen Polynome in den Nullstellen
Diese Konstanten lassen sich anhand von leicht zu berechnenden Sonderfällen bestimmen:
Zum Sonderfall und gehört die Gleichung mit den Wurzeln , so dass .
Zum Sonderfall und gehört die Gleichung mit den dritten Einheitswurzeln als Nullstellen, wobei also insbesondere und eine primitive dritte Einheitswurzel bezeichne (bspw. , so dass ). Unter Berücksichtigung der Beziehungen der dritten Einheitswurzeln untereinander ( und ) bestätigt man so . – Einfacher wird die Rechnung mit Hilfe einer allgemeinen Eigenschaft der Diskriminante eines beliebigen normierten Polynoms vom Grade mit den Nullstellen in einem Zerfällungskörper, welche die (auf der -Algebra definierte) Derivation („algebraische“ Ableitung) nutzt: Aufgrund der Eigenschaften einer Derivation (Linearität, Produktregel, Kettenregel) gilt nämlich . Insbesondere für ist , und es folgt wie gewünscht . Die Derivation ist im Falle mit der bekannten Ableitung von Polynomfunktionen identifizierbar.
Also ist die Diskriminante sowohl der reduzierten Gleichung als auch der Normalform gegeben durch
(kubDiscr)
wobei für die Beziehungen zwischen den Koeffizienten von und von zu nutzen sind, also die Substitionsgleichungen (Red-p) und (Red-q).
Die Diskriminante normierter quadratischer Polynome ist gegeben durch
Für die Resultante zweier Polynome mit den Graden und , den Leitkoeffizienten bzw. und den gegebenenfalls mehrfach aufgeführten Nullstellen bzw. gilt:
Die Diskriminante des Polynoms ist definiert wie folgt:
Der Normierungsfaktor enthält die minimale Potenz des Leitkoeffizienten von mit der Eigenschaft, dass ganzzahlige Polynome ganzzahlige Diskriminanten haben.
Wenn man setzt und folglich die Nullstellen von mit bezeichnet, so gilt folgende Beziehung zur Resultante:[Anm 4]
Anwendung auf den vorliegenden kubischen Fall
Gemäß der Vorbemerkung gilt, wenn die Nullstellen der Ableitung des Polynoms bezeichnen:
Angewandt auf das reduzierte Polynom , dessen Ableitung die beiden Nullstellen (für ) besitzt, errechnet man:
Anmerkung zum Normierungsfaktor für nicht normierte Polynome
Der gängige Normierungsfaktor aus der Definition der Diskriminante für nicht normierte Polynome () erklärt sich durch folgendes Postulat: Er ist die kleinstmögliche Potenz des Leitkoeffizienten , so dass die Diskriminante eines ganzzahligen Polynoms ganzzahlig ist.[Anm 5] Beachte: Bei liefern nicht die Koeffizienten , sondern die Koeffizienten des normierten Polynoms die elementarsymmetrischen Funktionen der Wurzeln.
Veranschaulichung der Fallunterscheidung durch Kurvendiskussion
Es sei vorab bemerkt, dass nach dem Fundamentalsatz der Algebra das betrachtete kubische reduzierte Polynom im Körper der komplexen Zahlen – mit Vielfachheit gezählt! – drei Nullstellen besitzt. Wenn es also weniger als drei reelle Nullstellen gibt, so sind die fehlenden imaginär (komplex mit nicht verschwindendem Imaginärteil).
Für die folgenden Betrachtungen sei vorausgesetzt, dass die Koeffizienten reell sind, so dass die zugehörige Polynomfunktion eine reelle Funktion ist. Die Gleichungstheorie stellte die Frage nach ihren reellen Nullstellen.
Zunächst beachte, dass es sich bei der reellen Polynomfunktion um die durch Addition des reellen absoluten Gliedes verschobene, ungerade Polynomfunktion handelt, welche die symmetrisch um den Ursprung liegenden Nullstellen besitzt:
Bei negativem sind diese reell.
Bei positivem wären sind sie rein-imaginär, wenn man die Polynomfunktion über betrachtete. Das Polynom zerfällt in diesem Falle erst über in Linearfaktoren. Es hat daher nur die eine reelle Nullstelle .
Strebt von unten gegen Null („“), so streben die linke und die rechte reelle Nullstelle gegen die mittlere Nullstelle , und damit auch die zwischen ihnen liegenden lokalen Extremwerte, bis sie im Grenzfall alle drei an der Stelle verschmelzen: Diese ist dann dreifache Nullstelle und Sattelstelle von .[Anm 6]
Die Ableitungen sind identische Polynomfunktíonen , weil das absolute Glied als Konstante verschwindet. Sie haben deshalb gleiche Extremstellen und Wendestellen. Ihre Extremwerte und Wendewerte unterscheiden sich natürlich um das absolute Glied .
Es sei nun . Dann erkennt man mit Methoden einfacher Kurvendiskussion:
Die lokalen Extremstellen von liegen in den Nullstellen der Ableitung[Anm 7], also an den Stellen . Die Polynomfunktion hat dort die jeweiligen Werte .
An den lokalen Extremstellen berührt die Tangente die Kurve und liegt waagerecht.
Die Addition des absoluten Gliedes verschiebt diese lokalen Extremstellen nicht, wohl aber die Extrema selbst um den Wert von , der somit den Mittelwert beider lokalen Extrema darstellt.
Eine Wendestelle von und somit auch von liegt an der Nullstelle der zweiten Ableitung , also bei . Die Polynomfunktion nimmt dort als Wendewert den Mittelwert der lokalen Extrema an.
Dies gilt auch, wenn beide lokalen Extrempunkte im Wendepunkt zu einem Sattelpunkt verschmelzen (und mithin keine Extrema mehr sind, aber doppelt gewichtet werden): Dann folgt , und an der Sattelstelle verschwinden erste und zweite Ableitung, während dort den Sattelwert annimmt. Bei hat nur eine reelle Nullstelle.
Die Tangente in einem Sattelpunkt liegt ebenfalls waagerecht und schneidet die Kurve.
Verschwindet hingegen der Sattelwert (d. h., liegt er auf -Achse), so liegt dort eine dreifache reelle Nullstelle vor! Es sind nämlich mit den lokalen Extremstellen auch die beiden äußeren reellen Nullstellen in dieser einen reellen Nullstelle verschwunden. (Wären sie es nicht, müsste es dazwischen nach dem Extremwertsatz lokale Extrema geben). Mit anderen Worten: Liegt ein verschwindender Sattelwert vor, so verschwindet er im Ursprung, liefert eine dreifache Nullstelle und es gilt .
Solange der reelle Koeffizient im reellen offenen Intervall liegt, „überquert“ bei seiner Addition keine der beiden lokalen Extrempunkte die -Achse und berührt sie nicht einmal, so dass die Polynomfunktion ihre drei reellen Nullstellen behält. Mit anderen Worten: Für liegen drei reelle Nullstellen vor.
Falls , – falls also genau einen der Extremwerte annimmt, so kommt eines der beiden lokalen Extrema bei Addition von auf der -Achse zu liegen, wobei zwei Nullstellen zu einer doppelten Nullstelle verschmelzen. Die dritte reelle Nullstelle wird lediglich verschoben. Mit anderen Worten: Für gibt es zwei reelle Nullstellen, deren eine eine doppelte ist.
Sobald der reelle Koeffizient außerhalb des geschlossenen Intervalls liegt, „überquert“ bei Addition von einer der beiden lokalen Extrempunkte die -Achse, so dass die Polynomfunktion zwei reelle Nullstellen verliert, die folglich Imaginäre verschoben werden. Mit anderen Worten: Für liegt genau eine reelle Nullstellen vor, die anderen beiden sind im Imaginären anzutreffen.
Zusammenfassend ist damit plausibel gemacht: Für lässt sich das Nullstellenverhalten der reellen Polynomfunktion am Vorzeichen der Diskriminante ablesen.
Zugleich erkennt man: Es kommt wesentlich darauf an, ob
die beiden lokalen Extremwerte nicht verschwinden und dabei gleiches Vorzeichen haben (darunter fällt auch der Fall, dass sie sich in einem Sattelpunkt vereinigen) oder aber
nicht verschwinden und dabei verschiedenes Vorzeichen haben oder aber
ob einer von ihnen (oder gar beide) verschwinden.
Bezeichnen die beiden (nicht notwendig verschiedenen) Nullstellen der quadratischen ersten Ableitung , so zeigen sich diese drei Fälle also im Vorzeichen des Produkts
der (potenziellen) Extremwerte. Der Fall einer doppelten Nullstelle von liefert eine Sattelstelle und ist in dieser Formulierung enthalten.
Damit wird glaubwürdig, dass die oben plausibilisierte Fallunterscheidung anhand des Vorzeichens der Diskriminante auch für beliebiges reelles gilt. Überdies erhält die vorstehende alternative Berechnung der Diskriminante eine geometrische Anschauung. Die folgende Tabelle fasst all dies zusammen.
Fallunterscheidung aufgrund der Diskriminante – veranschaulicht per Kurvendiskussion
–
Fall 1
Fall 2
Fall 3 Casus irreducibilis
Grafisches Fallkriterium
Die -Achse bildet an einer Stelle eine Tangente an die Kurve.
Die -Achse trifft die Kurve in nur einem Punkt und ist dort keine Tangente an die Kurve.
Die -Achse trifft die Kurve in mehr als nur einem Punkt und ist in keinem dieser Punkte Tangente.
Schlussfolgerung für Ableitungen
An dieser Tangentialstelle verschwinden die erste Ableitung und die Funktion selbst.
Dieser eine Punkt ist also ein Schnittpunkt, in dem die erste Ableitung nicht verschwindet. Die beiden Nullstellen dieser quadratischen Polynomfunktion müssen sich also an anderer Stelle befinden.
Fall c: Die Ableitung besitzt zwei verschiedene reelle Nullstellen, an welchen die zweite Ableitung unterschiedliches Vorzeichen hat.
Fall d: Die Ableitung besitzt eine doppelte reelle Nullstelle, an welcher die zweite Ableitung verschwindet.
Es muss sich um drei Schnittpunkte handeln:[Anm 8] Die Kurve schneidet die -Achse dreimal, und an diesen drei Stellen verschwindet die Funktion , nicht jedoch die erste Ableitung .
Damit ist schon jetzt ist klar, dass sich an diesen drei Stellen drei verschiedene reelle Nullstellen befinden.
Lage potenzieller lokaler Extremwerte bzw. eventueller Sattelpunkte
Für die Lage potenzieller Extremwerte gibt es zwei Unterfälle:
Fall a: Auch die zweite Ableitung verschwindet an dieser Stelle, das heißt: An dieser Stelle schneidet die -Achse die Kurve tangential. Es ist der Fall , also .
Fall b: Die zweite Ableitung verschwindet an dieser Stelle nicht, das heißt: An dieser Stelle berührt die -Achse die Kurve, d. h. sie ist dort Tangente an die Kurve. Dort liegt also ein verschwindendes lokales Extremum vor, das heißt eine doppelte reelle Nullstelle, während an anderer Stelĺe eine weitere reelle Nullstelle vorliegt und zwischen beiden das zweite lokale Extremum angenommen wird, welches nicht verschwindet und das Doppelte von beträgt.
Für die Lage potenzieller Extremwerte gibt es zwei Unterfälle:
Fall c: Sie sind verschieden (also ) und befinden sich beide ( hinreichend groß) in der oberen oder beide in der unteren Halbebene (oberhalb oder unterhalb der -Achse). Es handelt sich also um zwei verschiedene lokale Extrema gleichen Vorzeichens.
Fall d: Sie sind zu einem nicht verschwindenden Sattelwert verschmolzen (also ) und daher keine lokalen Extremwerte. Die erste Ableitung verschwindet an dieser Stelle doppelt, weil auch die zweite Ableitung an dieser Stelle verschwindet.
Zwischen zwei benachbarten Nullstellen liegt (nach dem Extremwertsatz) jeweils ein lokales Extremum. Diese beiden Extrema verschwinden also nicht und besitzen verschiedene Vorzeichen.
Fall d ist ein in der Grafik nicht dargestellter Fall. Er entspricht dem Fall A mit auf- oder abwärts verschobener Kurve ().
Fall D gemäß Grafik.
Extremwertprodukt
Diskriminante
Differenzenprodukt
Das Differenzenprodukt verschwindet.
Das Differenzenprodukt ist rein imaginär und ungleich Null.
Das Differenzenprodukt ist reell und ungleich Null.
Bedingungen für Koeffizienten und
Fall a:
Fall b: , genauer:
Fall c: mit hinreichend großem , nämlich
Fall d:
mit hinreichend kleinem , nämlich
Reelle Nullstellen
Es gibt höchstens zwei verschiedene reelle Nullstellen, darunter eine mehrfache Nullstelle, genauer:
Fall a: Drei reelle Nullstellen sind zu einer dreifachen Nullstellen verschmolzen, die somit eine verschwindenden Sattelstelle ist. In ihr sind auch die lokalen Extremstellen verschwunden.
Fall b: Zwei reelle Nullstellen sind zu einer doppelten Nullstelle verschmolzen, die somit ein lokales Extremum liefert. Überdies gibt es eine davon verschiedene, weitere reelle Nullstelle, die folglich einfach ist.
Es gibt also nur eine reelle Nullstelle. Diese ist einfach.
Es gibt drei verschiedene reelle Nullstellen.
Komplexe Nullstellen
Es gibt keine imaginären Nullstellen, sondern höchstens zwei verschiedene reelle Nullstellen.
Es gibt zwei komplexe (zueinander konjugierte) Nullstellen und eine reelle Nullstelle.
Es gibt keine komplexe Nullstelle, sondern genau drei verschiedene reelle Nullstellen.
Anmerkung: Für gelingt diese geometrische Veranschaulichung nicht.
Zur geometrischen Konstruktion mit Zirkel und Lineal gemäß der historischen Aufgabenstellung genügt es, lediglich den Realteil (oder wahlweise den Imaginärteil) zu kennen. Bildet man diesen auf beiden Seiten, so kommt:
.
Bei beliebigem Winkel geht es also um die Lösung der kubischen Gleichung
(WinkelteilungGlg )
mit einem beliebigen .
Die normierte Gleichung
mit
hat selbstverständlich dieselben Lösungen und ist bereits reduziert () im obigen Sinne.
Die Diskriminante beträgt nach obiger Rechnung
Wie unten beschrieben wird, folgt hieraus, dass für die kubische Gleichung der Winkeldreiteilung der casus irreducibilis vorliegt. Dass umgekehrt jeder beliebige casus irreducibilis auf diese Winkeldreiteilungsgleichung zurückgeführt werden kann, wird unten dargelegt.
Die reduzierte Form wird mit Hilfe der cardanischen Formel aufgelöst, und anschließend werden durch die Rücksubstitution die Lösungen der ursprünglichen Gleichung bestimmt.
Dabei werden in der reduzierten Form die Koeffizienten und in der allgemeinen Form die Koeffizienten als reell und komplex angenommen.
Im Unterschied zur quadratischen Lösungsformel kommen bei der kubischen Gleichung auch dann, wenn alle drei Lösungen reell sind, nicht-reelle komplexe Zahlen ins Spiel.
Mit der Substitution
(Subst)
erhält man
Im Vergleich mit der reduzierten Gleichung (RedGlg) (also mit ) erkennt man, dass bei Gleichsetzung mit ihr die Unbekannten folgende Nebenbedingungen erfüllen müssen:
(NB-Nrm)
und
(NB-Sp)
Unter Beachtung dieser Nebenbedingungen löst man nun die reduzierte Gleichung, indem man zunächst bemerkt, dass die Nebenbedingungen für die Unbekannten und die Gleichungen
(Vieta-Nrm)
und
(Vieta-Sp)
implizieren. Beachte hierbei, dass zwar (Vieta-Sp) und (NB-Sp) äquivalente Bedingungen sind, nicht aber (Vieta-Nrm) und (NB-Nrm). Also muss im weiteren Lösungsweg stets darauf geachtet werden, dass die Nebenbedingung (NB-Nrm) gültig bleibt.
Nach dem Satz von Vieta sind daher und die beiden Lösungen der quadratischen Gleichung
mit als der Diskriminante der quadratischen Resolvente gemäß (quDiscr).[Anm 10]
Bezeichnet nun eine primitive dritte Einheitswurzel und setzt man für ,[Anm 11] so sind nun die drei (nicht notwendig verschiedenen) Lösungen der kubischen Gleichung die folgenden:
(FormCard.1)
wobei für den Ausdruck eine fest gewählte dritte Wurzel zu wählen ist, und für die aufgrund von (NB-Nrm) durch diese Wahl festgelegte dritte Wurzel von . Entsprechend müssen auch die Paare und die Nebenbedingung (NB-Nrm) erfüllen.[Anm 12]
Die drei Lösungen sind also
(FormCard.2)
Dabei muss für alle auftauchenden Radikale jeweils dieselbe Wurzel ausgewählt werden und für insbesondere zwei solche Wurzeln, mit welchen die Nebenbedingung (Vieta-Nrm) (also ) erfüllt ist.
Der Sonderfall
Man setze sowie und schließlich , so dass sich die drei Wurzeln für ergeben.
Lösung der allgemeinen (nicht notwendig normierten) Gleichung
Will man auf die allgemeine Gleichung (AllgGlg) mit dem Leitkoeffizienten zurückgehen, so sind die Substitutionsbeziehungen (Red-p), (Red-q) und (Red-abc) rückwärts einzusetzen sowie die Tatsache zu nutzen, dass in der Diskriminante der Leitkoeffizient des Ausgangspolynoms in der -ten Potenz als Normierungsfaktor hinzutritt. Im kubischen Falle tritt also der Normierungsfaktor bei der Definition der Diskriminante hinzu: . Sie bleibt dank dieser Normierung als ganzzahliges Polynom in den Koeffizienten des allgemeinen Polynoms darstellbar:[Anm 13]
Die Diskriminante der Lagrangeschen Resolvente und diejenige des reduzierten oder normierten Polynoms ( gemäß (NrmGlg) bzw. gemäß (RedGlg)) stehen gemäß (quDiscr) und (kubDiscr) in folgender Beziehung:
Mit Hilfe der expliziten Lösungen lässt sich die Diskriminante nun direkt berechnen und die Beziehung zur Diskriminante der Lagrangeschen Resolvente bestätigen. Für diese Rechnung sei zwecks einfacher Lesbarkeit und gesetzt, so dass
Beachtet man die Beziehungen zwischen den Einheitswurzeln
, wobei
und
, so dass
, also
und
,
so erhält man
und folglich für das Differenzenprodukt
und für sein Quadrat
Die oben bereits errechnete Diskriminante des reduzierten Polynoms (redGlg) und ihre Beziehung zur derjenigen der Lagrangeschen Resolvente sind somit explizit bestätigt.
Dann ist , und die auftretenden Quadratwurzeln sind reell, mithin auch die Lösungen der Lagrangeschen Resolvente. Man wähle für und jeweils die reellen dritten Wurzeln bzw. .
Es gibt genau eine reelle und zwei konjugiert komplexe Lösungen, die nach den obigen Formeln durch
gegeben sind.
Für das allgemeine kubische Polynom erhält man die Nullstellen
Beispiel
Allerdings ist das Ausziehen der Kubikwurzeln nicht immer so einfach. Cardano führt als Beispiel an:
.
Für dieses kubische Polynom ist
Wegen ist und man erhält
Man wähle reelle Kubikwurzeln
und
Die Nebenbedingungen sind damit erfüllt!
Somit ergibt sich und . Für die Techniken zum Ausziehen von verschachtelten Wurzeln sei auf die Fachliteratur verwiesen.
Die Quadratwurzeln sind rein-imaginär, und die Lösungen der quadratischen Resolvente konjugiert komplex. Daher ergeben sich für und zueinander konjugiert komplexe Werte, so dass sich mit
drei unterschiedliche reelle Lösungen ergeben.
Bei der Bestimmung von oder kommen jedoch dritte Wurzeln aus nicht-reellen Zahlen vor. Obgleich deren anschauliche Bedeutung zur Zeit Cardanos noch im Dunkeln lag und daher die Existenz solcher Ausdrücke als Zahlen allgemein als fragwürdig galt, rechnete Cardano rein formal (also ohne den Ausdrücken eine anschauliche Bedeutung beimessen zu können) mit diesen Ausdrücken und konnte die drei Lösungen angeben, von denen er wusste, dass sie reell waren. In der Lösungsformel war die „Realität“ der Lösung allerdings verschleiert, weil sie „irreale“ Zahlen involviert. Da dieser Lösungsweg also das Terrain der anschaulichen, „reellen“ Zahlen verlässt und die Lösung somit nicht auf reelle Radikale zurückführbar war, wurde dieser Fall casus irreducibilis genannt.[Anm 14] Dennoch mögen weitblickende Zeitgenossen – wie Cardano – in diesen Umständen einen Fingerzeig erahnt haben, dass jene Ausdrücke, die mangels anschaulicher Bedeutung sinnlos erscheinen, womöglich doch einen tieferen Sinn besitzen.
Mithilfe der trigonometrischen Funktionen können die Lösungen jedoch auch reell berechnet werden, in dem sie nämlich auf die Lösungen der oben vorgestellten Winkeldreiteilungsgleichung zurückgeführt wird: Diese übernimmt also gewissermaßen die Rolle der reinen (oder binomischen) Gleichungen .
Man mag es als einen Mangel empfinden, dass die Formel von Cardano stets die Nebenbedingungen im Auge behalten muss. Diesem Umstand hat Arthur Cayley abgeholfen.[Anm 15]
Für zwei neue Unbekannte setze man
und
(CayleyParam)
Dann folgt mit Nebenbedingung (NB-Nrm) bzw. (Vieta-Nrm)
Setzt man diesen Wert in die Gleichungen (CayleyParam) ein, ersetzt bzw. durch die Werte aus der Cardanoschen Formel (CardForm.1) und löst nach bzw. auf, so erhält man
(CayleysForm.1)
Damit erhält man nun die Lösungen in Cayleys Formulierung.
für .
(CayleysForm.2)
Zwar gibt es neun Doppelindizes , doch die Menge besteht lediglich aus den drei Lösungen
Hat der Ring der Koeffizienten die Charakteristik oder dann lassen sich die angegebenen Formeln wegen der Divisionen durch nicht anwenden. Näheres dazu im Artikel über kubische Gleichungen.
Für andere Charakteristiken und für komplexes gilt im Prinzip die cardanische Formel. Es gibt aber bei Nicht-Geordnetheit von nur zwei Fälle:
: Dies ist auch in diesen Fällen das Kriterium für mehrfache Nullstellen. Die oben für diesen Fall angegebenen Formeln gelten unverändert.
: Die oben für den Fall angegebenen Formeln gelten analog und stellen den „algebraischen“ Weg der Auflösung durch Radikale dar, wobei die beiden dritten Wurzeln wie im reellen Fall gemäß Nebenbedingung (NB1) so zu wählen sind, dass ihr Produkt ergibt. Der beim Fall , dem „casus irreducibilis“, angegebene Weg ist ein „numerischer“ Lösungsweg, der dem Ausziehen der dritten Wurzeln unter Zuhilfenahme trigonometrischer Funktionen entspricht.
Bei quartischen Gleichungen beziehungsweise Gleichungen vierten Grades sind die Lösungen immer biquadratisch radikale Ausdrücke aus Lösungen von kubischen Gleichungen. Der Grund dafür besteht in der Tatsache, dass alle Polynome vierten Grades als Differenz des Musters Quadrat eines quadratischen Polynoms minus Quadrat eines linearen Polynoms dargestellt werden können. Durch das Nullsetzen des quartischen Polynoms kann auf diese Weise der Satz von Vieta verwendet werden. Und diese Differenz zweier Quadrate kann dann mit der dritten binomische Formel faktorisiert werden. So entstehen zwei Faktoren von jeweils zweitem Grade. Diese können dann mit der Mitternachtsformel aufgelöst werden. Für die Bestimmung der Koeffizienten von diesen beiden Polynomfaktoren ist die Auflösung eines kubischen Gleichungssystems erforderlich. Dies wird im nun Folgenden gezeigt. Gegeben sei ein quartisches Polynom, welches faktorisiert werden soll:
Eine kubische Resolventengleichung führt hierbei zur Ermittlung von :
Sukzessiv können dann und ermittelt werden.
Nach anschließender Faktorisation der dritten binomischen Formel führt das Lösen von quadratischen Faktoren zur x-Lösung.
Durch Eliminierung der unbekannten v und w kann eine kubische Gleichung für u in Abhängigkeit der gegebenen Koeffizienten A, B, C und D aufgestellt werden:
Die Bilanz der Koeffizienten des quadratischen Glieds ergibt folgende Gleichung:
I)
Die Bilanz der Koeffizienten des linearen Glieds ergibt nachfolgende Gleichung:
II)
Und die Bilanz der Koeffizienten des absoluten Glieds ergibt die nun folgende Gleichung:
III)
Durch das Gleichsetzungsverfahren mit dem Muster I*III = II² ergibt sich folgende kubische Gleichung:
Diese Gleichung kann dann nach u aufgelöst werden.
Nach dem Satz von Abel-Ruffini ist das Analogon der Cardanoschen Formel für quintische Gleichungen nicht elementar darstellbar. Jedoch kann bei diesem quintischen Analogon die reelle Lösung dann in einem quintisch radikalen Ausdruck dargestellt werden, wenn ein elliptischer Schlüssel ausgedrückt über die Thetafunktionen auf der Grundlage der Elliptischen Nomenfunktion oder über die Jacobischen Amplitudenfunktionen angewendet wird. Die Mathematiker John Stuart Glashan, George Paxton Young[Anm 17] und Carl Runge[Anm 18] fanden den quintisch radikalen Ausdruck für die Bring-Jerrard-Form heraus und beschrieben diesen Lösungsausdruck in ihrem Werk. Der Wert für den zugehörigen elliptischen Modul[Anm 19] beziehungsweise die zugehörige numerische Exzentrizität in Abhängigkeit vom Koeffizienten des absoluten Gliedes in der Bring-Jerrard-Form wurde durch Charles Hermite entdeckt und ermittelt. Und für die standardisierte Bring-Jerrard-Normalform der quintischen Gleichung wird im Folgenden das Analogon zur kubischen Formel nach Cardano aufgestellt:
Alternativ wird die genannte quintische Bring-Jerrard-Gleichung auch ohne elliptischen Schlüssel mit einem direkten Ausdruck für dieselbe reelle Lösung so gelöst:
Eine bekannte quintische und elementar lösbare Gleichung, deren Lösung somit analog zur kubischen Formel nach Cardano gelöst werden kann, ist die folgende:
Die durch Umformung gebildete Gleichung
hat dieselbe Lösungsmenge. Nach den Setzungen
ergibt sich
Nun kann die reelle Lösung dieser Gleichung direkt hervorgerufen werden:
Wegen folgt
und es ergibt sich die reelle Nullstelle
Da sich die Terme und durch Radikale des maximal fünften Grades ausdrücken lassen, lässt sich auch (ohne Bezug auf transzendente Funktionen wie ) durch Radikale des maximal fünften Grades ausdrücken.
↑Matthiessen: IV. Abschnitt, § 94 Methode von Vieta, Seite 213, Historische Bemerkungen
↑Dabei spielt keine Rolle, ob die Nullstellen (Lösungen) bereits in dem betrachteten Körper oder Ring (im klassischen Falle also ) liegen oder erst ein einem größeren Erweiterungskörper (etwa dem Zerfällungskörper): Für den klassischen Fall wäre dies der Körper der komplexen Zahlen, mit denen zu Cardanos Zeit noch keine Anschauung verbunden war und die daher mindestens als unwirklich galten, wenn nicht gar suspekt und nicht-existent.
↑Vgl. Bartel Leendert van der Waerden: Algebra I, § 35, Aufgabe 2, Seite 108
↑Die Diskriminante eines ganzrationalen Polynoms in den Koeffizienten soll also in liegen und nicht etwa erst in zu finden ist. Dieses Postulat bedingt die Wahl von .
↑Dies gilt sinngemäß natürlich auch für positives . Dieser Fall liegt aber jenseits des klassischen Betrachtung.
↑Kurzeinführung zur Kurvendiskussion: Die (erste) Ableitung einer Funktion an der Stelle ist durch die Gleichung , vorausgesetzt, dass der Grenzwert existiert. Entsprechend bezeichnet die zweite Ableitungsfunktion. Die Kurvendiskussion lehrt, dass an lokalen Extremstellen die erste Ableitung verschwindet (). Dabei kann die zweite Ableitung Auskunft darüber geben, ob es sich um ein lokales Minimum () oder um ein lokales Maximum () handelt. Sattelpunkte sind Wendepunkte mit waagerechter Tangente. An Wendepunkten verschwindet die zweite Ableitung. Ein Sattelpunkt lässt sich als Grenzfall verstehen, in dem ein lokales Minimum und ein benachbartes lokales Maximum, die sich einander annähern, miteinander zu einem Punkt verschmelzen: Dann liegt bei kein lokales Extremum vor, doch besitzt der Sattelpunkt eine waagerechte Tangente und es gilt . Im Allgemeinen sind dies keine hinreichenden Kriterien für das Vorliegenden von Extrema oder Sattelpunkten, wie schon die Beispiele für zeigen, wohl aber im kubischen Falle. Weitere Einzelheiten im Artikel zur Kurvendiskussion.
↑Hier wird deutlich, weshalb die Überlegung dieses Abschnittes lediglich als „Veranschaulichung“ oder „Plausibilisierung“ gelten kann, nicht als „Herleitung“ oder „Beweis“. Für einen strengeren Nachweis müssten Argumente wie der Zwischenwertsatz, Extremwertsatz, der Satz über die Anzahl von Nullstellen eines Polynoms und die Tatsache eingebracht werden.
↑Die klassische Strategie zur Lösung von Gleichungen bestand darin, die Lösung stufenweise mit Hilfe von Zwischenlösungen aufzubauen, die Lösungen von Hilfsgleichungen („Resolventen“) sind. Es galt also, Hilfsgleichungen zu finden, deren Lösungen geeignet sind, das erhoffte verschachtelte Radikal für die allgemeine Gleichung stufenweise aufzubauen. Im vorliegenden Falle liefert die quadratische Lagrange-Resolvente zwei Lösungen , mit deren Kubikwurzeln die Lösungen der allgemeinen Gleichung dritten Grades beschrieben werden können. Galoistheoretisch entspricht diesem Vorgehen der Aufbau eines Köperturms vom Grundkörper zum Zerfällungskörper der vorgelegten Gleichung.
– In analoger Weise tritt ja in der Mitternachtsformel die als (die einzige) primitive zweite Wurzel auf: .
↑Derselbe Gedankengang in varianter Formulierung: Setzt man die Substitution (Subst) in das reduzierte Polynom gemäß (redGlg) ein, so erhält man . Die Nebenbedingungen (NB-Nrm) und (NB-Sp) stellen sicher, dass , und bringen die Substitutionsvariablen in gegenseitige Abhängigkeit. Nun ist , also . Die Auswahl des Vorzeichens „“ schlägt sich nur in einer bedeutungslosen Vertauschung von nieder, so dass es ohne Einschränkung so gewählt werden kann: und . Die Auswahl der dritten Wurzeln ist nur bei einer der Variablen oder frei, die Auswahl der anderen ist dann durch die Nebenbedingungen bereits festgelegt. Dies bedeutet für die Lösungen , was im nun folgenden Absatz notiert ist. – Eine weitere Argumentationsvariante befindet sich hier.
↑Es ist allerdings zu beachten, dass in der Literatur auch andere Normierungen im Schwange sind, die nicht dem Postulat folgen, dass ganzzahlige Polynome auch ganzzahlige Diskriminanten haben sollen. So findet sich bspw. eine variante Normierung zu . Die hier dargestellte Normierung folgt Standard-Lehrbüchern zur Algebra von Eugen Netto über Heinrich Weber (Mathematiker) bis zu Bartel Leendert van der Waerden und Serge Lang.
↑Der Begriff bezieht sich also nicht auf die Eigenschaft der Irreduzibilität von Polynomen, der ja auch erst später geprägt wurde. Dennoch gibt es eine begriffliche Koinzidenz: Wir wissen heute, dass reelle Nullstellen irreduzibler rationaler Polynome grundsätzlich nicht durch reelle Radikale dargestellt werden können – mit Ausnahme quadratischer (und linearer) Polynome; siehe dazu Bartel Leendert van der Waerden: Algebra I, Seite 194.
↑Vgl. Heinrich Weber: Lehrbuch der Algebra, Erster Band, Seite 11 f. mit Verweis auf die Originalarbeit von Arthur Cayley: Phil. Mag. Vol. XXI, 1861, Collected mathematical papers vol. V, Nr. 310.
Denn folgende Kombination von Hyperbelfunktion und Areafunktion hat diese radikalische Darstellung für alle reellen Werte :
Somit wird die Form der Cardanoschen Formel erfüllt.
↑G. P. Young: Solution of Solvable Irreducible Quintic Equations, Without the Aid of a Resolvent Sextic. In: Amer. J. Math. Band 7, Seiten 170–177, 1885.
↑C. Runge: Über die auflösbaren Gleichungen von der Form . In: Acta Math. Band 7, Seiten 173–186, 1885, doi:10.1007/BF02402200.
↑F. Brioschi: Sulla risoluzione delle equazioni del quinto grado: Hermite – Sur la résolution de l’Équation du cinquième degré Comptes rendus –. N. 11. Mars. 1858. 1. Dezember 1858, doi:10.1007/bf03197334 (zenodo.org [abgerufen am 24. Oktober 2021]).
Hieronymus Cardanus: [Hieronymi Cardani …] Artis magnae, sive de regulis algebraicis, liber unus : qui & totius operis de arithmetica, quod opus perfectum inscripsit, est in ordine decimus. Nürnberg [Petreius] 1545, siehe etwa Cap. XII de cubo aequli rebus & numero (S. 31 f.) und Cap. XXXVII De regula falsum ponendi Regula II (und Demonstratio) (S. 65 ff.), doi:10.3931/e-rara-9159 (ETH-Bibliothek Zürich, Shelf Mark: Rar 5506 / Public Domain Mark [PDF; 52,2MB; abgerufen am 1. November 2024]).
Ludwig Matthiessen: Grundzüge der antiken und modernen Algebra der litteralen Gleichungen. Leipzig 1896, Vierter Abschnitt. Directe Auflösung der Gleichungen von den ersten vier Graden durch Substitution. IV. Von der Auflösung der kubischen Gleichungen. § 127. Methode und Formel von Scipio Ferreo, Nicol. Tartaglia und Hieron. Cardano. (Capitulum cubi et rerum numero aequalium.), S.362ff., doi:10.3931/e-rara-78944.
Peter Pesic: Abels Beweis. Die Geschichte rund um die Lösungsformeln vom Grad 2 bis 4 und der komplette Beweis von Abel. Springer, 2005, ISBN 3-540-22285-5, doi:10.1007/978-3-540-27309-7.
Charles Hermite: Sur la résolution de l’Équation du cinquième degré Comptes rendus (= Comptes Rendus Acad. Sci. Nr.11). Paris März 1858.
G. P. Young: Solution of Solvable Irreducible Quintic Equations, Without the Aid of a Resolvent Sextic (= American Journal of Mathematics. Band7). 1885, S.170–177.
F. Brioschi: Sulla risoluzione delle equazioni del quinto grado: Hermite – Sur la résolution de l’Équation du cinquième degré (= Comptes rendus. N. 11. (Mars 1858)). 1. Dezember 1858, doi:10.1007/bf03197334 (zenodo.org [abgerufen am 24. Oktober 2021]).
Carl Runge: Über die auflösbaren Gleichungen von der Form x⁵+ux+v=0 (= Acta Mathematica. Band7). 1885, S.173–186, doi:10.1007/BF02402200.
Bartel Leendert van der Waerden: Algebra I. unter Benutzung von Vorlesungen von E. Artin und E. Noether. (= Heidelberger Taschenbücher. Band12). 8. Auflage. 1971, ISBN 3-540-03561-3, Kapitel VIII Die Theorie von Galois, § 64 Gleichungen zweiten, dritten und vierten Grades, Satz im Kleindruck auf Seite 194.
Konrad Knopp: Elemente der Funktionentheorie (= Sammlung Göschen. Band1109). Walter de Gruyter & Co, Leipzig 1937, 2. Kapitel, § 4 Geschichtliches (Seite 19) – (144 S.).
Wolfgang Krull: Elementare Algebra vom höheren Standpunkt (= Sammlung Göschen. Band930). Walter de Gruyter & Co, Leipzig 1939 (143 S.).
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H.-D. Ebbinghaus, H. Hermes, Fr. Hirzebruch, Max Koecher, K. Mainzer, A. Prestel, R. Remmert: Zahlen. In: Grundwissen Mathematik I. 3., verbesserte Auflage. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona, Budapest 1992, ISBN 3-540-55654-0, Kapitel 3 Komplexe Zahlen (R. Remmert) § 1 Genesis der komplexen Zahlen 1. CARDANO (1501-1576), S.46, doi:10.1007/978-3-642-96783-2 (Hirzebruch Collection [abgerufen am 9. November 2024]).