Mehrdimensionale Normalverteilung

multivariate Verteilung In der multivariaten Statistik
(Weitergeleitet von Bivariate Normalverteilung)

Die mehrdimensionale oder multivariate Normalverteilung ist eine multivariate Verteilung in der multivariaten Statistik. Sie stellt eine Verallgemeinerung der (eindimensionalen) Normalverteilung auf mehrere Dimensionen dar.[1] Eine zweidimensionale Normalverteilung wird auch bivariate Normalverteilung genannt.

Dichte einer zweidimensionalen (bivariaten) Normalverteilung im dreidimensionalen Raum

Bestimmt wird eine mehrdimensionale Normalverteilung durch zwei Verteilungsparameter – den Erwartungswertvektor und durch die Kovarianzmatrix , welche den Parametern (Erwartungswert) und (Varianz) der eindimensionalen Normalverteilungen entsprechen.

Mehrdimensional normalverteilte Zufallsvariablen treten als Grenzwerte bestimmter Summen unabhängiger mehrdimensionaler Zufallsvariablen auf. Dies ist die Verallgemeinerung des zentralen Grenzwertsatz zum mehrdimensionalen zentralen Grenzwertsatz.

Weil sie entsprechend dort auftreten, wo mehrdimensionale zufällige Größen als Überlagerung vieler voneinander unabhängiger Einzeleffekte angesehen werden können, haben sie für die Praxis eine große Bedeutung.

Aufgrund der sogenannten Reproduktivitätseigenschaft der mehrdimensionalen Normalverteilung lässt sich die Verteilung von Summen (und Linearkombinationen) mehrdimensional normalverteilter Zufallsvariablen konkret angeben.

Die mehrdimensionale Normalverteilung

Bearbeiten

Die mehrdimensionale Normalverteilung kann auf verschiedene Arten definiert werden. Zu unterscheiden sind die Fälle, wenn es sich bei der Kovarianz-Matrix um eine reguläre oder singuläre Matrix handelt.

Allgemeiner Fall

Bearbeiten

Ein  -dimensionaler reeller Zufallsvektor   folgt einer mehrdimensionalen Normalverteilung, geschrieben  , wenn ein  -dimensionaler standardnormalverteilter Zufallsvektor  , ein  -dimensionaler Vektor   sowie eine  -Matrix   existiert, so dass

 .

Dabei bezeichnet das Symbol   die Gleichheit in Verteilung, d. h., dass die Zufallsvektoren auf der rechten und linken Seite des Symbols dieselbe Wahrscheinlichkeitsverteilung besitzen. Es gilt dann  , wobei Index   die Transponierung bezeichnet.

Oder in Formeln:

 

Regulärer Fall

Bearbeiten
 
10000 Stichproben einer zweidimensionalen Normalverteilung mit  ,   und ρ = 0.7

Eine  -dimensionale reelle Zufallsvariable   ist mehrdimensional normalverteilt mit Erwartungswertvektor   und symmetrischer, positiv definiter (also regulärer) Kovarianzmatrix  , wenn sie eine Dichtefunktion der Form[2]

 

besitzt. Dabei bezeichnen   die Determinante der Matrix  , der Index   die Transponierung und   die Inverse der Matrix  .

Man schreibt

 .

Das Subskript   ist die Dimension der  -dimensionalen Normalverteilung und zeigt die Anzahl der Variablen an, d. h.,   ist  ,   ist   und   ist  .[3] Für die zugehörige Verteilungsfunktion   gibt es keine geschlossene Form. Die entsprechenden Integrale müssen numerisch berechnet werden.

Der Wert im Exponentialteil der Dichtefunktion   entspricht dem Mahalanobis-Abstand, welcher den Abstand vom Testpunkt   zum Mittelwert   darstellt. Im Vergleich mit der Dichtefunktion der eindimensionalen Normalverteilung spielt bei der mehrdimensionalen Normalverteilung die Kovarianzmatrix   die Rolle der skalaren Varianz  .

Singulärer Fall

Bearbeiten

Wenn die Kovarianzmatrix   singulär ist, kann man   nicht invertieren, dann gibt es keine Dichte in der oben angegebenen Form. Gleichwohl kann man auch dann die mehrdimensionale Normalverteilung definieren, jetzt allerdings über die charakteristische Funktion.

Eine  -dimensionale reelle Zufallsvariable   heißt normalverteilt mit Erwartungswertvektor   und symmetrischer, positiv semidefiniter (also nicht notwendig regulärer) Kovarianzmatrix  , wenn sie eine charakteristische Funktion der folgenden Form hat:

 .

Wenn   regulär ist, existiert eine Wahrscheinlichkeitsdichte in obiger Form, wenn   singulär ist, dann existiert im  -dimensionalen Raum   keine Dichte bzgl. des Lebesgue-Maßes. Sei  , dann gibt es allerdings eine  -dimensionale Linearform  , wobei   eine  -Matrix ist, die einer  -dimensionalen Normalverteilung mit existierender Dichte im   genügt.

Eigenschaften

Bearbeiten

Die mehrdimensionale Normalverteilung hat die folgenden Eigenschaften:

  • Sind die Komponenten von   paarweise unkorreliert, so sind sie auch stochastisch unabhängig.
  • Die affine Transformation   mit einer Matrix   und   ist  -dimensional normalverteilt:  . Für die Definition des regulären Falles muss aber zusätzlich   und   nichtsingulär sein.
  • Die affine Transformation
 
standardisiert den Zufallsvektor  : es ist   (mit Einheitsmatrix  ).
  • Bedingte Verteilung bei partieller Kenntnis des Zufallsvektors: Bedingt man einen mehrdimensional normalverteilten Zufallsvektor auf einen Teilvektor, so ist das Ergebnis selbst wieder mehrdimensional normalverteilt, für
 
gilt
 .
Insbesondere hängt der bedingte Erwartungswert linear vom Wert   des Zufallsvektors   ab, denn es gilt
 .
und die bedingte Kovarianzmatrix ist unabhängig vom Wert von  , denn es gilt
 .

Charakteristische Funktion

Bearbeiten

Die charakteristische Funktion von   ist gegeben durch

 

für  .

Momenterzeugende Funktion

Bearbeiten

Die momenterzeugende Funktion von   ist gegeben durch

 

für  .

Die Randverteilung der mehrdimensionalen Normalverteilung

Bearbeiten
 
Bivariate Normalverteilung mit Randverteilungen

Sei   mehrdimensional normalverteilt. Für eine beliebige Partition   mit   und  ,  , gilt, dass die Randverteilungen   und   (mehrdimensionale) Normalverteilungen sind.

Die Umkehrung gilt allerdings nicht, wie folgendes Beispiel zeigt:

Sei   und sei   definiert durch

 

wobei  . Dann ist ebenso   und

 .

Demnach ist die Kovarianz (und damit der Korrelationskoeffizient) von   und   gleich null genau dann, wenn  . Aus der Unkorreliertheit zweier Zufallsvariablen   und   würde im mehrdimensional normalverteilten Fall sofort die Unabhängigkeit folgen (Besonderheit der mehrdimensionalen Normalverteilung), da aber   und   nach Definition nicht unabhängig sind (  immer gleich  ), kann insbesondere   nicht mehrdimensional normalverteilt sein.

Die p-dimensionale Standardnormalverteilung

Bearbeiten

Das Wahrscheinlichkeitsmaß auf  , das durch die Dichtefunktion

 

definiert wird, heißt Standardnormalverteilung der Dimension  . Die  -dimensionale Standardnormalverteilung ist abgesehen von Translationen (d. h. Erwartungswert  ) und uniformer Skalierung (d. h. Kovarianzmatrix  ) die einzige mehrdimensionale Verteilung, deren Komponenten stochastisch unabhängig sind und deren Dichte zugleich rotationssymmetrisch ist.

Momente und Kumulanten

Bearbeiten

Wie im eindimensionalen Fall, sind alle Momente der mehrdimensionalen Normalverteilung durch die ersten beiden Momente definiert. Alle Kumulanten außer den ersten beiden sind null. Die ersten beiden Kumulanten sind dabei der Erwartungswertvektor   und die Kovarianzmatrix  . In Bezug auf das mehrdimensionale Momentenproblem hat die Normalverteilung die Eigenschaft, dass sie durch ihre Momente eindeutig definiert ist. Das heißt, wenn alle Momente einer mehrdimensionalen Wahrscheinlichkeitsverteilung existieren und den Momenten einer mehrdimensionalen Normalverteilung entsprechen, ist die Verteilung die eindeutige mehrdimensionale Normalverteilung mit diesen Momenten.[4]

Verallgemeinerungen

Bearbeiten

Es gibt unterschiedliche Wege die mehrdimensionale Normalverteilung zu verallgemeinern.

 
besitzen.

Dichte der zweidimensionalen Normalverteilung

Bearbeiten

Die Dichtefunktion der zweidimensionalen oder bivariaten Normalverteilung mit Mittelwerten   und   und Korrelationskoeffizient   ist

 
 
Jeweils 10.000 Stichproben zweidimensionaler Normalverteilungen mit ρ = −0.8, 0, 0.8 (alle Varianzen sind 1).

Im zweidimensionalen Fall mit Mittelwerten   und beliebigen Varianzen ist die Dichtefunktion

 

Den allgemeinen Fall mit beliebigen Mittelwerten und Varianzen bekommt man durch Translation (ersetze   durch   und   durch  )

 

Beispiel für eine mehrdimensionale Normalverteilung

Bearbeiten

Betrachtet wird eine Apfelbaumplantage mit sehr vielen gleich alten, also vergleichbaren Apfelbäumen. Man interessiert sich für die Merkmale Größe der Apfelbäume, die Zahl der Blätter und die Erträge. Es werden also die Zufallsvariablen definiert:

 : Höhe eines Baumes [m];  : Ertrag [100 kg];  : Zahl der Blätter [1000 Stück].

Die Variablen sind jeweils normalverteilt wie

 .

Die meisten Bäume sind also um   groß, sehr kleine oder sehr große Bäume sind eher selten. Bei einem großen Baum ist der Ertrag tendenziell größer als bei einem kleinen Baum, aber es gibt natürlich hin und wieder einen großen Baum mit wenig Ertrag. Ertrag und Größe sind korreliert, die Kovarianz beträgt   und der Korrelationskoeffizient  .

Ebenso ist   mit dem Korrelationskoeffizienten  , und   mit dem Korrelationskoeffizienten  .

Fasst man die drei Zufallsvariablen im Zufallsvektor   zusammen, ist   mehrdimensional normalverteilt. Dies gilt allerdings nicht im Allgemeinen (vgl. Die Randverteilung der mehrdimensionalen Normalverteilung). Im vorliegenden Fall gilt dann für die gemeinsame Verteilung von  

 

und

 

Die entsprechende Stichproben-Korrelationsmatrix lautet

 

Schätzung der Parameter der mehrdimensionalen Normalverteilung

Bearbeiten

Bei Anwendungen in der Statistik sind in der Regel die Verteilungsparameter einer  -dimensionalen Normalverteilung nicht bekannt. Diese Parameter müssen also geschätzt werden.

Man zieht eine Stichprobe vom Umfang  . Jede Realisierung   des Zufallsvektors   könnte man als Punkt in einem  -dimensionalen Hyperraum auffassen. Man erhält so die   eine  -Matrix (Versuchsplan- oder Datenmatrix):

 , wobei  

die in jeder Zeile die Koordinaten eines Punktes enthält (siehe multiplen linearen Modell in Matrixschreibweise).

Der Erwartungswertvektor wird geschätzt durch den Mittelwertvektor der   arithmetischen Mittelwerte der Spalten von  

 

mit den Komponenten

 .

Dieser Schätzer ist bzgl. der mittleren quadratischen Abweichung der beste erwartungstreue Schätzer für den Erwartungswertvektor. Allerdings ist er für   nicht zulässig im Sinne der Entscheidungstheorie. Es gibt dann bessere Schätzer, z. B. den James-Stein-Schätzer.

Für die Schätzung der Kovarianzmatrix erweist sich die bezüglich der arithmetischen Mittelwerte zentrierte Datenmatrix   als nützlich. Sie berechnet sich als

 ,

mit den Elementen  , wobei   den Einsvektor, einen Spaltenvektor der Länge   mit lauter Einsen, darstellt. Es wird also bei allen Einträgen das arithmetische Mittel der zugehörigen Spalte subtrahiert.

Die geschätzte  -Kovarianzmatrix ergibt sich als

 

mit den Komponenten

 .

Die Korrelationsmatrix in der Grundgesamtheit   wird geschätzt durch die paarweisen Korrelationskoeffizienten

 ,

auf ihrer Hauptdiagonalen stehen Einsen.

Beispiel zu Stichproben

Bearbeiten

Es wurden 10 Apfelbäume zufällig ausgewählt und jeweils 3 Eigenschaften gemessen:  : Höhe eines Baumes [m];  : Ertrag [100 kg];  : Zahl der Blätter [1000 Stück]. Diese   Beobachtungen werden in der Datenmatrix   zusammengefasst:

 .

Die Mittelwerte berechnen sich, wie beispielhaft an   gezeigt, als

 .

Sie ergeben den Mittelwertvektor

 .

Für die zentrierte Datenmatrix   erhält man die zentrierten Beobachtungen, indem von den Spalten der entsprechende Mittelwert abzogen wird:

 ,

also

 .

Man berechnet für die Stichprobenkovarianzmatrix die Kovarianzen, wie im Beispiel,

 

und entsprechend die Varianzen

 ,

so dass sich die Stichproben-Kovarianzmatrix

 

ergibt.

Entsprechend erhält man für die Stichproben-Korrelationsmatrix zum Beispiel

 

bzw. insgesamt

 .

Erzeugung mehrdimensionaler, normalverteilter Zufallszahlen

Bearbeiten

Eine oft verwendete Methode zur Erzeugung eines Zufallsvektors   einer  -dimensionalen Normalverteilung mit gegebenem Erwartungswertvektor   und gegebener (symmetrischer und positiv definiter) Kovarianzmatrix   kann wie folgt angegeben werden:

  1. Bestimme eine Matrix  , so dass  . Dazu kann die Cholesky-Zerlegung von   oder die Quadratwurzel von   verwendet werden.
  2. Sei   ein Vektor, dessen   Komponenten stochastisch unabhängige, standardnormalverteilte Zufallsvariablen sind. Standardnormalverteilte Zufallszahlen können beispielsweise mit Hilfe der Box-Muller-Methode generiert werden.
  3. Mit der affinen Transformation   ergibt sich die gewünschte  -dimensionale Normalverteilung.

Streuregionen der mehrdimensionalen Normalverteilung

Bearbeiten

Für eindimensionale normalverteilte Zufallsvariablen liegen ungefähr 68,27 % der Realisierungen im Intervall  , für mehrdimensionale normalverteilte Zufallsvariablen sind die Regionen konstanter Wahrscheinlichkeit durch Ellipsen (die Standardabweichungsellipsen) gegeben, welche um den Mittelwert zentriert sind. Die Hauptachsen der Ellipse sind durch die Eigenvektoren der Kovarianzmatrix   gegeben, die Länge der Halbachsen ist die Quadratwurzel des zur jeweiligen Hauptachse gehörenden Eigenwertes  . Eine Realisierung der Zufallsvariablen in der Region anzutreffen, welche durch die (mehrdimensionale) Standardabweichungsellipse begrenzt wird, ist für eine mehrdimensional normalverteilte Zufallsvariable weniger wahrscheinlich.[5]

 
Darstellung der Standardabweichungsellipse einer zweidimensionalen Normalverteilung, sowie der beiden Marginalverteilungen.

Nach einer Hauptachsentransformation können die Achsen mit ihren jeweiligen   normiert werden. Dann lässt sich die Wahrscheinlichkeit mit der ein Messwert innerhalb eines Radius   liegt berechnen. Mit

 

ist der Anteil

 

der Messwerte höchstens im Abstand   vom Mittelwert einer p-dimensionalen Normalverteilung. Dabei ist   die regularisierte unvollständige Gammafunktion der oberen Grenze.

  in %  [6]    
  68,27 95,45 99,73
  39,35 86,47 98,89
  19,87 73,85 97,07

Entsprechend kann mit der Umkehrfunktion der Streuradius r angegeben werden, in der ein vorgegebener Anteil an Messwerten liegt:

 
  in        
  0,675 1,645 2,576
  1,177 2,146 3,035
  1,538 2,500 3,368

Literatur

Bearbeiten
  • K. V. Mardia, J. T. Kent, J. M. Bibby: Multivariate Analysis. New York 1979.
  • Ludwig Fahrmeir, Alfred Hamerle, Gerhard Tutz (Hrsg.): Multivariate statistische Verfahren. New York 1996.
  • Joachim Hartung, Bärbel Elpelt: Multivariate Statistik. München/ Wien 1999.
  • Bernhard Flury: A first course in multivariate statistics. New York 1997.

Anmerkungen

Bearbeiten
  1. Mehrdimensionale und multivariate Normalverteilung werden in diesem Artikel synonym verwendet. Bei Hartung/Elpelt: Multivariate Statistik haben sie aber (in Kapitel 1, Abschnitt 5) unterschiedliche Bedeutungen: hier ist die multivariate Normalverteilung eine Matrix-Verteilung.
  2. Alvin C. Rencher, G. Bruce Schaalje: Linear models in statistics. John Wiley & Sons, 2008, S. 89. (utstat.toronto.edu)
  3. Alvin C. Rencher, G. Bruce Schaalje: Linear models in statistics. John Wiley & Sons, 2008, S. 90. (utstat.toronto.edu)
  4. Christian Kleiber, Jordan Stoyanov: Multivariate distributions and the moment problem. In: Journal of Multivariate Analysis. Vol. 113, Januar 2013, S. 7–18, doi:10.1016/j.jmva.2011.06.001.
  5. Bin Wang, Wenzhong Shi, Zelang Miao: Confidence Analysis of Standard Deviational Ellipse and Its Extension into Higher Dimensional Euclidean Space. In: PLOS ONE. Band 10, Nr. 3, 13. März 2015, ISSN 1932-6203, S. 11, doi:10.1371/journal.pone.0118537.
  6. In der beschriebenen Normierung wäre  .